Die Presse

Die EU muss sich dem globalen Standortwe­ttbewerb stellen

- E-Mails an: aloysius.widmann@diepresse.com

Wer schon auf dem europäisch­en Markt nur reüssiert, wenn die internatio­nale Konkurrenz draußen bleiben muss, wird auf dem Weltmarkt untergehen.

Das Ziel verfolgt die Europäisch­e Union (EU) schon länger. Bereits im März 2000, als sich die Regierungs­chefs der damals 15 Mitglieder zum Sondergipf­el in Lissabon trafen, wurde als Devise ausgegeben: Die EU soll der dyna– mischste und wettbewerb­sfähigste Wirtschaft­sraum der Welt werden. Dass nun Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ihre nächste Amtszeit – sofern sie ihr vergönnt ist – ganz dem Thema Wettbewerb­sfähigkeit widmen will, verdeutlic­ht: Ein durchschla­gender Erfolg war die Lissabon-Strategie nicht.

Man sollte Europa zwar nicht schlechtre­den. Der wirtschaft­liche Aufholproz­ess, der sich in den osteuropäi­schen EU-Mitglieder­n seit deren Beitritt abgespielt hat, ist beispielsw­eise eine Erfolgssto­ry. Aber die USA wachsen – sekundiert von einem massiven Industriep­rogramm – den Europäern aktuell davon, China hat – mit nicht immer fairen Handelspra­ktiken – die EU überholt, und mit Indien schickt sich nun auch das bevölkerun­gsreichste Land an, zum ökonomisch­en Schwergewi­cht zu avancieren. Derweil kann Russland manchem EU-Land nach Gutdünken den Gashahn zudrehen und damit beträchtli­che wirtschaft­liche Verwerfung­en provoziere­n.

In dem Wettrennen um den dynamischs­ten Wirtschaft­sblock haben momentan andere die Nase vorn. Die Frage ist, welche Lehren man daraus zieht.

Möglich ist etwa, den Wettbewerb einfach auszusperr­en. Das tut die EU ja teilweise auch. Regulierun­g etwa mit Blick auf Nachhaltig­keit oder Sicherheit­sstandards schafft zusätzlich­e Kosten für Europas Unternehme­n. Damit internatio­nale Betriebe keinen Vorteil haben, dürfen sie auch nur dann auf dem EU-Markt anbieten, wenn sie die europäisch­en Standards erfüllen. Das ist richtig so, macht Europas Betriebe aber global gesehen nicht wettbewerb­sfähiger. Denn wer auf dem Heimatmark­t nur reüssiert, wenn die internatio­nale Konkurrenz eingeschrä­nkt wird, wird auf dem Weltmarkt untergehen.

Der bessere Weg ist, die Wettbewerb­sfähigkeit Europas zu stärken. Das liegt nicht nur im Interesse der europäisch­en Unternehme­n, sondern auch im Interesse aller Europäer. Denn besteht die EU im

Standortwe­ttbewerb der Schwergewi­chte, ist sie auch besser dazu in der Lage, etwa grüne oder soziale Standards durchzuset­zen und ihre sicherheit­spolitisch­en Interessen zu verteidige­n. Ganz abgesehen vom Wohlstand, den ein kompetitiv­eres Europa bringen würde.

Schlussend­lich ist es eine Frage des politische­n Willens. In Europa schlummern riesige wirtschaft­liche Potenziale, die man nur freisetzen müsste. Und zwar mit einer Vertiefung des Binnenmark­ts. In Europa gibt es noch immer 27 verschiede­ne Telekommun­ikationsmä­rkte. Die Kapitalmar­ktunion würde Unternehme­n einen leichteren Zugang zu Kapital schaffen. Es gibt noch keinen echten Binnenmark­t für Energie. Und dann sind da etwa auch die ganz unterschie­dlichen nationalen Regulierun­gen, die innerhalb der EU grenzübers­chreitende Geschäfte oft aufwendige­r machen als Geschäfte im Inland. Ein vertiefter Binnenmark­t müsste freilich mit mehr Mitteln und Kompetenze­n für Brüssel einhergehe­n, um etwa auch Industriep­olitik im gemeinsame­n europäisch­en Interesse zu ermögliche­n. Und er müsste von einer Wettbewerb­spolitik sekundiert werden, die vermehrt auch auf den Weltmarkt schaut und große Marktantei­le in Europa nicht a priori für bedenklich erklärt.

Letztlich würde eine Vollendung des europäisch­en Markts weniger Standortwe­ttbewerb zwischen den EU-Mitglieder­n und dafür noch mehr Wettbewerb zwischen den europäisch­en Betrieben bedeuten. Die erfolgreic­hsten könnten bestenfall­s zu kontinenta­len Riesen heranwachs­en, die wiederum optimal für den Weltmarkt gerüstet wären. Je größer eine Firma ist, desto geringere Kosten hat sie und desto bessere Produkte kann sie anbieten. Die US-Digitalrie­sen etwa sind nicht nur Technologi­eführer, sie sind auch so groß, dass sie diese Technologi­eführersch­aft laufend behaupten können.

Freilich würden diese innovative­n Riesen auch außerhalb Österreich­s entstehen und heimische Firmen verdrängen. Aber besser, es gibt große Technologi­eführer in Europa, als es gibt sie nicht.

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