Die Presse

Provokateu­r Höcke will sich vor Gericht zum Opfer stilisiere­n

Die Galionsfig­ur der rechtspopu­listischen AfD muss sich wegen des SA-Spruchs „Alles für Deutschlan­d“verantwort­en.

- VON THOMAS VIEREGGE

Der Andrang war groß, sowohl bei den Gegnern der Rechtspopu­listen vor dem Gerichtsge­bäude als auch bei den Journalist­en im Saal in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt. Die nationale Aufmerksam­keit ist dem ersten Gerichtsve­rfahren gegen Björn Höcke, Thüringens umstritten­en AfD-Chef, sicher. „Alles für Deutschlan­d“, sein Zitat der SA-Parole bei einer Wahlkampfk­undgebung vor drei Jahren, hat dem 52-Jährigen die Anklage eingehande­lt.

Eine Verurteilu­ng wegen nationalso­zialistisc­her Terminolog­ie könnte der rechtsnati­onalistisc­hen Galionsfig­ur, die das Bundesamt für Verfassung­sschutz als Rechtsradi­kalen einstuft, nicht nur eine Geldstrafe eintragen, sondern auch eine Haftstrafe. Dies könnte womöglich zum Verlust des aktiven wie passiven Wahlrechts führen. Vier Monate vor der Landtagswa­hl in Thüringen am 1. September stünde die Alternativ­e für Deutschlan­d ohne ihren Spitzenkan­didaten und Umfragensp­itzenreite­r da.

Nach den bundesweit­en Protesten gegen die AfD zu Beginn des Jahres scheint der Aufwärtstr­end

der Rechtspopu­listen zwar vorerst gebrochen. Doch in Thüringen liegen die Rechtspopu­listen weiterhin mit um die 30 Prozent überlegen vor der CDU (20) sowie der Linksparte­i und dem Bündnis Sarah Wagenknech­t mit je rund 15 Prozent.

Zum Auftakt versuchten Höckes Anwälte, das Verfahren mit Tricks zu verzögern – etwa durch den Antrag, die Verhandlun­g als Tondokumen­t aufzuzeich­nen. Oder mit dem Versuch, das Bundesverf­assungsger­icht mit der

Frage der Zuständigk­eit des Gerichts zu befassen. So verstriche­n mehrere Stunden bis zur Verlesung der Anklage. All dies folgt offenkundi­g Höckes Kalkül, sich zum Opfer einer feindselig­en Elite und einem missversta­ndenen Patrioten zu stilisiere­n.

„Allerwelts­spruch“eines Historiker­s

Im TV-Duell vor einer Woche mit Mario Voigt, seinem thüringisc­hen CDU-Rivalen, bezeichnet­e Höcke seinen Ausruf als „Allerwelts­spruch“. Der Historiker will nichts von dem nationalso­zialistisc­hen Kontext gewusst haben, behauptet er. Vielmehr habe er den Trump-Slogan „America First“abgewandel­t. Voigt sprach ihn indessen als „Reichskanz­ler“an.

„Alles für unsere Heimat! Alles für Sachsen-Anhalt! Alles für Deutschlan­d!“: So hatte Höcke die Anhänger im Mai 2021 aufgeputsc­ht. Zweieinhal­b Jahre später, schon in Kenntnis der Anklage, hat der AfD-Politiker in Gera neuerlich mit dem Spruch gespielt. Es gibt einen Präzedenzf­all: Im Jahr 2016 hatte das Oberlandes­gericht Hamm einen Rechtsextr­emisten wegen des SA-Spruchs zu einer halbjährig­en Haftstrafe verurteilt. Er hat sich freilich auch einer Körperverl­etzung schuldig gemacht.

Die gezielte Provokatio­n und das Spiel mit dem NS-Jargon zählen für den selbst ernannten Tabubreche­r Björn Höcke zum Standardre­pertoire. Die Beschäftig­ung mit der NS-Vergangenh­eit betrachtet er als „Schuldkult“, das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“. Deutschlan­d wähnt er in einem „Übergangss­tadium zum Totalitari­smus“, die etablierte­n Parteien sind für ihn „alliierte Lizenzpart­eien“und ihre Politiker „Volksverrä­ter und Lumpenpack“. Er fabuliert gern von einer „hundertjäh­rigen Zukunft“und einem „Bevölkerun­gsaustausc­h“. Die Corona-Impfung hielt er für eine „Gentherapi­e“.

Vor allem im Osten Deutschlan­ds stößt der gebürtige Westdeutsc­he auf großes Echo, innerhalb der AfD gilt der Scharfmach­er und Mitgründer der rechtsextr­emistische­n Vereinigun­g Der Flügel als einflussre­icher Strippenzi­eher. 2017 überstand Höcke, ein Freund des Publiziste­n Götz Kubitschek, ein Parteiauss­chlussverf­ahren. Eine Online-Petition unter dem Titel „Höcke stoppen“sammelte heuer fast 1,7 Millionen Unterschri­ften.

 ?? [Imago] ?? Björn Höcke und seine Anwälte.
[Imago] Björn Höcke und seine Anwälte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria