Provokateur Höcke will sich vor Gericht zum Opfer stilisieren
Die Galionsfigur der rechtspopulistischen AfD muss sich wegen des SA-Spruchs „Alles für Deutschland“verantworten.
Der Andrang war groß, sowohl bei den Gegnern der Rechtspopulisten vor dem Gerichtsgebäude als auch bei den Journalisten im Saal in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt. Die nationale Aufmerksamkeit ist dem ersten Gerichtsverfahren gegen Björn Höcke, Thüringens umstrittenen AfD-Chef, sicher. „Alles für Deutschland“, sein Zitat der SA-Parole bei einer Wahlkampfkundgebung vor drei Jahren, hat dem 52-Jährigen die Anklage eingehandelt.
Eine Verurteilung wegen nationalsozialistischer Terminologie könnte der rechtsnationalistischen Galionsfigur, die das Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsradikalen einstuft, nicht nur eine Geldstrafe eintragen, sondern auch eine Haftstrafe. Dies könnte womöglich zum Verlust des aktiven wie passiven Wahlrechts führen. Vier Monate vor der Landtagswahl in Thüringen am 1. September stünde die Alternative für Deutschland ohne ihren Spitzenkandidaten und Umfragenspitzenreiter da.
Nach den bundesweiten Protesten gegen die AfD zu Beginn des Jahres scheint der Aufwärtstrend
der Rechtspopulisten zwar vorerst gebrochen. Doch in Thüringen liegen die Rechtspopulisten weiterhin mit um die 30 Prozent überlegen vor der CDU (20) sowie der Linkspartei und dem Bündnis Sarah Wagenknecht mit je rund 15 Prozent.
Zum Auftakt versuchten Höckes Anwälte, das Verfahren mit Tricks zu verzögern – etwa durch den Antrag, die Verhandlung als Tondokument aufzuzeichnen. Oder mit dem Versuch, das Bundesverfassungsgericht mit der
Frage der Zuständigkeit des Gerichts zu befassen. So verstrichen mehrere Stunden bis zur Verlesung der Anklage. All dies folgt offenkundig Höckes Kalkül, sich zum Opfer einer feindseligen Elite und einem missverstandenen Patrioten zu stilisieren.
„Allerweltsspruch“eines Historikers
Im TV-Duell vor einer Woche mit Mario Voigt, seinem thüringischen CDU-Rivalen, bezeichnete Höcke seinen Ausruf als „Allerweltsspruch“. Der Historiker will nichts von dem nationalsozialistischen Kontext gewusst haben, behauptet er. Vielmehr habe er den Trump-Slogan „America First“abgewandelt. Voigt sprach ihn indessen als „Reichskanzler“an.
„Alles für unsere Heimat! Alles für Sachsen-Anhalt! Alles für Deutschland!“: So hatte Höcke die Anhänger im Mai 2021 aufgeputscht. Zweieinhalb Jahre später, schon in Kenntnis der Anklage, hat der AfD-Politiker in Gera neuerlich mit dem Spruch gespielt. Es gibt einen Präzedenzfall: Im Jahr 2016 hatte das Oberlandesgericht Hamm einen Rechtsextremisten wegen des SA-Spruchs zu einer halbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er hat sich freilich auch einer Körperverletzung schuldig gemacht.
Die gezielte Provokation und das Spiel mit dem NS-Jargon zählen für den selbst ernannten Tabubrecher Björn Höcke zum Standardrepertoire. Die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit betrachtet er als „Schuldkult“, das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“. Deutschland wähnt er in einem „Übergangsstadium zum Totalitarismus“, die etablierten Parteien sind für ihn „alliierte Lizenzparteien“und ihre Politiker „Volksverräter und Lumpenpack“. Er fabuliert gern von einer „hundertjährigen Zukunft“und einem „Bevölkerungsaustausch“. Die Corona-Impfung hielt er für eine „Gentherapie“.
Vor allem im Osten Deutschlands stößt der gebürtige Westdeutsche auf großes Echo, innerhalb der AfD gilt der Scharfmacher und Mitgründer der rechtsextremistischen Vereinigung Der Flügel als einflussreicher Strippenzieher. 2017 überstand Höcke, ein Freund des Publizisten Götz Kubitschek, ein Parteiausschlussverfahren. Eine Online-Petition unter dem Titel „Höcke stoppen“sammelte heuer fast 1,7 Millionen Unterschriften.