Österreich, deine Marathon-Frauen
Ein Marathon erschafft immer ganz eigene Legenden, in Wien besonders. Über Läuferinnen, die Großartiges leisteten.
Läuft der Wien-Marathon, wird der kultivierte Stillstand der Bundeshauptstadt für ein Wochenende aufgehoben. Dann haben Laufschuhe, Absperrungen und Debatten über Sinn und Zweck von Bewegung, Sport und Event Vorrang. Die meisten der über 41.000 Starter wollen bei der nunmehr 41. Auflage der größten Laufveranstaltung des Landes ins Ziel kommen, für manch Afrikaner und den Veranstalter steht auch die Siegerzeit im Vordergrund.
Am Sonntag blickt das Gros der Laufszene auf Julia Mayer, die sich so eloquent und schrittsicher wie im Vorjahr erneut beweisen will. Und damit Österreichs MarathonDoyen – Gesichter sind sein Geschichtsbuch – auf die sagenhafte Idee brachte, doch einen Rückblick anlässlich dieser 40 vergangenen Jahre voranzutreiben. Ein Blick auf die lange Liste der stärksten, schnellsten Österreicherinnen, die diese magischen 42,195 Kilometer seit 1984 unter die Beine genommen haben.
Zwei Siegerinnen
Wenn am Sonntag eine ehemalige Fußballerin und karenzierte Volksschullehrerin durch Wien läuft, folgt die 31-Jährige großen rotweiß-roten Spuren. Seit 1984, als dieses Event als „Frühlingsmarathon“unter dem federführenden Antrieb von Roland Gusenbauer startete, gab es zwei Siegerinnen:
Carina Weber-Leutner (1987; 2,40:57 h) und Andrea Mayr (2009, 2,30:43 h). Weber-Leutner (ab 1993 Lilge-Leutner; † 2017) bleibt ebenso unvergessen wie Mayrs Kraftakt. Die damalige Turnus-Ärztin war mit Schmerzen (Stressfraktur im Schienbein, Sehnenriss im Knöchel) zum Rekord gelaufen. Jeder Patientin hätte sie vermutlich davon „dringend“abgeraten.
21 Top-10-Plätze stehen zu Buche durch Monika Naskau, Henriette Fina, Verena Lechner, Christiane Berethalmy, Dagmar Rabensteiner, Eva-Maria Gradwohl, Susanne Pumper (stolperte 2004 über ein Motorrad und wurde Vierte), Ingrid Eichberger, Tanja Eberhart, Eva Wutti und Victoria Schenk. 46 Österreicherinnen liefen in Wien unter drei Stunden ins Ziel, bloß 2015 und 2022 suchte man unter den „Finisherinnen“ vergebens nach Österreicherinnen unter dieser Zeitschranke. Zwölf Podestplätze gab es, vier Mal wurde Österreichs Rekord geknackt. Mayer schraubte die Bestzeit im vergangenen Dezember in Valencia auf 2,26:43 Stunden.
Dieser Lauf sicherte ihr auch das Olympiaticket für die Spiele in Paris (ab 26. Juli), dessen Strecke nach Versailles hinaus und retour an die Metropole führen wird. Apropos Sommerspiele: Erst seit Los Angeles 1984 übrigens laufen Frauen um Gold. Vor ihr waren nur Gradwohl (2008, Peking) und Mayr (2012 London, 2016 Rio de Janeiro) bislang unter der Schirmherrschaft der Fünf Ringe unterwegs.
Ganz Wien
Bei der 42. Auflage des Laufklassikers könnte bei kühlen Temperaturen erneut Mayer für Aufsehen sorgen. Damit eine Topplatzierung gelingt als Einstimmung auf Paris („Ich will beste Europäerin sein, warum nicht?“) sind wieder mit Stephan Listabarth und dem Deutschen Simon Stützel zwei Hasen aka Tempomacher nur für sie engagiert. Am Samstag wird mit Trainer Vincent Vermeulen – er ist der Vater des Skilangläufers Mika Vermeulen – beraten, mit welchem Tempo sie den „nächsten Schritt“setzen soll. Die hohe Kunst des Marathons sei es, „Geduld“zu kennen und auch zu haben. Auf den ersten zehn Kilometern wäre schließlich noch nie ein Rennen gewonnen worden.
Mit dem Sieg zu kokettieren, wäre ob der afrikanischen Phalanx frech, ausschließen könne man es aber bei Mayer nach ihrem beeindruckenden Vorjahresdebüt nicht. Allerdings, der Laufsport basiert auch auf der Kälte der Stoppuhr. Nazret Weldu aus Eritrea ist WM-Vierte von Eugene 2022, die 34Jährige weist eine Bestzeit von 2,20:29 Stunden auf und gilt als Favoritin. Mit dieser Zeit wäre sie um 30 Sekunden unter dem Wiener Streckenrekord.
Die 41. Auflage wartet mit technologischen Neuerungen (u. a. interaktiver Zielturm) auf, personell mit einer Neuaufstellung. Organisator Wolfgang Konrad ging in Pension, neue Geschäftsführer sind sein Sohn Dominik und Kathrin Widu. Ihr Rennen läuft einmal pro Jahr, die Vorbereitungen darauf täglich. Österreich kennt viele „Marathon-Männer“. Und noch mehr „Marathon-Frauen“.
‘‘ Wir wollen eine Inszenierung! Der Marathon ist kein Event, das mit ,copy and paste‘ gelingen kann. Kathrin Widu VCM-Geschäftsführung