Wer unseren Strom heimlich teurer macht
Liefern Wind und Sonne nicht exakt so viel Strom wie geplant, muss der Netzbetreiber handeln. Recherchen der „Presse“zeigen, wie findige Anbieter das System für Notfallenergie ausnutzen und so die Kosten für alle anheizen.
Zu Ostern erzeugte das Land wieder einmal so viel grünen Strom, dass es nicht mehr wusste, wohin damit. 800 Megawatt an Windkraftanlagen mussten abgedreht werden, um das Netz nicht zu überlasten. Strom war de facto nichts mehr wert. Geld verdienen konnte man trotzdem – und das nicht zu knapp. Denn ein paar gewiefte Unternehmen kassieren genau in diesen Stunden ab – und verteuern so den Strom für alle.
Um das zu verstehen, ist ein kurzer Exkurs in den Strommarkt nötig: Anders als Schuhe und Smartphones kann Elektrizität nicht auf Halde produziert und abverkauft werden. Um Blackouts zu verhindern, muss in jeder Sekunde exakt so viel Strom erzeugt werden, wie verbraucht wird. Kraftwerksbetreiber und Industriebetriebe müssen daher im Voraus bekannt geben, wie viel Strom sie erzeugen bzw. konsumieren werden. Ändert sich kurzfristig etwas – etwa weil der Wind etwas kräftiger weht oder eine Maschine später angeworfen wird –, schlägt die Stunde des Übertragungsnetzbetreibers APG. Er muss auf dem Markt sogenannte Ausgleichs- oder Regelenergie erwerben. Er bezahlt also dafür, dass kurzfristig Strom erzeugt oder verbraucht wird, um das System zu stabilisieren. Jahrelang fielen diese Kosten kaum ins Gewicht. Doch seit Mitte 2022 sind die Preise für Sekundärregelenergie, die binnen weniger Minuten ins Netz eingespeist werden muss, in Österreich explodiert (siehe Grafik).
9200 Euro je Megawattstunde
Am Ostersonntag erhielten Anbieter für jede Megawattstunde Strom, die sie zusätzlich verbrauchten, bis zu 9200 Euro. Zum Vergleich: Eine
Megawattstunde „normaler“Strom kostet an der Börse rund 80 Euro. „Die extremen Preisspitzen auf dem Ausgleichsenergiemarkt werden zunehmend zum Problem für erneuerbare Energieprojekte. Letztlich zahlen die Mehrkosten aber die Steuerzahler“, sagt Lukas Stühlinger von Fingreen. Der Gründer des Beratungsunternehmens zur Finanzierung von Energieund Umweltprojekten ist als einer der Ersten auf das Problem aufmerksam geworden.
Aber warum gehen nun die Preise seit Mitte 2022 durch die Decke? An der Energiepreiskrise liegt es jedenfalls nicht, sonst wären die Kosten für Regelenergie wieder mit dem Börsepreis gesunken. Stühlinger hat einen anderen Verdacht: Die Ausschläge begannen just in dem Moment, in dem Österreich dem europäischen Regelenergiemarkt Picasso beigetreten ist. Statt die Kosten zu drücken, wird es für Österreich seither teurer. Hintergrund ist ein Marktmechanismus, der schon während der Strompreiskrise scharf kritisiert wurde.
„Hohe Spekulationsgewinne“
Denn auch bei Picasso gilt das Merit-Order-Prinzip: Das teuerste Gebot, das noch notwendig ist, um Angebot und Nachfrage in Balance zu halten, setzt den Preis für alle. Waren es in der Krise die Gaskraftwerke, die so den Strompreis nach oben gezogen haben, so sind es jetzt einzelne Unternehmen, die die Kosten treiben. „Die Detailauswertung der Gebotsdaten legt nahe, dass hier einige wenige Marktteilnehmer das System ausnützen und hohe Spekulationsgewinne erzielen“, sagt Lukas Stühlinger.
Und tatsächlich: In den ersten Monaten des Jahres bot ein- und derselbe Anbieter systematisch in jeder Viertelstunde die minimale
Menge von einem MW zum astronomischen Preis von 9200 Euro an. Kam der Anbieter zum Zug, erhielten auch alle an sich günstigeren Anbieter denselben Preis. Für Kraftwerksbetreiber oder die Großindustrie kommen da rasch hohe Summen zusammen, wenn sie mit ihrer Prognose danebenliegen.
Italien steigt aus
„Wir beobachten das extrem kritisch und haben es auch dem Regulator gemeldet“, sagt Gerhard Christiner, Technikvorstand der APG, zur „Presse“. Schon bei der Einführung von Picasso habe man gewarnt, dass der Umstieg auf das Merit-Order-Prinzip Probleme bringen könne, solang es zu wenig Marktteilnehmer gebe. Derzeit sind neben Österreich nur Tschechien und Deutschland dabei. Italien zog sich jüngst zurück. Die Niederlande, Belgien, Ungarn, das Baltikum und Rumänien verzögern ihren (an sich verpflichtenden) Beitritt. Acer, der Verband der europäischen Regulatoren, müsse Picasso prüfen und verbessern, forderte Italien. Ansonsten bleibe man dem Markt fern.