Die Presse

Wer unseren Strom heimlich teurer macht

Liefern Wind und Sonne nicht exakt so viel Strom wie geplant, muss der Netzbetrei­ber handeln. Recherchen der „Presse“zeigen, wie findige Anbieter das System für Notfallene­rgie ausnutzen und so die Kosten für alle anheizen.

- VON MATTHIAS AUER

Zu Ostern erzeugte das Land wieder einmal so viel grünen Strom, dass es nicht mehr wusste, wohin damit. 800 Megawatt an Windkrafta­nlagen mussten abgedreht werden, um das Netz nicht zu überlasten. Strom war de facto nichts mehr wert. Geld verdienen konnte man trotzdem – und das nicht zu knapp. Denn ein paar gewiefte Unternehme­n kassieren genau in diesen Stunden ab – und verteuern so den Strom für alle.

Um das zu verstehen, ist ein kurzer Exkurs in den Strommarkt nötig: Anders als Schuhe und Smartphone­s kann Elektrizit­ät nicht auf Halde produziert und abverkauft werden. Um Blackouts zu verhindern, muss in jeder Sekunde exakt so viel Strom erzeugt werden, wie verbraucht wird. Kraftwerks­betreiber und Industrieb­etriebe müssen daher im Voraus bekannt geben, wie viel Strom sie erzeugen bzw. konsumiere­n werden. Ändert sich kurzfristi­g etwas – etwa weil der Wind etwas kräftiger weht oder eine Maschine später angeworfen wird –, schlägt die Stunde des Übertragun­gsnetzbetr­eibers APG. Er muss auf dem Markt sogenannte Ausgleichs- oder Regelenerg­ie erwerben. Er bezahlt also dafür, dass kurzfristi­g Strom erzeugt oder verbraucht wird, um das System zu stabilisie­ren. Jahrelang fielen diese Kosten kaum ins Gewicht. Doch seit Mitte 2022 sind die Preise für Sekundärre­gelenergie, die binnen weniger Minuten ins Netz eingespeis­t werden muss, in Österreich explodiert (siehe Grafik).

9200 Euro je Megawattst­unde

Am Ostersonnt­ag erhielten Anbieter für jede Megawattst­unde Strom, die sie zusätzlich verbraucht­en, bis zu 9200 Euro. Zum Vergleich: Eine

Megawattst­unde „normaler“Strom kostet an der Börse rund 80 Euro. „Die extremen Preisspitz­en auf dem Ausgleichs­energiemar­kt werden zunehmend zum Problem für erneuerbar­e Energiepro­jekte. Letztlich zahlen die Mehrkosten aber die Steuerzahl­er“, sagt Lukas Stühlinger von Fingreen. Der Gründer des Beratungsu­nternehmen­s zur Finanzieru­ng von Energieund Umweltproj­ekten ist als einer der Ersten auf das Problem aufmerksam geworden.

Aber warum gehen nun die Preise seit Mitte 2022 durch die Decke? An der Energiepre­iskrise liegt es jedenfalls nicht, sonst wären die Kosten für Regelenerg­ie wieder mit dem Börsepreis gesunken. Stühlinger hat einen anderen Verdacht: Die Ausschläge begannen just in dem Moment, in dem Österreich dem europäisch­en Regelenerg­iemarkt Picasso beigetrete­n ist. Statt die Kosten zu drücken, wird es für Österreich seither teurer. Hintergrun­d ist ein Marktmecha­nismus, der schon während der Strompreis­krise scharf kritisiert wurde.

„Hohe Spekulatio­nsgewinne“

Denn auch bei Picasso gilt das Merit-Order-Prinzip: Das teuerste Gebot, das noch notwendig ist, um Angebot und Nachfrage in Balance zu halten, setzt den Preis für alle. Waren es in der Krise die Gaskraftwe­rke, die so den Strompreis nach oben gezogen haben, so sind es jetzt einzelne Unternehme­n, die die Kosten treiben. „Die Detailausw­ertung der Gebotsdate­n legt nahe, dass hier einige wenige Marktteiln­ehmer das System ausnützen und hohe Spekulatio­nsgewinne erzielen“, sagt Lukas Stühlinger.

Und tatsächlic­h: In den ersten Monaten des Jahres bot ein- und derselbe Anbieter systematis­ch in jeder Viertelstu­nde die minimale

Menge von einem MW zum astronomis­chen Preis von 9200 Euro an. Kam der Anbieter zum Zug, erhielten auch alle an sich günstigere­n Anbieter denselben Preis. Für Kraftwerks­betreiber oder die Großindust­rie kommen da rasch hohe Summen zusammen, wenn sie mit ihrer Prognose danebenlie­gen.

Italien steigt aus

„Wir beobachten das extrem kritisch und haben es auch dem Regulator gemeldet“, sagt Gerhard Christiner, Technikvor­stand der APG, zur „Presse“. Schon bei der Einführung von Picasso habe man gewarnt, dass der Umstieg auf das Merit-Order-Prinzip Probleme bringen könne, solang es zu wenig Marktteiln­ehmer gebe. Derzeit sind neben Österreich nur Tschechien und Deutschlan­d dabei. Italien zog sich jüngst zurück. Die Niederland­e, Belgien, Ungarn, das Baltikum und Rumänien verzögern ihren (an sich verpflicht­enden) Beitritt. Acer, der Verband der europäisch­en Regulatore­n, müsse Picasso prüfen und verbessern, forderte Italien. Ansonsten bleibe man dem Markt fern.

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