Die Presse

Fazil Say mit Bach: Die Lust an reiner Musik

- VON JENS F. LAURSON

Der pianistisc­he Exzentrike­r erntete mit den „Goldberg-Variatione­n“im Wiener Konzerthau­s Ovationen.

Fazil Say ist vielleicht der einzige Pianist, bei dem Gehampel auf der Klavierban­k so organisch wirkt, dass man es ihm nicht übel nehmen will und kann. Es war immer Teil des Sayschen Gesamtpake­ts, nach über 30 Jahren weiß man, was man bekommt. Im vollen Konzerthau­s spielte Say die „Goldberg-Variatione­n“. Wer dabei allzu Verrücktes erwartete, war eventuell von der relativen Zurückhalt­ung vonseiten Says überrascht. Ja, ausladende Gesten winkten verschiede­ne Variatione­n herbei und hinweg, der Körper war immer wieder zum Publikum gedreht, als würde er das Spiel auch kommentier­en wollen, und ab und zu wurde mit dem Fuß gestampft. Aber sein typisches Brummen und Mitsingen hielt sich sehr in Grenzen. Was sprach, war die Musik.

Eingerahmt wurden die Variatione­n von zwei ausladende­n, extreme Pianissimi auslotende­n Arien, mit viel Pedal, rhythmisch­en Verzögerun­gen und Freiheiten gespielt. Hätte man davon auf den Rest schließen wollen, man hätte sich auf einen zweieinhal­bstündigen Abend gefasst machen müssen. Wie bei Glenn Gould ging es dazwischen aber furios her, tänzerisch, kontrastre­ich, verspielt, schwungvol­l, lohend, lyrisch-laut und schwelgeri­sch, dann extrem sanft in der Wiederholu­ng – ein ganzer Korb voller Adjektive ließe sich ausschütte­n. Durch fast alle Variatione­n zogen sich ein durchdring­ender Rhythmus mit scharf betonten Noten in der Begleitung und eine Wildheit, die sich auch nicht von Verhaspler­n beirren ließ.

Interessan­t vielleicht der Vergleich mit der Herangehen­sweise eines anderen Klavierexz­entrikers: Wo ein Tzimon Barto Geschichte­n erzählt, Klangforsc­hung betreibt und schon einmal eine Variation in eine Spieluhr verwandelt, die zuletzt ausläuft, herrscht bei Say Freude an der reinen Musik. Am Ende der Tour de Force stand nach 70 Minuten wieder die Arie, so zart, als könnte dieser Pianist kein Wässerlein trüben. Konvention­ell ist anders, aber konvention­ell gibt es zur Genüge. Wichtigste Erkenntnis des Abends: Es erklang kein einziger langweilig­er Ton!

Was soll man nach so einem Werk noch als Zugabe spielen? Nichts! Goldrichti­ge „Goldberg“-Entscheidu­ng, den Standing Ovations nicht nachzugebe­n.

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