Fazil Say mit Bach: Die Lust an reiner Musik
Der pianistische Exzentriker erntete mit den „Goldberg-Variationen“im Wiener Konzerthaus Ovationen.
Fazil Say ist vielleicht der einzige Pianist, bei dem Gehampel auf der Klavierbank so organisch wirkt, dass man es ihm nicht übel nehmen will und kann. Es war immer Teil des Sayschen Gesamtpakets, nach über 30 Jahren weiß man, was man bekommt. Im vollen Konzerthaus spielte Say die „Goldberg-Variationen“. Wer dabei allzu Verrücktes erwartete, war eventuell von der relativen Zurückhaltung vonseiten Says überrascht. Ja, ausladende Gesten winkten verschiedene Variationen herbei und hinweg, der Körper war immer wieder zum Publikum gedreht, als würde er das Spiel auch kommentieren wollen, und ab und zu wurde mit dem Fuß gestampft. Aber sein typisches Brummen und Mitsingen hielt sich sehr in Grenzen. Was sprach, war die Musik.
Eingerahmt wurden die Variationen von zwei ausladenden, extreme Pianissimi auslotenden Arien, mit viel Pedal, rhythmischen Verzögerungen und Freiheiten gespielt. Hätte man davon auf den Rest schließen wollen, man hätte sich auf einen zweieinhalbstündigen Abend gefasst machen müssen. Wie bei Glenn Gould ging es dazwischen aber furios her, tänzerisch, kontrastreich, verspielt, schwungvoll, lohend, lyrisch-laut und schwelgerisch, dann extrem sanft in der Wiederholung – ein ganzer Korb voller Adjektive ließe sich ausschütten. Durch fast alle Variationen zogen sich ein durchdringender Rhythmus mit scharf betonten Noten in der Begleitung und eine Wildheit, die sich auch nicht von Verhasplern beirren ließ.
Interessant vielleicht der Vergleich mit der Herangehensweise eines anderen Klavierexzentrikers: Wo ein Tzimon Barto Geschichten erzählt, Klangforschung betreibt und schon einmal eine Variation in eine Spieluhr verwandelt, die zuletzt ausläuft, herrscht bei Say Freude an der reinen Musik. Am Ende der Tour de Force stand nach 70 Minuten wieder die Arie, so zart, als könnte dieser Pianist kein Wässerlein trüben. Konventionell ist anders, aber konventionell gibt es zur Genüge. Wichtigste Erkenntnis des Abends: Es erklang kein einziger langweiliger Ton!
Was soll man nach so einem Werk noch als Zugabe spielen? Nichts! Goldrichtige „Goldberg“-Entscheidung, den Standing Ovations nicht nachzugeben.