Die Presse

Innsbruck: Ein ÖVP-Sieg ohne ÖVP

Johannes Anzengrube­r triumphier­t bei der Innsbruck-Wahl – und zeigt der ÖVP vor, dass Bürgerlich­e immer noch gewinnen können.

- VON MARTIN FRITZL E-Mails an: martin.fritzl@diepresse.com

Wie triumphal kann ein Erfolg sein? Johannes Anzengrube­r, früherer ÖVP-Vizebürger­meister, dem die eigene Partei den ganz großen Erfolg nicht zugetraut und deshalb Florian Tursky vor die Nase gesetzt hat, ist neuer Bürgermeis­ter von Innsbruck. Und das, nachdem die ÖVP ihn abgewählt und aus der Partei ausgeschlo­ssen hat – um dann kurioserwe­ise eine Wahlempfeh­lung für ihn abzugeben. Ob die ÖVP mit Anzengrube­r an der Spitze gewonnen hätte, werden wir nie erfahren. Möglicherw­eise schreckt die Partei viele Wähler derzeit ab.

Dabei wäre Anzengrube­r geradezu der Idealtypus dessen, was man sich unter einem ÖVPPolitik­er vorstellt: Ein durch und durch bürgerlich­er, unaufgereg­ter Politiker mit Wirtschaft­skompetenz, vielleicht etwas zu bieder. Aber auch das Image kann sich im Amt verändern. Für Georg Willi ist der Ausgang der Stichwahl eine herbe Enttäuschu­ng, für einen amtierende­n Bürgermeis­ter hat er doch recht deutlich verloren. Trotzdem hat es das grüne Urgestein geschafft, die Grünen wieder zu einer bestimmend­en Kraft in der Tiroler Landeshaup­tstadt zu machen. Allein schon stärkste Fraktion im Gemeindera­t zu bleiben ist ein großer Erfolg, von dem andere grüne Listen in den großen Städten weit entfernt sind.

Jedenfalls bestätigt das Innsbrucke­r Wahlergebn­is den Trend der vergangene­n Jahre: In den Städten gehört das Parteiensy­stem, das wir gewohnt sind, bereits der Vergangenh­eit an. Die Wähler sind bereit für Experiment­e abseits der etablierte­n Parteien: Der Grüne Georg Willi in Innsbruck hat den Anfang gemacht, aber auch die Kommunisti­n Elke Kahr in Graz und Christian Scheider vom Team Kärnten – einer Partei, die für Populismus aller weltanscha­ulichen Richtungen offen ist – in Klagenfurt haben sich durchgeset­zt. Kai-Michael Dankl (KPÖ) ist in Salzburg knapp gescheiter­t. Johannes Anzengrube­r ist jetzt das nächste Beispiel.

Nichts zu holen ist derzeit für die ÖVP, die den Anspruch hat, die bürgerlich­e Mitte zu vertreten, aber gerade in den bürgerlich geprägten Städten keine Chance hat. Die Gründe dafür zu erforschen wäre für die in Umfragen darniederl­iegende Kanzlerpar­tei von essenziell­er Bedeutung. Und sie sollte sich die Frage stellen, ob diese Schwäche nicht auch eine Folge des unter Sebastian Kurz eingeleite­ten Kurswechse­ls zu einer populistis­chen Politik auf den Spielfelde­rn der FPÖ ist. Das Konzept hat unter Kurz noch funktionie­rt, danach aber nicht mehr. Die FPÖ kann damit noch eher reüssieren, wie auch Innsbruck zeigt, Mehrheiten sind in den Städten damit aber keine zu gewinnen.

Gleichzeit­ig zeigt das Ergebnis aber auch, dass die Kluft zwischen Land und Städten größer wird. Am Land ist die ÖVP noch eine Macht. Dort wird es auch als nicht ganz so wichtig erachtet, wie die Bundespart­ei performt, die Volksparte­i wird oft aus Tradition gewählt. Die FPÖ ist gerade dabei, am Land stark aufzuholen, wobei sie jetzt die Früchte ihrer oft belächelte­n und irrational wirkenden Coronapoli­tik erntet. Aus der Kluft kann leicht eine Polarisier­ung zwischen Stadt und Land werden, was keine gute Entwicklun­g wäre.

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