Comeback Kid „Hannes“ist Bürgermeister
Die Sensation ist perfekt. Von der ÖVP ausgebootet, trat Johannes Anzengruber mit eigener Liste an und wird in den kommenden sechs Jahren die Geschicke Innsbrucks leiten.
Er hat es tatsächlich geschafft. Der ehemalige Innsbrucker ÖVP-Vizebürgermeister Johannes Anzengruber setzte sich am Sonntag bei der Stichwahl gegen Amtsinhaber Georg Willi von den Grünen deutlich mit 59,6 Prozent zu 40,4 Prozent durch und ist der neue Bürgermeister Innsbrucks.
Offensichtlich gelang es ihm, neben bürgerlichen auch linksgerichtete Wähler für sich zu gewinnen. In einer ersten Reaktion nach Bekanntwerden des Ergebnisses zeigte er sich „überwältigt“und nannte das Resultat „genial“. Jetzt werde er erst einmal feiern und am Montag mit Koalitionsgesprächen beginnen.
Vor zwei Wochen war er noch mit 18,9 Prozent auf Platz zwei hinter Willi mit 22,9 Prozent gelandet. Auch die Gemeinderatswahl hatten die Grünen mit 18,9 Prozent gewonnen – vor Anzengrubers Liste „Ja – Jetzt Innsbruck“mit 16,8 Prozent. Anzengruber war vor ein paar Monaten von seiner Partei ausgeschlossen worden und trat mit eigener Liste an, nachdem er nicht akzeptiert hatte, dass Ex-Staatssekretär Florian Tursky zum Spitzenkandidaten wurde und nicht er. Für Tursky endete sein Antreten im Fiasko. Seine Liste „Das neue Innsbruck“(ÖVP plus „Für Innsbruck“plus Seniorenbund)
kam auf lediglich 10,2 Prozent, als Bürgermeisterkandidat landete er bei 10,4 – jeweils Rang fünf.
Beim Urnengang im Stadtteil Arzl hatte sich Anzengruber erneut siegessicher gezeigt: „Ich gehe davon aus, dass ich die Nase vorn habe“, sagt er. „Wir haben wirklich alles getan“, blickte er auf einen langen, intensiven Wahlkampf zurück. Sollte er nicht gewinnen, sei „jedes Ergebnis zu respektieren. Auch wenn ich nicht Bürgermeister werde, will ich mit meinem Team weiterarbeiten.“Anzengruber bezeichnete sich politisch einmal mehr als „Mann der Mitte“. Er habe eine „große Bewegung“aufgebaut und habe damit „eine große Freude“.
Wahrscheinliche Koalition
Hinsichtlich bevorzugter Koalitionsvarianten hielt sich Anzengruber auch nach seinem Sieg bedeckt, er werde mit allen Parteien Gespräche führen und schließe – so, wie er das auch bisher klargestellt hatte – niemanden aus, sagte er. Willi hingegen hatte sich im Fall eines Sieges explizit für eine sogenannte Caprese-Koalition zwischen Grünen, „Ja – Jetzt Innsbruck“und SPÖ ausgesprochen. Diese hätte 22 von 40 Sitzen im Gemeinderat und somit eine knappe Mehrheit.
Eine Variante, die immer noch realistisch und sogar wahrscheinlich ist, denn eine wirkliche Alternative hat Anzengruber nicht. Eine (rechnerisch mögliche) Koalition mit FPÖ und SPÖ ist nämlich ebenso unrealistisch wie eine mit FPÖ, „Das neue Innsbruck“und der Liste Fritz. Denn sowohl SPÖ als auch Liste Fritz haben einer Koalition mit den Freiheitlichen bereits eine Absage erteilt. Eine Zusammenarbeit mit Turskys Liste ist zwar nicht ausgeschlossen, aber nach Anzengrubers Rauswurf eher nicht zu erwarten.
Einst lag der Arbeitsplatz des ehemaligen Wirtes der Arzler Alm auf einer Seehöhe von 1057 Metern über Innsbruck – schon bald zieht er in den zweiten Stock des Rathauses. Erfolgsrezept für Anzengruber war wohl auch die Zusammenstellung seiner Liste. Abseits seiner langjährigen Mitstreiterin, Ex-ÖVP-Gemeinderätin Mariella Lutz, präsentierte er durchwegs neue Köpfe, die offenbar den bürgerlichen Anspruch bei gleichzeitigem Neuanfang glaubwürdiger verkörperten als die mit arrivierten Kräften gespickte Liste Turskys. Diese hatte ebenfalls mit einem „Neuanfang“zu punkten versucht.
In seinem Wahlkampf stellte sich der 45-Jährige als leutseliger Verfechter der Stadtteile dar. Auch in seinem Logo – ein bunter, sechszackiger Asterisk bzw. Stern – wurden diese anhand von Farben dargestellt, und seine Bemühungen blieben dort nicht unbemerkt: Seine „Stadtteilgespräche“stießen bei der Bevölkerung durchaus auf Interesse und erhielten regen Zulauf. Anzengruber wie auch seine Familie waren vor seinem Alleingang stets mit der ÖVP verbunden. Schon seine Großmutter, die Thaurerin Maria Giner, saß für die Volkspartei als eine der ersten Frauen im Tiroler Landtag. Nach seiner Entscheidung, in die Politik einzusteigen, katapultierte er sich bei der Gemeinderatswahl im Jahr 2018 über einen Vorzugsstimmenwahlkampf in die vordere Reihe der Innsbrucker Stadtpartei.
Bevor er im Jahr 2020 auf Franz Xaver Gruber als Vizebürgermeister folgte, bekleidete er für ein Jahr das Amt des Klubobmannes. Mit dem Vizebürgermeisteramt gab Anzengruber auch die Arzler Alm auf, die seine Familie seit 2001 führte. Und die wohl auch viel zu seiner jetzigen Popularität beigetragen hat.
„Bürgerliche Alternative“
Doch Anzengruber – der sich selbst gern als politischen Selfmademan und als ehemaliger Unternehmer in der Tradition der verstorbenen Bürgermeisterin Hilde Zach sieht – konnte sich mit den Gepflogenheiten in der Tiroler Volkspartei nicht abfinden. Weil er nicht selbst als Bürgermeisterkandidat
und Stadtparteiobmann nominiert wurde, sondern Florian Tursky, gründete er kurzerhand selbst eine Liste. Er trat als bürgerliche Alternative zum ÖVP-„Für Innsbruck“-Bündnis „Das Neue Innsbruck“an und war für ÖVP und „Für Innsbruck“mehr als nur ein Stachel im Fleisch. Das Tischtuch mit seiner eigentlichen politischen Heimat galt seit dem Bruch als zerschnitten – sowohl auf Stadt- als auch auf Landesebene. Dort warf man ihm unter anderem mangelnde Teamfähigkeit vor. Dass Anzengruber offenbar den Inhalt einer vertraulichen Unterredung mit ÖVP-Landeshauptmann Anton Mattle öffentlich machte, brachte das Fass zum Überlaufen.
Ein Konflikt, den der ehemalige Ringer „Hannes“als Sieger beendet. Er wird demnächst ins Bürgermeisterbüro einziehen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er sehr hoch gepokert: Finanzierte er doch gemeinsam mit seiner Frau, Valentina, den 290.000 Euro teuren Wahlkampf fast zur Gänze selbst. Ein Risiko, das sich letztlich auszahlte.
Der 1979 geborene Johannes Anzengruber ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er absolvierte die HTL Anichstraße und arbeitete vor der Übernahme der Arzler Alm in der IT-Abteilung der Tirol Kliniken. Zudem studierte er Gesundheitswissenschaften.