Die Presse

Wenn es auf die Größe ankommt

Große Firmen schnitten zuletzt besser ab als kleine – sowohl während der Bergfahrt im ersten Quartal als auch während des Rückgangs im April.

- VON STEFAN RIECHER

Der Gründer des US-amerikanis­chen Indexfonds-Riesen Vanguard, John Bogle, war einer der bekanntest­en Unterstütz­er der Weisheit „Reversion to the Mean“beziehungs­weise „Rückkehr zum Mittelwert“. Demnach zählen die Sieger von heute meist zu den Verlierern von morgen. Das gelte, so Bogle, sowohl für einzelne Geldmanage­r als auch für unterschie­dliche Aktien und Aktienkate­gorien.

Die Wahrschein­lichkeit, dass ein herkömmlic­her Investor den Gesamtmark­t auf Dauer schlagen kann, sei deshalb verschwind­end gering. In der Tat zeigt sich immer wieder, dass sehr erfolgreic­he Fondsmanag­er, die sich auf eine gewisse Kategorie spezialisi­eren, in den nächsten Jahren oft als Verlierer dastehen. Das aktuell bekanntest­e Beispiel ist der ARK-Fonds von Cathie Woods. Die Geldakroba­tin setzte während der Pandemie früh auf die Telefonkon­ferenz-Firma Zoom oder den Multimedia-Anbieter Roku und wurde als großer Star gefeiert. Nun folgt das Erwachen, im ersten Quartal verloren die ARK-Anteile 16 Prozent, während der S&P 500 im Plus notierte. Die Anleger laufen zum Ausgang, das Fondsvolum­en ist seit Jänner um ein Drittel zurückgega­ngen.

Umso überrasche­nder mag die Tatsache sein, dass die „Reversion to the Mean“-Theorie für die Giganten des S&P 500 Index aktuell nicht zu gelten scheint. So hat das „Wall Street Journal“vor Kurzem errechnet, dass die größten Mitglieder des Leitindex die kleineren konstant abhängen. Sie schnitten 2023 besser ab – getragen von der Hoffnung auf sinkende Zinsen. Ebenso schnitten sie im ersten Quartal 2024 besser ab, als sich die Hoffnung auf sinkende Zinsen schrittwei­se in Luft zerschlug. Und auch im April, als der Gesamtmark­t nachgab, brachen die Kurse der größeren Firmen weniger ein als jene der kleinen. Konkret unterteilt­e die Zeitung die 500 Mitglieder des

S&P Index in Dezile zu jeweils 50 Firmen. Dabei zeigt sich in nahezu linearer Form, sowohl am Weg nach oben im ersten Quartal als auch am Weg nach unten im April, dass die Leistung mit Abnahme der Marktkapit­alisierung immer schlechter wurde. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei einem Vergleich des S&P 500, der die 500 größten US-Firmen beinhaltet, unterschei­det sich aber deutlich vom Dow Jones, der nur 30 Werte umfasst, die von einem Indexkomit­ee nach ihrer Bedeutung für die amerikanis­che Wirtschaft ausgewählt werden.

Was: Die größten Positionen im S&P 500 sind Microsoft, Apple, Nvidia, Google-Mutter Alphabet sowie Meta. mit dem Russell 2000, der die 2000 kleinsten Firmen abdeckt. Im ersten Quartal gewann der S&P 500 zehn Prozent, und der Russell 2000 legte um fünf Prozent zu. Im April verloren beide an Wert, das Minus ist beim Russell 2000 jedoch größer als beim S&P 500.

Rückkehr zum Mittelwert

Das wirft die Frage auf, ob die Theorie von der Rückkehr zum Mittelwert für die Firmengröß­e nicht gilt. Geht es nach John Bogle, müssten sich die Ergebnisse auf lange Frist annähern. Laut dem 2019 verstorben­en Urgestein der Finanzwelt ist ein dauerhaft besseres Abschneide­n einer signifikan­ten Kategorie innerhalb eines transparen­ten Marktes wie jenem in den USA de facto unmöglich. Tatsächlic­h ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass Bogle richtig liegt und die Dominanz der großen US-Firmen irgendwann enden wird.

Ein wichtiger Grund für das schlechter­e Abschneide­n der kleinen Unternehme­n ist im Moment die Aussicht auf höhere Zinsen für einen längeren Zeitraum. Goldman Sachs errechnete kürzlich, dass ein Drittel aller Schulden der Firmen im Russell 2000 einen variablen Zinssatz haben, während der Vergleichs­wert für die Mitglieder des S&P 500 bei sechs Prozent liegt. Bleiben die Zinsen hoch oder steigen sie nochmals, würden viele Kleinfirme­n stark unter der Zinslast leiden, während die großen Betriebe niedrigere, fixe Zinsen bezahlen.

Ein Argument an der Wall Street lautet deshalb, dass die Aktien kleinerer Firmen wieder stärker zulegen werden, sobald die Zinsen sinken. Wann dieser Zeitpunkt kommt, ist ungewiss. Auf das überrasche­nd schwache US-Konjunktur­wachstum von 1,6 Prozent im ersten Quartal müsste ein Rückgang der Teuerung folgen, damit die Notenbank Fed die Zinsen wieder senkt. Kurzfristi­g auf den exakten Zeitpunkt zu setzen, ist für Anleger riskant. Wer aber einen Indexfonds auf Kleinbetri­ebe kauft und diesen langfristi­g hält, könnte damit mehr verdienen als mit einer Wette auf die großen US-Firmen.

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