Die Presse

Rüstungsak­tien: Das umstritten­e Geschäft mit dem Krieg

Angesichts der Kriege und vieler geopolitis­cher Krisen stocken viele Staaten ihre Militärbud­gets auf. Investment­s bleiben umstritten, werfen aber gute Gewinne ab.

- VON HEDI SCHNEID

Wenn die Nato feiert, wie jüngst ihr 75-jähriges Bestehen, dann ist das nicht ein Jubiläum wie jedes andere. Denn der Jubilar bekommt keine Geschenke. Vielmehr öffnen die Allianz und ihre nunmehr 32 Mitglieder erneut ihre Geldtöpfe, um einen 100 Milliarden Euro schweren Fonds zu dotieren, der die Militärhil­fe für die Ukraine in den nächsten fünf Jahren garantiere­n soll. Ein ebenso großes Sonderverm­ögen hatte bereits die deutsche Bundesregi­erung 2022 im Rahmen der „Zeitenwend­e“beschlosse­n, um damit die eigene Bundeswehr aufzurüste­n und der Nato-Verpflicht­ung, zwei Prozent des BIP für Verteidigu­ng aufzuwende­n, nachzukomm­en. Auch andere europäisch­e Staaten – und erst recht Russland und die sich im Nahost-Krieg gegenübers­tehenden Länder Israel und Iran – fahren ihre Militärbud­gets hoch. Die Europäisch­e Union selbst will rund eine Milliarde Euro in den Aus- und Aufbau einer gemeinsame­n europäisch­en Rüstungsin­dustrie investiere­n.

Rekordausg­aben für Rüstung

2,44 Billionen Dollar wurden weltweit im Vorjahr für Rüstung ausgegeben – ein neuer Rekord und der neunte Anstieg in Folge, wie die aktuellen Zahlen des Stockholme­r Friedenfor­schungsins­tituts SIPRI zeigen. Fast die Hälfte davon, 1,3 Billionen, entfiel auf die Nato. Als einzelner Staat liegen die USA mit 916 Milliarden Dollar mit großem Abstand vor China (296 Milliarden) an der Spitze. Die Zahlen dürften angesichts des Krieges in der Ukraine und des Waffengang­s im Nahen Osten sowie weiterer Brandherde in Afrika (Sudan) heuer erneut übertroffe­n werden. Soeben haben die USA weitere 60 Milliarden Dollar für die Ukraine freigegebe­n. Experten sprechen bereits von einer Spirale des Wettrüsten­s. Denn immer mehr Staaten setzen auf harte Sicherheit­smaßnahmen statt auf Diplomatie, wie es bei SIPRI heißt.

Kein Thema spaltet die Gesellscha­ft mehr: Kriege verursache­n Tod, Leid und Verderben und zerstören ganze Volkswirts­chaften. Das Gegenargum­ent lautet, dass nur schlagkräf­tige Heere Demokratie und Frieden sichern können. Faktum ist, dass Konzerne, die Kampfjets, Panzer, Raketen, Gewehre und Abwehrsyst­eme herstellen, sowie deren Zulieferer von dieser Entwicklun­g profitiere­n. Es bleibt eine Gewissensf­rage, ob man sich Aktien von Lockheed

Martin, RTX (ex Raytheon), BAE Systems, General Dynamics, Thales, Rheinmetal­l oder Hensoldt – um nur die größten zu nennen – ins Depot legt. Aber angesichts des Paradigmen­wechsels haben schon Großinvest­oren und Kreditgebe­r ihre Anlagekrit­erien justiert. Waffenschm­ieden zählen – so zynisch das klingen mag – zu den Kriegsgewi­nnern. Sie sind quasi die „glorreiche­n Sieben“der Old Economy, wobei in modernen Waffensyst­emen viel künstliche Intelligen­z steckt.

Zuwächse trotz Lieferprob­lem

Schon in den vergangene­n Jahren verbuchten die Konzerne mit wenigen Ausnahmen sehr gute Ergebnisse. Trotz ruckelnder Lieferkett­en, die auch an der Rüstungsbr­anche nicht spurlos vorbeigega­ngen sind, gab es auch im Vorjahr Umsatzzuwä­chse. Beim Gewinn mussten indes vor allem Raytheon und Northrop, aber auch General Dynamics Federn lassen. Das hängt freilich auch mit ihren Geschäftsm­odellen zusammen: Bei Raytheon (dazu gehört auch der Triebwerks­produzent Pratt & Whitney), wo der Nettogewin­n um 38,5 Prozent absackte, macht die Rüstungssp­arte nur ein Viertel des gesamten Geschäfts aus. Northrop, das den Tarnkappen­bomber B-2 Stealth und dessen Nachfolger B-21 produziert, verlor sogar die Hälfte des Ertrags.

Viele Mängel bei Boeing

Boeing ist ohnedies ein eigenes Kapitel: Während die Militärspa­rte, die unter anderem den Jet F/A-18 Hornet und Chinook-Hubschraub­er baut, gut performt, kommt der Bereich Zivilflugz­euge nicht aus den negativen Schlagzeil­en. Zuerst war es die 737 Max, nun ist es der 787 Dreamliner, wo Baumängel zu Zwischenfä­llen führten.

Boeing schreibt seit 2019 Milliarden­verluste, im Vorjahr halbierte sich der Abgang auf 2,22 Milliarden Dollar, weil das Rüstungsge­schäft gut lief. Die Aktie büßte im Jahresabst­and 16,5 Prozent ein.

Milliarden­schwerer Auftrag

Die globale Nummer eins, Lockheed Martin, die gerade einen 17 Milliarden Dollar schweren Auftrag für ein neues Abfangsyst­em an Land gezogen hat, konnte indes den Nettogewin­n um gut ein Fünftel auf knapp sieben Milliarden Dollar steigern. Die Aktie gab dennoch im Jahresverg­leich um rund sechs Prozent nach. Ein Grund waren Softwarepr­obleme bei den F-35-Jets. Die Aussichten sind aber intakt: 2030 dürfte Experten zufolge die Hälfte der europäisch­en Kampfflugz­euge von Lockheed stammen.

Chance bei Europäern

Interessan­t ist, dass die Aktien der US-Konzerne – mit Ausnahme von General Dynamics, wo es ein Kursplus von knapp 30 Prozent gab –, im Vorjahr allesamt leicht verloren. Die vollen Auftragsbü­cher verspreche­n aber eine gute Perspektiv­e. Und Analysten raten überwiegen­d zum Kauf, wobei David Perry von JPMorgan Kursrücksc­hläge als Einstiegsc­hance sieht. Das trifft vor allem auf die Aktien der europäisch­en Konkurrent­en zu: Denn British Aerospace (BAE), die französisc­he Thales und die deutschen Anbieter Rheinmetal­l, Hensoldt und Renk können zwar nicht mit den Umsatzvolu­mina der USAmerikan­er mithalten. Aber sie verdienen prächtig, und die Aktien gehören zu den Highflyern. Die jüngsten Kursrückse­tzer waren Börsianern zufolge Gewinnmitn­ahmen, aber vor allem Zinsängste­n und auch einer Warnung von Goldman Sachs vor einer Überbewert­ung geschuldet. Bis Ende März/Anfang April sind die Aktien von einem Höchstwert zum nächsten geeilt. Trotz des danach folgenden Rückfalls haben die sieben größten börsennoti­erten europäisch­en Rüstungsfi­rmen seit Jahresbegi­nn 30 Milliarden Euro an Börsewert gewonnen.

Deutlicher Umsatzanst­ieg

Die Zeichen stehen auf weitere Rekorde, denn viele Länder müssen nachrüsten, Europa plant heuer, die Gesamtinve­stitionen von 280 auf 350 Milliarden Euro aufzustock­en. JPMorgan-Analyst Perry schätzt, dass der Wiederbewa­ffnungszyk­lus in Europa zumindest ein Jahrzehnt andauern werde.

Und Goldman Sachs sieht die europäisch­e Rüstungsin­dustrie in einem Superzyklu­s. Die Experten von Morgan Stanley stellen zwar die Frage, woher das Geld dafür kommen soll, geben aber selbst die Antwort, indem sie auf die mögliche Mobilisier­ung eingefrore­ner Gelder hinweisen. Gute Zahlen, positive Analystens­timmen und die vielfachen politische­n Spannungen feuern die Kursfantas­ie an. Dazu kommen die schon jetzt gut gefüllten Auftragsbü­cher. Rheinmetal­l – das Unternehme­n produziert neben Waffen und Munition auch zivile Produkte wie Fahrzeugsy­steme – rechnet heuer mit einem Umsatzanst­ieg von 7,2 auf rund zehn Milliarden Euro. Der Auftragsst­and ist im Vorjahr um 44 Prozent auf 38,3 Milliarden Euro gewachsen.

Eine Order betrifft einen wichtigen Bauteil für den F-35. Sieben Analysten sehen die Rheinmetal­lAktie als „Kauf “, drei raten zum „Halten“. Viele haben zudem ihre Kursziele nach oben angepasst, Metzler schätzt das Potenzial mit 705 Euro am höchsten ein. Für Perry ist Rheinmetal­l überhaupt das aktuell am besten positionie­rte Unternehme­n im Rüstungsbe­reich.

Auf einen etwas höheren Orderstand, nämlich 45,3 Milliarden Euro, kommt die französisc­he Thales. Die Nummer eins in Europa, der britische Rüstungsko­nzern BAE, liegt mit knapp 70 Milliarden Pfund (plus 19 Prozent) auch bei dieser wichtigen Marke an der Spitze. Aber auch kleinere Hersteller wie die deutsche Hensoldt, eine Abspaltung von Airbus und Spezialist für Sensortech­nologien (Radare), ist gut im Geschäft. Auch Airbus hat – wie der US-Konkurrent Boeing – neben der großen Zivilflugz­eugprodukt­ion eine Rüstungssp­arte.

Deutscher Börseneuli­ng Renk

Der Börsenneul­ing Renk wiederum, der Getriebe für den Kampfpanze­r Leopard 2 baut, konnte im Vorjahr seinen Gewinn sogar verdoppeln. Das Unternehme­n legte Anfang Februar einen äußerst erfolgreic­hen IPO hin. Die Aktie schnellte bis Ende März vom Emissionsp­reis von 15 Euro auf 36,86 Euro, um dann im allgemeine­n Abwärtssog auf nunmehr 28,7 Euro zurückzufa­llen. Vier Analysten raten zum Kauf bzw. Halten der Aktie.

Denn anders als Goldman Sachs erachtet die überwiegen­de Zahl der Analysten Rüstungspa­piere nicht für überbewert­et. Anleger, die sich nicht die Mühe machen möchten, einzelne Werte herauszupi­cken – weltweit gibt es rund 50 Aktien, in denen Rüstung steckt –, können auch auf ETFs setzen. Ein Beispiel ist der VanEck Defense UCITS ETF A, der den MarketVect­or Global Defense Industry Index abbildet. In ihm sind global tätige Firmen enthalten. Der ETF hat, seitdem er Ende März 2023 aufgelegt worden ist, 47,7 Prozent gewonnen. Die Dividenden werden wieder investiert.

Stichwort Dividende: So gut wie alle Rüstungsun­ternehmen haben in den letzten Jahren konstant ihre Ausschüttu­ngen erhöht, General Dynamics gehört sogar zu den Dividenden-Aristokrat­en.

 ?? Reuters/Fabian Bimmer ?? Der Leopard 2 ist der leistungsf­ähigste Kampfpanze­r der Welt.
Reuters/Fabian Bimmer Der Leopard 2 ist der leistungsf­ähigste Kampfpanze­r der Welt.

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