Im letzten Moment in U-Bahn: Geld nach Unfall
Ein Mann wurde zwischen U-Bahn-Türen verletzt. Der Fahrer hatte die Warnung vergessen, nicht mehr einzusteigen. Die Wiener Linien gaben dem Fahrgast die Schuld. Doch der OGH nimmt die Verkehrsbetriebe in die Pflicht.
„Einsteigen, bitte!“, hatte der U-Bahn-Fahrer noch verlautbart, um zu zeigen, dass es bald losgeht. Der Satz „Steigen Sie nicht mehr ein!“fiel aber nicht. Der Fahrer verabsäumte es, die Fußtaste, mit der das Abspielen des warnenden Tonbands ausgelöst wird, zu betätigen. Und ein Mann war – wie im Wiener U-BahnAlltag regelmäßig zu beobachten – noch im letzten Moment in den Waggon gestiegen. Dann funktionierte auch noch der in die Türen eingebaute Schutzmechanismus nicht. Der Fahrgast wurde durch die Türen verletzt, und so galt es nun vor Gericht die Frage zu klären: Durfte der Mann noch einsteigen, oder hätte er draußen bleiben müssen?
Der Betroffene hatte eine Jahreskarte und damit einen Vertrag mit den Wiener Linien. Aus diesem ergeben sich Schutzpflichten, und die Verkehrsbetriebe müssen beweisen, dass sie nichts falsch gemacht haben. Und der Mann ging davon aus, dass die Türen nicht schließen würden, solang er im Türraum steht. Der UBahn-Fahrer hätte ebendies sehen können, er schloss die Türen aber trotzdem. Die akustischen und optischen Warnsignale oberhalb der Tür funktionierten, nicht jedoch der eingebaute Einklemmschutz. Als die Tür den Mann traf, öffnete sie sich nicht wieder, sondern drückte ihn ins Wageninnere.
Körper nach rechts gedreht
Als Reaktion auf die sich schließenden Türen hatte der Mann seinen Körper nach rechts gedreht und dabei den rechten Arm abgewinkelt. Er wurde an Arm und Schulter verletzt und verlangte Schadenersatz. Das Unglück geschah im Jahr 2017 auf der Linie U4 in einer Bahn ohne getrennte Waggons (Typ V genannt).
Der Zug sei aber in der Station schon abgefertigt gewesen, argumentierten die Wiener Linien. Nach ihren Beförderungsbedingungen und auch laut dem Eisenbahngesetz habe der Mann daher nicht mehr einsteigen dürfen. Und da der Wagen im Einstiegsbereich so voller Hindernisse war, hätte der Fahrgast erst recht auf die nächste U-Bahn warten müssen. Der Mann hatte erklärt, dass er den Türbereich nicht verlassen konnte, weil andere Fahrgäste ihm den Weg verstellt hätten.
Das Bezirksgericht Innere Stadt gab der Klage des Fahrgasts auf rund 14.000 Euro Schadenersatz statt. Der Mann habe nicht die Beförderungsbedingungen verletzt. Die Wiener Linien hingegen hätten zu verantworten, dass der Einklemmschutz der Türen nicht funktioniert habe. Und ebenso, dass der U-Bahn-Fahrer das Tonband vor der Abfahrt nicht eingespielt habe.
Auch das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen nahm die Wiener Linien in die Pflicht. Es dürfe nicht passieren, dass die Tür eines öffentlichen Verkehrsmittels sich schließe, während ein Fahrgast einsteigt. Ein Mitverschulden könne man dem Mann nicht anlasten, weil er in dieser Situation nicht damit rechnen musste, dass sich die Türen schließen. Er habe ein Recht auf seine Forderungen (abzüglich von rund tausend Euro zu einem schon verjährten Punkt).
Die Wiener Linien meinten aber, dass nichts passiert wäre, wenn sich der Mann nicht gedreht und dadurch der rechte Türflügel an den Ellenbogen des Mannes angestoßen wäre. Außerdem könne man die bisherige strikte Judikatur zur Haftung bei vollautomatisch schließenden Türen nicht auf diesen Fall umsetzen. Denn in diesem Fall sei der Fahrer für die Schließung der Tür verantwortlich gewesen.
Das mache aber keinen Unterschied, befand der Oberste Gerichtshof (OGH). Und „der Einbau funktionierender sensibler Fühlerkanten als Schutz vor dem Einklemmen“sei eine „jedenfalls zumutbare Maßnahme“zur Sicherung der Kunden. Ein Fahrgast brauche mit dem Schließen der Tür eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht zu rechnen, „wenn er mit dem Einsteigevorgang begonnen hat“. Und der Mann sei auch definitiv vor Abfertigung des Zuges eingestiegen.
Mitverschulden noch zu klären
Damit stehen nun die Zeichen darauf, dass der Verletzte Geld von den Wiener Linien erhält. Die Höchstrichter schickten den Fall (2 Ob 232/ 23s) aber noch einmal ans Landesgericht zurück. Denn dieses habe nicht alle für ein etwaiges Mitverschulden des Mannes relevanten Feststellungen des Bezirksgerichts übernommen. Diese Punkte gelte es deswegen noch einmal zu überprüfen. Bleibt es beim bisherigen Stand der Dinge, hat der Mann aber ein Recht auf Schadenersatz ohne Abzüge. „Nach dem bisher gesichert feststehenden Sachverhalt“, so betonte der OGH, wäre dem Verletzten „kein Mitverschulden anzulasten“.