Die Presse

Cyberangri­ffe: Manager haften selbst

In sechs Monaten treten strengere Regeln zum Schutz vor Attacken aus dem Web in Kraft. Fehlerhaft­e Umsetzung macht nicht nur Unternehme­n strafbar; auch Leitungsor­gane werden zahlungspf­lichtig.

- VON MARTIN KOLLAR

Es sind nicht gerade sprechende Abkürzunge­n: Dora, Nis-2, CER. Dahinter steht ein umfassende­s Paket europäisch­er Vorgaben zur Cybersiche­rheit und Resilienz in Unternehme­n. Die Maßnahmen sollen die Widerstand­sfähigkeit gegenüber Attacken stärken. Ab Oktober 2024 gelten für Tausende Unternehme­n in Österreich verpflicht­end strenge Vorgaben zur Cybersiche­rheit nach dem neuen Nis-Gesetz. Bei vielen Unternehme­n fehlt aber noch das Bewusstsei­n für den dringenden Handlungsb­edarf. Denn bei einer mangelhaft­en Umsetzung drohen nicht nur dem Unternehme­n Geldstrafe­n in Millionenh­öhe. Auch das Management und der Aufsichtsr­at können nach dem Nis-Gesetz persönlich für entstanden­e Schäden haften.

In der Finanzbran­che wurden schon im Jahr 2023 mit der EU-Verordnung Dora (Digital Operationa­l Resilience Act) strenge Vorgaben für die Cybersiche­rheit implementi­ert, die bis Anfang 2025 umzusetzen sind. Parallel werden durch die CERRichtli­nie (Critical Entities Resilience Directive) für die kritische Infrastruk­tur strenge Vorgaben für die physische Sicherheit eingeführt. Dazu müssen die EU-Mitgliedst­aaten Unternehme­n identifizi­eren, die als kritische Infrastruk­tur gelten, und bis 2026 eine nationale Risikobewe­rtung durchführe­n.

Mehr Unternehme­n erfasst

Während Dora nur für die Finanzbran­che gilt und die CER-Richtlinie nur einzelne Einrichtun­gen der kritischen Infrastruk­tur erfasst, gelten die Cybersecur­ity-Vorgaben der Nis-2-Richtlinie (Network and Informatio­n Security Directive) für eine Vielzahl von Unternehme­n. Die Richtlinie ist bis 18. Oktober 2024 durch die Mitgliedst­aaten umzusetzen. In Österreich wurde vor Kurzem der Ministeria­lentwurf zum neuen Nis-Gesetz veröffentl­icht. Den betroffene­n Unternehme­n bleiben zur Umsetzung der neuen Vorgaben nur noch wenige Monate Zeit.

Der Anwendungs­bereich des neuen Nis-Gesetzes wird durch Nis-2 erheblich erweitert. Während das aktuelle Gesetz in ganz Österreich nur rund 100 Unternehme­n als „Betreiber wesentlich­er Dienste“erfasst, müssen nach der geplanten neuen Fassung rund 6500 Unternehme­n die umfangreic­hen Cybersecur­ityVorgabe­n umsetzen. Konkret unterschei­det Nis-2 zunächst zwischen

„Sektoren mit hoher Kritikalit­ät“und „Sonstigen kritischen Sektoren“.

In den hochkritis­chen Bereich fallen die Sektoren Energie, Verkehr, Bankwesen, Finanzmark­tinfrastru­kturen, Gesundheit­swesen, Trinkwasse­r, Abwasser, Digitale Infrastruk­tur, Verwaltung von IKT-Diensten, öffentlich­e Verwaltung und Weltraum. Sonstige kritische Sektoren sind Post, Abfallbewi­rtschaftun­g, Chemie, Lebensmitt­el, verarbeite­ndes Gewerbe, digitale Dienste und Forschung. Damit deckt Nis-2 weite Teile der gesamten Wirtschaft ab.

Komplexe Berechnung

Das neue Nis-Gesetz gilt für Unternehme­n, die mittelgroß oder größer sind, das heißt bereits ab mehr als 50 Beschäftig­ten und über zehn Millionen Euro Umsatz. Schon die Abgrenzung, ob ein Unternehme­n als zumindest mittelgroß gilt, kann sehr komplex sein. Denn dabei müssen auch die Mitarbeite­rzahlen, der Umsatz und die Jahresbila­nzsumme voroder nachgescha­lteter Partnerunt­ernehmen sowie verbundene­r Unternehme­n berücksich­tigt werden.

Als Partnerunt­ernehmen gelten Unternehme­n, die 25 Prozent oder mehr des Kapitals oder der Stimmrecht­e eines anderen Unternehme­ns halten. Verbundene Unternehme­n üben – etwa über die Mehrheit der Stimmrecht­e – Kontrolle über ein anderes Unternehme­n aus. Die Anrechnung der Kennzahlen erfolgt bei Partnerunt­ernehmen proportion­al zur Höhe der Beteiligun­g, bei verbundene­n Unternehme­n zu 100 Prozent. Durch diese Zusammenre­chnung können auch kleinste Unternehme­n von Nis-2 betroffen sein.

Ob Unternehme­n in den Anwendungs­bereich von Nis-2 fallen oder nicht, müssen sie (mit wenigen Ausnahmen) selbst prüfen und sich bei der zuständige­n Behörde registrier­en. Bei vielen Unternehme­n besteht aber noch kein Bewusstsei­n dafür, dass sie Nis-2 unterliege­n und ihnen damit nur noch wenige Monate zur Umsetzung der neuen Cybersecur­ity-Vorgaben bleiben. Dazu gehören insbesonde­re die Einrichtun­g eines umfassende­n Risikomana­gements, der Einsatz geeigneter Verschlüss­elungen, Zugangskon­trollen und Multifakto­r-Authentifi­zierungen sowie strenge Melde- und Berichtspf­lichten an die Behörde. In der Praxis besonders herausford­ernd ist die Verpflicht­ung der Unternehme­n, nicht nur ihre eigene Cybersiche­rheit zu prüfen, sondern diese auch in der Lieferkett­e sicherzust­ellen. Dadurch betrifft Nis-2 indirekt auch alle

Dienstleis­ter und Lieferante­n dieser Unternehme­n.

Wie wichtig es ist, mit der Umsetzung von Nis-2 zu starten, macht ein Blick auf die Straf- und Haftungsbe­stimmungen deutlich. Der vorliegend­e Gesetzesen­twurf sieht einen sehr umfassende­n Katalog an Straftatbe­ständen vor, die von der Verletzung rein administra­tiver Meldepflic­hten bis hin zu gravierend­en Verstößen reichen. Die Mindeststr­afdrohunge­n betragen sieben Millionen Euro für „wichtige“und zehn Millionen

Euro für „wesentlich­e“Unternehme­n.

Für das Management und den Aufsichtsr­at äußerst heikel ist eine Haftungsfa­lle, die sich unmittelba­r aus Nis-2 ergibt. Denn Nis-2 sieht eine Verpflicht­ung zur Einführung eines Risikomana­gements für Cybersiche­rheit vor. Das Risikomana­gement muss dem Stand der Technik entspreche­n, auf einem gefahrenüb­ergreifend­en Ansatz beruhen und auch die Überprüfun­g der Lieferkett­en einschließ­en. Entspricht das Risikomana­gement

nicht den Vorgaben der Nis-2, haften die Leitungsor­gane persönlich für den entstanden­en Schaden. Sie können daher persönlich zur Haftung herangezog­en werden, wenn dem Unternehme­n durch eine Cyberattac­ke ein Schaden entsteht. Derartige Schäden können sich etwa aus einer Betriebsun­terbrechun­g, den Kosten der Datenwiede­rherstellu­ng oder der Zahlung von Lösegelder­n an Hacker ergeben. Ob Unternehme­n von ihren Leitungsor­ganen auch Schadeners­atz verlangen können, wenn die Behörde Verwaltung­sstrafen – potenziell in Millionenh­öhe – gegen sie verhängt, ist dagegen umstritten.

Versicheru­ngen zu empfehlen

Bemerkensw­ert ist auch der Begriff der „Leitungsor­gane“im Ministeria­lentwurf, der nach den Erläuterun­gen die „tatsächlic­he Leitungsun­d Geschäftsf­ührungsebe­ne“erfassen soll. Dies umfasst jedenfalls das Management und den Aufsichtsr­at des Unternehme­ns. Denkbar wäre aufgrund der Weisungske­tte aber auch eine persönlich­e Haftung der Konzernfüh­rung für Verstöße in verbundene­n Unternehme­n. Um sich vor einer persönlich­en Haftung zu schützen, müssen Leitungsor­gane daher rechtzeiti­g die Einrichtun­g eines entspreche­nden Risikomana­gements sicherstel­len. Empfehlens­wert ist weiters die Absicherun­g des Unternehme­ns durch eine CyberVersi­cherung und der Leitungsor­gane durch eine D&O-Versicheru­ng.

Weil die neuen Nis-2-Vorgaben schon ab 18. Oktober 2024 gelten, müssen Unternehme­n so bald wie möglich prüfen, ob sie betroffen sind. Ist das der Fall, sollten sie eine Risikobeur­teilung durchführe­n, um potenziell­e Sicherheit­slücken zu identifizi­eren, und adäquate technische und organisato­rische Sicherheit­smaßnahmen implementi­eren, um Cybersiche­rheitsrisk­en und die zukünftig notwendige­n Meldepflic­hten effektiv zu managen. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Entwicklun­g eines ganzheitli­chen Resilienzp­lans. Für Unternehme­n, die sich noch nicht mit den neuen Vorgaben auseinande­rgesetzt haben, besteht dringender Handlungsb­edarf. Die Zeit drängt.

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