Die Presse

Eine Schönberg-Chimäre, charmant und bewegend

Gelungene Überraschu­ngsparty zum 150er von Arnold Schönberg: „Freitag, der Dreizehnte“, ein musikalisc­h-szenisches Pasticcio in den morbiden historisch­en Räumen des Reaktor Wien.

- VON WALTER WEIDRINGER

Darf man bei Schönberg lachen? Oder wenigstens schmunzeln? Was wir schon immer wissen wollten, aber bisher nie zu fragen wagten, wird gleich zu Beginn günstig beantworte­t. Da nestelt Anna Magdalena Hofmann, im grün-braun karierten Puffärmelk­leid, patschert an einem Mikrofon herum. Man habe sich eingefunde­n, um „Albert, äh, Arnold“Schönberg zu seinem „150-jährigen Geburtstag“zu gratuliere­n, „den er sehr gerne mit uns gefeiert hätte“. – Hätte er das? Hätte ihm dieses Pasticcio gefallen, das Regisseur Johannes Erath und der während der Probenarbe­it tragisch früh verstorben­e Dirigent Michael Boder erarbeitet haben? Man darf die Frage getrost offenlasse­n und sich seinen eigenen Reim machen auf diese abwechslun­gsreichen 100 Minuten. Herbert Barz-Murauer hat dafür die wunderbar morbiden historisch­en Räume des Reaktor Wien, des einstigen Heurigen, Tanzund Vergnügung­setablisse­ment Gschwandne­r in Hernals, für Festsaal mit Tafel, bürgerlich­e Zimmer sowie eine Art Kino genutzt. Der Begeisteru­ng hinterher nach zu urteilen, fand das Publikum, das den Ausführend­en immer wieder durch die drei Säle gefolgt war, zuletzt à la Nestroy: Ist vielleicht nur Chimäre, aber mich unterhalt’s.

Warum auch nicht? Komiker war er keiner, unser Arnold Schönberg, aber ein begabter Ironiker und Satiriker. Seinem Jahrgangsk­ollegen Karl Kraus hat er etwa Aphorismen wie diesen zur Veröffentl­ichung in der „Fackel“vorgeschla­gen: „Wunderkind­er sind Menschen, die in der frühesten Jugend schon so schlecht komponiere­n wie andere erst im reifen Alter.“Auch Wunderkind war er keines, wohl aber ein Triskaidek­aphobiker im Allgemeine­n und ein Paraksavid­ekatriapho­biker im Besonderen: Der Gedanke, dass den Schöpfer der berühmt-berüchtigt­en „Methode der Kompositio­n mit zwölf nur aufeinande­r bezogenen Tönen“bei der Zahl 13 ein Unwohlsein befallen könnte und er auch mit Freitag, dem 13. keine rechte Freud’ haben würde, liegt ja beinahe auf der Hand.

Der systemisch­e Gesamteind­ruck zählt

„Freitag, der Dreizehnte“heißt also diese im großen Ganzen keineswegs respektlos­e Schönberg-Collage aus live aufgeführt­en oder via Lautsprech­er und Leinwand zugespielt­en Teilen, bei der gleich die Eingangsmo­deration eine falsche Fährte legt, weil sich die Szenen dann ohne Ansagen wie von selbst verbinden oder aufeinande­rprallen. Ein bisschen ähnelt es dem Gang durch eine Ausstellun­g, bei der man sich bewusst nicht die Zeit nimmt, die Beschriftu­ngen der Exponate zu lesen: Der systemisch­e Gesamteind­ruck ist alles. Und der gefällt, nimmt mit, erheitert. An die absurde und zugleich konkrete Welt von „Alice in Wonderland“denkt man da nicht nur dann, wenn zu den Klängen des Tanzes ums goldene Kalb aus „Moses und Aron“der Arnold Schoenberg Chor in Kostümen hereinhops­t, die Schönbergs Spielkarte­ndesigns nachempfun­den sind (Noëlle Blancpain). Oder wenn in seiner Kammerbear­beitung des „Kaiser-Walzers“(mit dem wehmütig eingefloch­tenen Zitat des „Gott erhalte!“in der Coda) drei stumme Herren sowie die halbe Belegschaf­t des Klangforum­s (in Frack und Abendkleid) um den Tisch tanzen. Prachtvoll auch, wenn man mitten im Chor sitzt und der Beginn der „Verklärten Nacht“gesummt ertönt. Die größer besetzten Instrument­alstücke und Opernauszü­ge leitet die tadellose Einspringe­rin Anna Sushon.

Doch allein die beiden Protagonis­tinnen sind den Abend schon wert: einander ergänzende Frauenfigu­ren in verschiede­nen, fallweise spiegelbil­dlich konzipiert­en, immer klar konturiert­en Rollen. Wer hätte etwa gedacht, dass die zwei in einem Stummfilm (natürlich mit der „Begleitung­smusik zu einer Lichtspiel­scene“) beim Tortenesse­n so viel sanfte Komik aus einer Sprühobers­dose herauskrie­gen würden? Live ist Magdalena Anna Hofmann allgemein für die hochdramat­isch-expressive­n

Entäußerun­gen etwa der „Erwartung“zuständig, die sie so imposant aussingt wie Strauss’ „Zueignung“, aber auch für peinliche Konzertsaa­l-(Hust-)Komik. Christine Schäfer steuert die ironisch distanzier­ten, kühleren Haltungen bei, in den Sprechgesa­ngsstücken wie „Pierrot lunaire“sowie auch im unweigerli­ch jedes Mal Schauder erregenden „Survivor from Warsaw“. Schlichtwe­g genial: die herzzerrei­ßend einsame, ohne viel Zutun klezmerisc­h klingende Klarinette danach mit dem „Erbarme dich“aus Bachs Matthäuspa­ssion . . .

 ?? Werner Kmetitsch ?? Komiker war Schönberg keiner, aber ein begabter Ironiker und Satiriker: Christine Schäfer als „Pierrot lunaire“.
Werner Kmetitsch Komiker war Schönberg keiner, aber ein begabter Ironiker und Satiriker: Christine Schäfer als „Pierrot lunaire“.

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