Die Presse

Physiker der TU Wien berichten: Erstmals gelang es, mit Laserlicht einen Atomkern anzuregen

Eine lang gesuchte Verbindung von Quanten- und Kernphysik: Thorium-Atomkerne ließen sich via Laserlicht in einen höheren Energiezus­tand versetzen. Das könnte Atomkernuh­ren ermögliche­n.

- VON THOMAS KRAMAR

Warum ist unsere Welt farbig und nicht nur langweilig braun? Weil Quantensys­teme – etwa Elektronen in Atomen – nur ganz bestimmte Energiezus­tände einnehmen können. Das heißt: Sie können auch nur definierte Energiemen­gen aufnehmen oder abgeben, die jeweils für sie typisch sind. Darum färbt Natrium die Flamme gelb, aber Kalium violett. Und darum kann man mit einem Laser messen, welche Energiezus­tände z. B. ein Elektron in einem Atom hat: Entspricht die Energie des Lasers genau der Differenz zwischen dem niedrigste­n Energiezus­tand des Elektrons (seinem Grundzusta­nd) und einem höheren Zustand, dann kann das Elektron in den höheren Zustand springen. Die Physiker sagen: Es wird angeregt.

Auch ein Atomkern, der aus Protonen und Neutronen besteht (und diese wiederum aus Quarks), ist ein Quantensys­tem, wenn auch ein komplizier­teres. Auch er kann mehrere Energiezus­tände einnehmen. Kann man ihn also mit Laserlicht anregen? Eher nicht, sagt die physikalis­che Schulweish­eit: Die Differenze­n zwischen den Energiezus­tänden eines Atomkerns sind zu groß. Das ist schade, denn Physiker würden erstens gern die Energien der Zustände von Atomkernen mittels Laser messen. Zweitens sind Atomkerne viel kleiner als Atome, darum auch weniger anfällig für Störungen durch elektromag­netische Felder. So würden sie präzisere Messungen erlauben. Man könnte etwa mit Atomkernuh­ren die Zeit noch genauer messen als mit Atomuhren.

Zum Glück gibt es doch einen – nicht allzu exotischen – Atomkern, der einen Energiezus­tand hat, der ungewöhnli­ch nahe dem Grundzusta­nd liegt: das Thorium-Isotop 229Th. Das Element Thorium, von seinem schwedisch­en Entdecker Jöns Jakob Berzelius 1829 nach dem germanisch­en Gott Thor benannt, kommt in etlichen Isotopen vor, die alle radioaktiv sind. 229Th ist eher selten, es entsteht beim radioaktiv­en Zerfall von Uran.

Im ultraviole­tten Bereich

Von diesem Zerfall weiß man auch, dass die Differenz zwischen den beiden niedrigste­n Zuständen des 229Th nur ungefähr acht Elektronen­volt beträgt. Das entspricht ultraviole­ttem Licht mit einer Wellenläng­e von ungefähr 150 Nanometern. (Sichtbares Licht liegt zwischen 400 und 780 Nanometern.) Seit gut 50 Jahren gibt es UV-Laser, es sollte also möglich sein, diese Thorium-Atome anzuregen.

Das sagt sich leicht, war aber technisch schwierig. Vor allem, weil es mit „ungefähr acht

Elektronen­volt“nicht getan ist. Man muss die Energie auf ein Millionste­l Elektronen­volt genau treffen. Und man braucht genug Thorium-Atome auf kleinem Raum. Das erzielten die Forscher um Thorsten Schumm von der TU Wien, indem sie solche in nur einige Millimeter große Kalziumflu­orid-Kristalle einbauten.

Radioaktiv­e Kristalle

Auch das ist nicht leicht, weil 229Th ja radioaktiv ist. Darum war es günstig, dass Schumm am Atominstit­ut im Prater arbeitet, wo man mit Radioaktiv­ität umzugehen versteht. Dort wurden die Kristalle hergestell­t. Mit Laserlicht bestrahlt wurden sie an der Physikalis­ch-Technische­n Bundesanst­alt in Braunschwe­ig.

Auch in anderen Labors arbeitet man an der Laseranreg­ung von 229Th. So war es für das Team aus Wien und Braunschwe­ig auch der Sieg in einem wissenscha­ftlichen Wettrennen, als am 21. November 2023 die Thorium-Kerne endlich ein klares Signal lieferten. Die Publikatio­n in „Physical Review Letters“war entspreche­nd schnell fertig. Jetzt will man die Technik nutzen. „Von Anfang an war der Bau einer Atomkernuh­r ein wichtiges Fernziel“, sagt Schumm. Mit einer solchen könnte man etwa das Gravitatio­nsfeld der Erde, das ja laut Einstein den Fluss der Zeit verändert, vermessen.

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