In Italien ist EU-Wahl Chefinnensache
Für die Parteien ist das EU-Votum nur ein interner Stimmungstest, deshalb kandidieren Regierungs- und Oppositionschefin. Die Lega schickt einen rassistischen Ex-General ins Rennen.
Italiens Premierministerin erstrahlt derzeit in – sehr blassem – EU-Blau. Im süditalienischen Pescara stand Giorgia Meloni am Wochenende auf einer himmelblauen Bühne, trug einen türkisen Blazer und blickte ins tiefblaue Meer. „Italien verändert Europa“, stand hinter ihr in Europa-Blau, gleich beim Fratelli d‘ Italia Parteilogo mit neofaschistischer Flamme.
Auf welche Art und Weise nun ausgerechnet Italien Europa reformieren will, verrät die rechtsnationale Politikerin zum Schluss ihrer Rede: „Giorgia, schreibt Giorgia, nur meinen Vornamen, auf den Wahlzettel. Denn ich bin eine von euch“, kündigte sie ihre eigene Kandidatur bei der Europawahl im Juni an.
„Auch Giorgia genannt“
Natürlich kann man nicht „Giorgia“auf den Zettel schreiben, dann wäre die Stimme ungültig. Ein Kompromiss könnte die etwas schwerfällige Bezeichnung „Giorgia Meloni, auch Giorgia genannt“sein. Und selbstverständlich wird ein Giorgia-Sieg nicht dazu führen, dass die Premierministerin ins EU-Parlament zieht. „Keine Minute meiner kostbaren Zeit als Regierungschefin werde ich für den EUWahlkampf verschwenden“, verspricht sie. Ziel sei vielmehr: „Wir wollen in Europa machen, was wir auch in Italien gemacht haben.“Das wäre: „Rechtsgerichtete Kräfte zusammenzubringen und die Linke in die Opposition zu schicken.“
Melonis italienischen Brüder, Nachfolger der Neofaschisten der Nachkriegszeit, regieren seit Herbst 2022 gemeinsam mit der rechtspopulistischen Lega und der Mitte-rechtsPartei Forza Italia. Meloni ist populär, in Umfragen liegt ihre Partei weiterhin bei 27 Prozent. Von der Marke Meloni soll nun auch das von ihr angeführte rechtspopulistische EU-Bündnis profitieren: Die europäischen Konservativen und Reformer, denen unter anderem die spanische
Liebe Homosexuelle, ihr seid nicht normal, erkennt das endlich!
Roberto Vannacci Lega-Kandidat und suspendierter General
ultrarechte Vox und die polnische PiS angehören, hoffen auf große Gewinne beim Votum im Juni.
De facto reduziert Meloni aber das EU-Votum auf ein internes Referendum über ihren Führungsstil. Die Zukunft der EU dürfte der Regierungschefin, die trotz EU-feindlicher Töne der Vergangenheit in der Europapolitik einen moderat-pragmatischen Kurs fährt, eher egal sein. Es geht um Punkte im Inland. Als Trostpreis könnte sie ihre geliebte Schwester, Arianna, nach Brüssel schicken, die ebenfalls kandidiert.
Meloni ist im italienischen EUWahlkampf keine Ausnahme. Selbst der „,Signor‘ Europa“der Regierung, der frühere EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, kandidiert persönlich für seine Mitte-rechts-Partei Forza Italia, obwohl auch er ganz bestimmt nicht seinen Job als Außenminister an den Nagel hängen wird, um als „einfacher“Abgeordneter nach Brüssel zurückzukehren.
Nicht einmal die deklariert europafreundliche Opposition verfolgt europäische Interessen. Auch ihr geht es vor allem darum, bei dieser „Testwahl“den Mitte-rechts-Parteien eins auszuwischen. Daher schicken die Sozialdemokraten des PD ihre scharfzüngige Parteivorsitzende, Elly Schlein, ins Rennen. Für die Liberalen kandidiert deren Chef, Carlo Calenda, der übrigens bereits im EUParlament saß. Es wäre erstaunlich, wenn die beiden den heißen Wettkampf um die Macht in Italien für eine EU-Parlamentskarriere aufgeben würden. Sie behaupten das auch gar nicht.
Die hohe Anzahl an Polit-Promis als EU-Spitzenkandidaten, die ihr Kandidatur-Versprechen nie einlösen werden, machen den EU-Wahlkampf in Italien zum Unikat. Für zusätzliche Würze sorgt der EU-skeptische Lega-Chef Matteo Salvini. Um sich selbst und seine Partei aus dem chronischen Umfragetief zu retten, setzt er auf Schock- und Skandaltherapie: In den Wahlkampf schickt er den derzeit wohl umstrittensten Mann der italienischen Öffentlichkeit: den suspendierten General Roberto Vannacci.
Der 55-Jährige tritt als unabhängiger Spitzenkandidat der Lega in Rom an – trotz heftiger Proteste vieler Lega-Mitglieder, der Forza Italia und Melonis Partei: Erst im Februar hatte deren Verteidigungsminister Guido Crosetto, Vannacci für elf Monate wegen seines Buches „Verkehrte Welt“suspendiert.
Anklage wegen Rassenhass
Darin bedient Vannacci sämtliche Ressentiments: „Liebe Homosexuelle, ihr seid nicht normal, erkennt das endlich! Die Natur beweist das doch, sie ermöglicht allen normalen und gesunden Lebewesen, sich fortzupflanzen“, schreibt er. Oder: Frauen gehörten wieder an den Herd, „denn auch wenn sie arbeiten, sind sie unzufrieden“. Die Folge des Feminismus seien nur die vielen Abtreibungen, Scheidungen und Probleme bei Minderjährigen. Außerdem seien nur Menschen weißer Hautfarbe „echte Italiener“, Migranten, die sich nicht integrierten, seien „Invasoren“. Ähnlich beschimpft er Veganer, Tierschützer oder Umweltaktivisten.
Die Staatsanwaltschaft Rom ermittelt wegen des Verdachts auf Anstiftung zum Rassenhass. Doch die „verkehrte Welt“verkaufte in Italien schon mehr als 200.000 Exemplare.
Für einen frischen Eklat sorgte Vannacci gleich am Wochenende, anlässlich seiner Kandidatur. In einem Interview forderte er Sonderklassen für Schüler mit Behinderung. Damit verärgerte Salvini zwar noch mehr seine Regierungs- und Parteipartner, aber er bekam die Schlagzeilen, die er brauchte. Bis ihm Meloni mit ihrer Kandidatur die Show stahl.