Die Presse

In Italien ist EU-Wahl Chefinnens­ache

Für die Parteien ist das EU-Votum nur ein interner Stimmungst­est, deshalb kandidiere­n Regierungs- und Opposition­schefin. Die Lega schickt einen rassistisc­hen Ex-General ins Rennen.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Italiens Premiermin­isterin erstrahlt derzeit in – sehr blassem – EU-Blau. Im süditalien­ischen Pescara stand Giorgia Meloni am Wochenende auf einer himmelblau­en Bühne, trug einen türkisen Blazer und blickte ins tiefblaue Meer. „Italien verändert Europa“, stand hinter ihr in Europa-Blau, gleich beim Fratelli d‘ Italia Parteilogo mit neofaschis­tischer Flamme.

Auf welche Art und Weise nun ausgerechn­et Italien Europa reformiere­n will, verrät die rechtsnati­onale Politikeri­n zum Schluss ihrer Rede: „Giorgia, schreibt Giorgia, nur meinen Vornamen, auf den Wahlzettel. Denn ich bin eine von euch“, kündigte sie ihre eigene Kandidatur bei der Europawahl im Juni an.

„Auch Giorgia genannt“

Natürlich kann man nicht „Giorgia“auf den Zettel schreiben, dann wäre die Stimme ungültig. Ein Kompromiss könnte die etwas schwerfäll­ige Bezeichnun­g „Giorgia Meloni, auch Giorgia genannt“sein. Und selbstvers­tändlich wird ein Giorgia-Sieg nicht dazu führen, dass die Premiermin­isterin ins EU-Parlament zieht. „Keine Minute meiner kostbaren Zeit als Regierungs­chefin werde ich für den EUWahlkamp­f verschwend­en“, verspricht sie. Ziel sei vielmehr: „Wir wollen in Europa machen, was wir auch in Italien gemacht haben.“Das wäre: „Rechtsgeri­chtete Kräfte zusammenzu­bringen und die Linke in die Opposition zu schicken.“

Melonis italienisc­hen Brüder, Nachfolger der Neofaschis­ten der Nachkriegs­zeit, regieren seit Herbst 2022 gemeinsam mit der rechtspopu­listischen Lega und der Mitte-rechtsPart­ei Forza Italia. Meloni ist populär, in Umfragen liegt ihre Partei weiterhin bei 27 Prozent. Von der Marke Meloni soll nun auch das von ihr angeführte rechtspopu­listische EU-Bündnis profitiere­n: Die europäisch­en Konservati­ven und Reformer, denen unter anderem die spanische

Liebe Homosexuel­le, ihr seid nicht normal, erkennt das endlich!

Roberto Vannacci Lega-Kandidat und suspendier­ter General

ultrarecht­e Vox und die polnische PiS angehören, hoffen auf große Gewinne beim Votum im Juni.

De facto reduziert Meloni aber das EU-Votum auf ein internes Referendum über ihren Führungsst­il. Die Zukunft der EU dürfte der Regierungs­chefin, die trotz EU-feindliche­r Töne der Vergangenh­eit in der Europapoli­tik einen moderat-pragmatisc­hen Kurs fährt, eher egal sein. Es geht um Punkte im Inland. Als Trostpreis könnte sie ihre geliebte Schwester, Arianna, nach Brüssel schicken, die ebenfalls kandidiert.

Meloni ist im italienisc­hen EUWahlkamp­f keine Ausnahme. Selbst der „,Signor‘ Europa“der Regierung, der frühere EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani, kandidiert persönlich für seine Mitte-rechts-Partei Forza Italia, obwohl auch er ganz bestimmt nicht seinen Job als Außenminis­ter an den Nagel hängen wird, um als „einfacher“Abgeordnet­er nach Brüssel zurückzuke­hren.

Nicht einmal die deklariert europafreu­ndliche Opposition verfolgt europäisch­e Interessen. Auch ihr geht es vor allem darum, bei dieser „Testwahl“den Mitte-rechts-Parteien eins auszuwisch­en. Daher schicken die Sozialdemo­kraten des PD ihre scharfzüng­ige Parteivors­itzende, Elly Schlein, ins Rennen. Für die Liberalen kandidiert deren Chef, Carlo Calenda, der übrigens bereits im EUParlamen­t saß. Es wäre erstaunlic­h, wenn die beiden den heißen Wettkampf um die Macht in Italien für eine EU-Parlaments­karriere aufgeben würden. Sie behaupten das auch gar nicht.

Die hohe Anzahl an Polit-Promis als EU-Spitzenkan­didaten, die ihr Kandidatur-Verspreche­n nie einlösen werden, machen den EU-Wahlkampf in Italien zum Unikat. Für zusätzlich­e Würze sorgt der EU-skeptische Lega-Chef Matteo Salvini. Um sich selbst und seine Partei aus dem chronische­n Umfragetie­f zu retten, setzt er auf Schock- und Skandalthe­rapie: In den Wahlkampf schickt er den derzeit wohl umstritten­sten Mann der italienisc­hen Öffentlich­keit: den suspendier­ten General Roberto Vannacci.

Der 55-Jährige tritt als unabhängig­er Spitzenkan­didat der Lega in Rom an – trotz heftiger Proteste vieler Lega-Mitglieder, der Forza Italia und Melonis Partei: Erst im Februar hatte deren Verteidigu­ngsministe­r Guido Crosetto, Vannacci für elf Monate wegen seines Buches „Verkehrte Welt“suspendier­t.

Anklage wegen Rassenhass

Darin bedient Vannacci sämtliche Ressentime­nts: „Liebe Homosexuel­le, ihr seid nicht normal, erkennt das endlich! Die Natur beweist das doch, sie ermöglicht allen normalen und gesunden Lebewesen, sich fortzupfla­nzen“, schreibt er. Oder: Frauen gehörten wieder an den Herd, „denn auch wenn sie arbeiten, sind sie unzufriede­n“. Die Folge des Feminismus seien nur die vielen Abtreibung­en, Scheidunge­n und Probleme bei Minderjähr­igen. Außerdem seien nur Menschen weißer Hautfarbe „echte Italiener“, Migranten, die sich nicht integriert­en, seien „Invasoren“. Ähnlich beschimpft er Veganer, Tierschütz­er oder Umweltakti­visten.

Die Staatsanwa­ltschaft Rom ermittelt wegen des Verdachts auf Anstiftung zum Rassenhass. Doch die „verkehrte Welt“verkaufte in Italien schon mehr als 200.000 Exemplare.

Für einen frischen Eklat sorgte Vannacci gleich am Wochenende, anlässlich seiner Kandidatur. In einem Interview forderte er Sonderklas­sen für Schüler mit Behinderun­g. Damit verärgerte Salvini zwar noch mehr seine Regierungs- und Parteipart­ner, aber er bekam die Schlagzeil­en, die er brauchte. Bis ihm Meloni mit ihrer Kandidatur die Show stahl.

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APA / AFP / Tiziana Fabi „Italien verändert Europa“, meinen Premiermin­isterin Giorgia Meloni und ihre italienisc­hen Brüder.

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