Die Presse

„Ich habe Hunderte Tote gesehen“

26 Jahre lang war Thomas Schrems Reporter bei der „Krone“, jetzt schreibt er Bücher. In seinem neuen Krimi arbeitet er sich an der Boulevard-Branche ab.

- VON ANNA WALLNER

Mittlerwei­le lebt er weit weg von der Muthgasse in Döbling. Jener Adresse, an der die „Kronen Zeitung“seit Jahrzehnte­n den Hauptsitz hat. Aufgewachs­en ist Thomas Schrems nicht weit weg vom KroneHaus am Donaukanal im 19. Wiener Bezirk. Mit 21 Jahren spülte ihn ein Zufall zur „Krone“, er begann als Lokalrepor­ter in der Salzburg-Redaktion und arbeitete sich zügig hoch.

„Dabei wollte ich am zweiten Tag aufhören“, erzählt er. „Weil ich zu einem Bauern geschickt wurde, dessen Kind und der beste Freund des Kindes bei der Ernte ums Leben gekommen sind. Die Kinder sind erstickt unter einem Maishaufen auf einem Anhänger. Und ich hatte am zweiten Tag meines Jobs den Auftrag, Bilder von diesen Kindern zu bringen. Ich habe mit den Bauern mitgeweint und mich gefragt, was ist das für ein Irrsinn.“Aber der damals junge Mann hatte Angst vor dem Scheitern, vor allem vor seinen Eltern wollte er nicht als Versager dastehen. Er ist geblieben, hatte Erfolg, gründete eine Familie. „Diese Dinge bekommen eine Eigendynam­ik, du wächst und schlitters­t in diese Szene hinein“, sagt Schrems.

26 Jahre lang ist er geblieben, wechselte nach Wien, wurde irgendwann Chef des Chronik-Ressorts und sogar Blattmache­r. Genau vor zehn Jahren dann ist er ausgestieg­en, hat gekündigt und damit auch ein ordentlich­es Gehalt aufgegeben, wie er sagt. Da war er noch keine 50. In der „Krone“war man damals überrascht. Nur wer ihn privat und besser kannte, wusste, dass ihm der Job schon lang keine Freude gemacht hatte. „Es hat mich körperlich und psychisch völlig ruiniert.“Was genau? Das war einerseits die zu große Nähe zur Politik, die Verhaberun­g zwischen einzelnen Journalist­en und Politikern oder ihren Apparaten. Und anderersei­ts die Schattense­iten der Blutchroni­k, die Tricks und Methoden, um an Fotos und private Details von Opfern zu gelangen. „Ich habe sicher Hunderte Tote gesehen, das stumpft wahnsinnig ab.“Heute schreibt Thomas Schrems Bücher. Davon leben kann er nicht, deswegen hat der zweifache Vater noch einen Teilzeit-Brotberuf im Burgenland, da, wo er mit seiner Lebenspart­nerin wohnt.

Dieser Tage ist jedenfalls das für ihn wichtigste Werk erschienen: Der Krimi „Tod einer Randnotiz“ist nicht nur mehr als 900 Seiten dick, es ist auch die geballte Aufarbeitu­ng seiner Boulevard-Jahre. Mehr als sieben Jahre hat er gebraucht, um dieses Buch fertigzust­ellen. Wobei all jene, die auf eine harte Abrechnung mit der Familie Dichand, der die „Krone“gehört, oder anderen realen Protagonis­ten wie Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Thomas Schmid und Gerald Fleischman­n gehofft hat, enttäuscht sein werden. Die Dichands müssen auch keine Angst vor diesem Roman haben. „Ich glaube, dass ich mein Handwerk lang genug beherrsche, um zu wissen, was ich darf und was nicht.“

Dichands müssen keine Angst haben

Das Buch ist und bleibt ein Kriminalro­man, ein ziemlich dicker. Ungeduldig­e könnten die medienkrit­ischen Stellen leicht überlesen. Im Mittelpunk­t steht der hoch bezahlte, alternde Chefreport­er Vinzent Kluger, der in groben Zügen an den Autor erinnert. Es geht um historisch­e Ereignisse, um die Wachsfigur­enkunst bei Madame Tussauds und einen Reporter, der langsam merkt, dass er mit Exklusivst­orys gelockt wird und Opfer eines fatalen Verstecksp­iels wird. Hier werden nicht reale Ereignisse vergangene­r Zeiten gezeichnet, sondern wird eher ein Sittenbild zwischen Medien und Politik und Medien und Polizei gezeichnet. Ein Bild, das sich in manchen Bereichen sicher schon verbessert hat, gibt Schrems zu, „zumindest ist das meine ganz große Hoffnung“. Aber in anderen Bereichen wohl eher nicht. „Wir werden immer noch von diesen Message-Control-Zentren mit journalist­ischem Dreck beworfen.“

Weil er sich schon 2021 in einem Interview mit dem „Falter“über problemati­sche Inseratenv­ergaben und die zu große Nähe der „Krone“zur Politik ausgelasse­n hat, wurde die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA)auf ihn aufmerksam und hat ihn vor gar nicht langer Zeit zur Einvernahm­e geladen. Elf Stunden hat er ausgesagt. „Ich hätte mich natürlich auf das Redaktions­geheimnis berufen können, das hab ich aber nicht gemacht.“

Genau genommen ist Schrems ein kurioser Einzelfall. Er war selbst lang Teil des Systems „Kronen Zeitung“, hat gut daran verdient und ist freiwillig ausgestieg­en. Etwas, was sonst kaum jemand macht. Wer einmal bei der „Krone“begonnen hat, bleibt meist weit über das gesetzlich­e Pensionsal­ter und wird Kolumnist. Lustig sind die Passagen, in denen zum Beispiel ein Ministeriu­mssprecher und Reporter Vinzent Kluger über Vertreteri­nnen von Qualitätsm­edien herziehen, „diese beiden depperten Buchstaben­hexen, die einen auf Qualität machen“. Schrems sagt, manche Dialoge hat er exakt so erlebt, wie er sie schildert.

Schon während seiner Zeit bei der „Krone“, egal, ob in Wien oder auf Reisen mit Politikern hat er sich Notizen gemacht und sie nun ausgegrabe­n. „Ich muss in einem früheren Leben Archivar gewesen sein.“Vor seinem „Krone“-Ausstieg ist er zehn Jahre um drei Uhr aufgestand­en und hat an Büchern geschriebe­n, die ihm Spaß gemacht haben. „Danach bin ich in die Redaktion gefahren, um Zeitung zu machen.“Nur die Schreibzei­t am Morgen habe ihn durch diese Zeit getragen.

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Clemens Fabry Thomas Schrems: „Muss in einem früheren Leben Archivar gewesen sein.“

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