Zukunftsstadt im Kleinformat
Saudiarabiens ehrgeizige Hightech-Projekte sind selbst für den Ölgiganten zu teuer. Die Pläne für die Zukunftsstadt „The Line“werden nun gekürzt.
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman will sein Land aus dem Ölzeitalter herausführen und zu einem Hightech-Staat machen. Sein Reformprogramm „Vision 2030“setzt auf spektakuläre Projekte wie die 170 Kilometer lange Zukunftsstadt „The Line“. Nun aber muss der Prinz die Pläne für „The Line“und andere Vorhaben zusammenstreichen. Selbst für den Ölgiganten Saudiarabien sind sie zu teuer.
„The Line“soll nach den Worten von Prinz Mohammed das urbane Leben revolutionieren: Entlang einer 170 Kilometer langen Linie sollen im Endausbau neun Millionen Menschen leben, die trotz der riesigen Ausmaße der Stadt alles, was sie fürs tägliche Leben brauchen, in wenigen Minuten zu Fuß erreichen können. „The Line“kennt weder Straßen noch Autos. Die Stadt ist der erste Teil des Zukunftsprojekts „Neom“, das für Gesamtkosten von 500 Milliarden Dollar entstehen und Städte, Häfen, Forschungseinrichtungen und Hightech-Firmen mit CO2-freiem Leben verbinden soll.
Allein „The Line“soll 200 Milliarden Dollar kosten und in einer ersten Phase bis 2030 rund 1,5 Millionen Menschen eine neue Heimat bieten. Doch nun senkte die saudische Regierung die Zahl der Bewohner, die zu diesem Datum erwartet werden, um 80 Prozent auf weniger als 300.000, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg meldete. In den kommenden sechs
Jahren werden demnach nur 2,4 Kilometer der angestrebten Gesamtlänge von 170 Kilometern von „The Line“fertig. Riad dementierte den Bericht nicht.
Alles hängt vom Ölpreis ab
Die saudische Führung hatte schon Ende vorigen Jahres einige Kürzungen angekündigt. Finanzminister Mohammed al-Jadaan sagte damals, dass einige Projekte der „Vision 2030“nicht im ursprünglich geplanten Zeitplan verwirklicht werden könnten. Diese Verzögerungen seien ein Plus für die saudische Wirtschaft, weil damit Ausgaben gesenkt würden, sagte der Minister. Die Haushaltspolitiker in Riad erwarten auf Jahre hinaus Budgetdefizite, weshalb manche Projekte der „Vision“nach den Worten des Ministers auf die Zeit nach 2030 verschoben werden müssen. Bei welchen der Megavorhaben der Rotstift angesetzt werden soll, war lang unklar. Die Kürzungen bei „The Line“sind das erste konkrete Beispiel.
Saudiarabien muss nicht zum ersten Mal sparen. Als in der Pandemie der Ölpreis fiel, musste das Land wegen wegbrechender Einnahmen die Mehrwertsteuer auf 15 Prozent verdreifachen. Nun muss die Regierung in Riad sogar bei den Lieblingsprojekten des Kronprinzen kürzertreten. Das liegt zum einem wieder am Ölpreis. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass Saudiarabien für einen ausgeglichenen Haushalt einen Preis von 96 Dollar pro Barrel (159 Liter) braucht, 2023 lag der Preis im Schnitt unter 83 Dollar. Der Gaza-Krieg und die Spannungen zwischen Israel und dem Iran haben ihn in jüngster Zeit wieder hochgetrieben, aber das reicht nicht.
Zudem hat Saudiarabien bisher weniger ausländische Investoren gewinnen können als erhofft. Offiziell peile das Land bis 2030 ausländische Direktinvestitionen von 100 Milliarden Dollar im Jahr an, sagt Thomas Demmelhuber, Nahost-Experte an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg. „Aber hier hakt es gewaltig.“Ausländische Investoren seien weiter zurückhaltend, sagt Demmelhuber. „Sie warten vermutlich auf die Finalisierung der ersten Infrastrukturgroßprojekte und scheuen die aktuell volatile geopolitische Lage in der Region. Und so muss aktuell der Staat selbst die Finanzierungslücke schließen.“
Wettbewerb um Investoren
Zudem ist Saudiarabien nicht der einzige Golfstaat, der Anleger umwirbt. Die Konkurrenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar ist den Saudis in einigen Bereichen voraus und bietet ausländischen Geschäftsleuten schon seit Jahren attraktive Bedingungen inklusive Toleranz für den Alkoholkonsum.
Das Geld für „The Line“ist auch knapp geworden, weil sich Prinz Mohammed bin Salman sehr viel vorgenommen hat – vielleicht zu viel. So will der Wüstenstaat 2029 die asiatischen Winterspiele und fünf Jahre darauf die Fußball-WM ausrichten. Die großen Sportveranstaltungen und Konzerte internationaler Stars haben die „Vision“und den Kronprinzen bei vielen Saudis populär gemacht. Der Erfolg der Reformen sei für dessen Herrschaftsanspruch von entscheidender Bedeutung, sagt Demmelhuber. „Aktuell erfreut er sich vor allem bei der jungen Bevölkerung großer Zustimmung – diese ist aber verknüpft mit einem Zukunftsversprechen, das er einlösen muss.“Sollte die „Vision“scheitern, könnte der Zuspruch bröckeln. Nach Einschätzung von Demmelhuber würden dann Widerstände aus der saudischen Königsfamilie den Herrschaftsanspruch des Kronprinzen „auf den Prüfstand stellen“.