Der ATX und seine Osteuropa-Fantasie
Börse. Die Osteuropa-Expansion sorgte an der Wiener Börse einst für Goldgräberstimmung und verschaffte dem Leitindex ein Allzeithoch. Was davon übrig blieb.
Für Österreichs Unternehmen war sie fast zu schön, um wahr zu sein: die EU-Osterweiterung am 1. Mai 2004 als Bestätigung jahrelanger Expansionsbestrebungen. Auch auf dem Finanzmarkt kam der Mut der heimischen Vorstandsetagen gut an. Viele Firmen hatten nämlich bereits bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihre Pflöcke in der Region Zentralund Osteuropa (CEE) eingeschlagen.
Und siehe da: Die Bilanzen vergrößerten sich in der Tat über die Jahre, auch die Gewinne sprudelten fleißig. Selbst an der Börse wusste man diese Entwicklung zu honorieren. Zwischen 2000 und 2007 schoss der heimische Leitindex ATX um über 300 Prozent empor. Die Anleger waren euphorisch, und die Unternehmen waren es auch. Doch bei all der Goldgräberstimmung übersah man mögliche Schattenseiten einer Expansion. Und auch die Finanzkrise hatte niemand auf dem Schirm.
Schon mehr als ein Jahr vor dem
Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers erreichte der ATX am 9. Juli 2007 mit 4981,87 Punkten sein Rekordhoch. Ein Hoch wohlgemerkt, das man an den Anzeigentafeln der Wiener Börse seither nie wieder sah. Das mag einerseits an der stark ausgeprägten OsteuropaFantasie in Österreich (Wien als Tor in die Region) vor der Finanzkrise gelegen sein. Andererseits spielt wohl auch die Zusammensetzung des Börsenbarometers eine Rolle. „Es sind viele zyklische Werte im Index, viele Finanzwerte und auch viele Immobilienfirmen“, sagt Fritz Mostböck, Chefanalyst der Erste Group. Man könne den österreichischen Index daher nicht wirklich mit anderen vergleichen.
Dennoch sei die Osteuropa-Story für ihn nach wie vor intakt: „Das Aufhol- und Konvergenzpotenzial von CEE besteht weiterhin“, sagt Mostböck. Denn die Länder des Ostens profitierten über die Jahre nicht nur von EU-Mitteln, sondern auch von den Unternehmen, die sich in der Region niederließen und den Menschen bei der Wohlstandsentwicklung halfen. Auch in Sachen Konjunkturwachstum sticht Osteuropa Westeuropa aus. Was nun aber wie ein Damoklesschwert über der Region schwebt, ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Denn die Ukraine hat direkte Grenzen zu Polen, Rumänien, der Slowakei und Ungarn. „Und das schwingt vielleicht negativ auf die Stimmung am Finanzmarkt durch“, so Mostböck.
Erträge kommen aus CEE
Drei Viertel der Mitglieder im ATX erzielen einen Großteil ihrer Erträge in CEE, sagt Mostböck. Was auch damit zusammenhängt, dass die heimischen Konzerne trotz aller Turbulenzen nach der Finanzkrise dort geblieben sind. Raiffeisen hatte