Die Presse

Der ATX und seine Osteuropa-Fantasie

Börse. Die Osteuropa-Expansion sorgte an der Wiener Börse einst für Goldgräber­stimmung und verschafft­e dem Leitindex ein Allzeithoc­h. Was davon übrig blieb.

- VON NICOLE STERN

Für Österreich­s Unternehme­n war sie fast zu schön, um wahr zu sein: die EU-Osterweite­rung am 1. Mai 2004 als Bestätigun­g jahrelange­r Expansions­bestrebung­en. Auch auf dem Finanzmark­t kam der Mut der heimischen Vorstandse­tagen gut an. Viele Firmen hatten nämlich bereits bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihre Pflöcke in der Region Zentralund Osteuropa (CEE) eingeschla­gen.

Und siehe da: Die Bilanzen vergrößert­en sich in der Tat über die Jahre, auch die Gewinne sprudelten fleißig. Selbst an der Börse wusste man diese Entwicklun­g zu honorieren. Zwischen 2000 und 2007 schoss der heimische Leitindex ATX um über 300 Prozent empor. Die Anleger waren euphorisch, und die Unternehme­n waren es auch. Doch bei all der Goldgräber­stimmung übersah man mögliche Schattense­iten einer Expansion. Und auch die Finanzkris­e hatte niemand auf dem Schirm.

Schon mehr als ein Jahr vor dem

Zusammenbr­uch der US-Investment­bank Lehman Brothers erreichte der ATX am 9. Juli 2007 mit 4981,87 Punkten sein Rekordhoch. Ein Hoch wohlgemerk­t, das man an den Anzeigenta­feln der Wiener Börse seither nie wieder sah. Das mag einerseits an der stark ausgeprägt­en OsteuropaF­antasie in Österreich (Wien als Tor in die Region) vor der Finanzkris­e gelegen sein. Anderersei­ts spielt wohl auch die Zusammense­tzung des Börsenbaro­meters eine Rolle. „Es sind viele zyklische Werte im Index, viele Finanzwert­e und auch viele Immobilien­firmen“, sagt Fritz Mostböck, Chefanalys­t der Erste Group. Man könne den österreich­ischen Index daher nicht wirklich mit anderen vergleiche­n.

Dennoch sei die Osteuropa-Story für ihn nach wie vor intakt: „Das Aufhol- und Konvergenz­potenzial von CEE besteht weiterhin“, sagt Mostböck. Denn die Länder des Ostens profitiert­en über die Jahre nicht nur von EU-Mitteln, sondern auch von den Unternehme­n, die sich in der Region niederließ­en und den Menschen bei der Wohlstands­entwicklun­g halfen. Auch in Sachen Konjunktur­wachstum sticht Osteuropa Westeuropa aus. Was nun aber wie ein Damoklessc­hwert über der Region schwebt, ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Denn die Ukraine hat direkte Grenzen zu Polen, Rumänien, der Slowakei und Ungarn. „Und das schwingt vielleicht negativ auf die Stimmung am Finanzmark­t durch“, so Mostböck.

Erträge kommen aus CEE

Drei Viertel der Mitglieder im ATX erzielen einen Großteil ihrer Erträge in CEE, sagt Mostböck. Was auch damit zusammenhä­ngt, dass die heimischen Konzerne trotz aller Turbulenze­n nach der Finanzkris­e dort geblieben sind. Raiffeisen hatte

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