Zu schrill, zu laut, aber großartig
Die in Wien lebende Malerin Eva Beresin wurde durch Instagram international erfolgreich. Mit fast 70. Und hat jetzt ihre erste Museumsausstellung. Happy End?
So hören sich Märchen im 21. Jahrhundert an. In dem Jahrhundert, wo man als Aschenputtel zwar seinen Schuh verlieren mag. Wo er vom Prinz aber erst gefunden wird, wenn man ihn auch auf Instagram postet. Dann erst beginnt die große Karriere. Oder besser: kann sie beginnen. Auch in der Bildenden Kunst. Eva Beresin ist eine solche Geschichte passiert. Seit 1976 lebt die in Budapest geborene und ausgebildete Malerin schon in Wien, fand ihr Auskommen auch als Innenarchitektin, etwa für das Restaurant Neni am Naschmarkt oder das Thermalbad Vöslau. Sie hatte lang (bis 2014, als sie bei Charim genommen wurde) keine wesentliche Galerie oder Ausstellungen, malte unbeirrt weiter, überhaupt seit 2007, als sie erstmals aus Tagebüchern der verstorbenen Mutter erfuhr, dass diese Auschwitz überlebte und 30 Familienmitglieder im Holocaust umgebracht wurden.
Da begann für Beresin eine andere Zeitrechnung, auch in ihrer Malerei, die zur Dringlichkeit, plötzlich zur einzigen Möglichkeit wurde. Sie malte sich die Seele aus dem Leib und ihren Leib, plötzlich schamlos, nackt, nur mit aufdringlichem roten Lippenstift und Nagellack betan, in diese Seele wieder hinein, und das alles vor aller Augen auf die Leinwand.
Eva Beresin ist Ende 60, als es während der Coronazeit dann im übertragenen Sinn zur Schuhszene kommt. Einer der international einflussreichsten Kunst-Influencer wird auf Instagram auf ihre Bilder aufmerksam, Kenny Schachter, selbst Künstler, Händler und NFT-, KI- und was sonst noch alles -Freak. Er beginnt, Beresin zu promoten. Mittlerweile, so Albertina-Modern-Direktorin Angela Stief, hat Beresin fünf Galerien. Die 30 großformatigen Bilder aus den vergangenen zwei, drei Jahren, mit denen man die Ausstellung in der Pfeilerhalle der Albertina bespielt, mussten aus aller Welt eingeflogen werden. Denn: Hier findet ab heute die erste Museumsausstellung Beresins überhaupt statt. Nächstes Jahr wird sie 70. Und natürlich sagt sie, sie könne es fast nicht glauben. Ein Traum werde wahr. Ein dickes Katalogbuch gibt es obendrauf. Happy End.
Kommen jetzt die bösen Kritiken?
Ist es so? Und darf so etwas überhaupt sein? Kommen sie jetzt, die vernichtenden Kritiken und die boshaften Kommentare? Wir befinden uns schließlich in Wien. Es werden sicher (auch) welche kommen. Nicht allerdings hier. Sicher, die Malerei von Eva Beresin ist zu laut, zu schrill, zu voll, sie erinnert an wahnsinnig viel aus der älteren und neueren Kunstgeschichte, von James Ensor bis zu Cecily Brown. Vor allem aber ist diese Malerei eines: herrlich unerschrocken, sie schert sich sichtlich nicht um irgendwelche Geschmacksrichtungen.
Da hat dann Jesus beim letzten Abendmahl ein Iberogast-Flascherl vor sich stehen. Dass Jesus und Jünger hier allesamt weiblich sind und sowieso eher wie eine klatschhafte Jedermann‘sche Tischgesellschaft in Michael-Sturminger-Regie aussehen, ist fast schon selbstverständlich. Auf anderen Bildern treibt die Groteske wildeste Blüten, klettert das BeresinAlter-Ego nackt die Laternenmasten hinauf, schmust mit darob sehr erfreuten Hunden und sonstigem Getier oder scheint ihren kauernden älteren Körper nur noch mit dem Smartphone in Händen halbwegs aufrechthalten zu können. Oder steckt ihn, ohne groß zu zaudern, gleich in die Mülltonne.
Man fasst es fast nicht, denn all das passiert zum Teil nicht nur als Flachware an der Wand, sondern auch in 3-D vor den eigenen Füßen, und zwar als „echtes“3-D, nämlich als lebensgroßer 3-D-Ausdruck von Figuren, die wie aus ihren Bildern entsprungen wirken (sind aber von Figürchen, die sie einmal geformt hat). Plastiken aus Plastik also, die sie dann auch noch bemalt. Wie den Mops, den sie an roter Leine an eine Museumswand gehängt hat. Wau.
„Bad Painting“nennt man in der Kunst diese lustvolle Überschreitung all dessen, was bisher gerade noch als erträglich gegolten hat. Beresin macht das mit ganz viel Humor und großem Können, wahrscheinlich dem größten Können, das es in diesem Genre gibt; hat sie ihre Technik schließlich noch in einem sozialistisch-realistischen Akademie-Regime eingetrichtert bekommen. Hier also tatsächlich: Happy End.