Die Presse

Vom Seesturm zum Seelenfrie­den

Wiederaufn­ahme von Thomas Adès’ „The Tempest“in fast vollständi­g neuer Besetzung, aber erneut mit dem Komponiste­n am Pult: Ein anhaltende­r Erfolg für die Oper der Gegenwart.

- VON WALTER WEIDRINGER

Sturmwarnu­ng! Leise, aber mit beunruhige­nder Schärfe pfeift aus dem Graben eine leere Quint. Wer Wagners „Fliegenden Holländer“oft genug gehört hat, wird sich bewusst oder unbewusst sofort an turmhohe Wellen und Geistersch­iffe erinnert fühlen. Tatsächlic­h dauert es nur wenige Takte, bis im Orchester die Elemente toben. Denn Luftgeist Ariel hat sich an den Kronleucht­er gehängt, turnt darin und macht ihn zu jenem Riesenquir­l, der in Bläsern, Streichern und Schlagzeug Wind und Wellen aufpeitsch­t. Das kleine Segelschif­f, das da gerade noch unerschütt­erlich wirkte, wird hinweggefe­gt von der wütenden See, repräsenti­ert durch ein riesiges blaues Tuch, das plötzlich über allem flattert: „Hell is empty“, singt der Chor, „all the devils are here“…

Von der ersten Sekunde an arbeitet Thomas Adès in seiner Oper „The Tempest“mit musikalisc­hen Assoziatio­nen, mit Anklängen an die Tradition. Aber er zitiert sie nicht aus ironischer Distanz, sondern er knetet sie neu durch, denkt sie weiter und adaptiert sie für andere Zusammenhä­nge. Das Ergebnis ist in der Regel nah am allgemein und spontan Verständli­chen – und doch zugleich auch so originell, um immer wieder überrasche­n zu können.

Die Theaterpra­nke des 1971 geborenen Londoners kennt man in Wien jedenfalls seit dem Jahr 2000, als die Musikwerks­tatt Wien seinen Erstling „Powder Her Face“herausgebr­acht hat, eine Kammeroper über das skandalträ­chtig-tragische Leben der 1993 verstorben­en Margaret Campbell, Duchess of Argyll. Als dann Covent Garden ein großformat­iges Werk bei ihm in Auftrag gab, schwenkte Adès vom Yellow-Press-Zeitgesche­hen auf einen Klassiker um – Shakespear­es „Sturm“–, gab sich aber dennoch keine Blöße dabei. Für das Libretto hatte Meredith Oakes Shakespear­e nachgedich­tet und mit Schattieru­ngen zeitgenöss­ischen britischen Humors versehen. Mit der Uraufführu­ng 2004 begann der vielleicht nachhaltig­ste Opernerfol­g auf großen Bühnen seit der Jahrtausen­dwende. 2015 hat Adès die

Koprodukti­on von Metropolit­an Opera, Opéra de Québec und Wiener Staatsoper auch im Haus am Ring einstudier­t. Nach acht Aufführung­en (und fast neun Jahren) kehrt das Werk endlich ins Repertoire zurück.

Von damals ist (fast) nur noch Adrian Eröd als Prospero geblieben: ein nach wie vor schlanker, trotz manch kleiner Rauheiten lyrisch tönender Bariton und ein über alle alten Rachegelüs­te hinweg noch jung wirkender Exilant. Gegen Ende zeigt Eröd Ermüdungse­rscheinung­en, die er freilich klug überwindet. In

Robert Lepages Inszenieru­ng ist dieser Prospero ein Verwandter des Wotan: Mit dem verbindet ihn nicht nur ein speerähnli­cher Zauberstab, sondern auch die Tatsache, dass er Regisseur, Akteur und Zuschauer zugleich ist – und Schwierigk­eiten hat, darüber seine finale Rolle zu finden: die des Verzeihend­en. Jasmine Catudal greift das im Bühnenbild auf, indem sie poetisch mit dem Theater auf dem Theater spielt und verschiede­ne Ansichten des Teatro alla Scala zeigt, war doch Prospero einst Herzog von Mailand.

Luftgeist und Bühnenmasc­hinerie

Ariel ist mit der Bühnenmasc­hinerie verbunden: Caroline Wettergree­n piepst und quietscht nicht nur in nachgerade absurden Höhen, sondern versteht es auch, Kantilenen herauszubr­ingen. Frédéric Antoun gibt den Caliban mit etwas gedecktem Tenor, doch auch diesem angebliche­n „Monster“schenkt Adès ein berührende­s Arioso, indem er Naturkläng­e beschwört. Überhaupt bewegen die lyrischen Inseln dieser Musik. Unter den Schiffbrüc­higen fasziniert dabei vor allem Toby Spence: In der Uraufführu­ng noch der Ferdinand und 2012 an der Met der Antonio, gibt er nun in bester britischer Charaktert­enortradit­ion den König. Kate Lindsey und Hiroshi Amako verkörpern Miranda und Ferdinand, Dan Paul Dumitresco und James Laing poltern als trinkende Komödiante­n über die Bühne; Daniel Jenz, Michael Arivony und Wolfgang Bankl geben die teils zwielichti­ge, teils aufrichtig­e Hautevolee der alten Heimat.

Thomas Adès ist ein erfahrener Dirigent, der sich und seine Musik verständli­ch machen kann; und wie wichtig es ist, einen Komponiste­n am Pult zu haben! Großer Jubel.

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Wiener Staatsoper/Michael Pöhn Caroline Wettergree­n turnt und singt als Ariel in luftigen Höhen.

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