Verloren zwischen Glamrock und Trash
John Wray über die Empfindsamkeit der Fankultur: Der anfängliche Roadtrip nach Los Angeles entwickelt sich für drei junge Heavy-Metal-Fans zu einer Höllenfahrt durch den norwegischen Winterwald.
Heavy Metal, die Musik der Headbanger, bildet eine markante Leerstelle der zeitgenössischen Literatur. Auch von John Wray, dem österreich-amerikanischen Autor, der in New York lebt und die Sommermonate gern bei seinen Verwandten in dem kleinen Ort Friesach verbringt, nahe Roseggers Waldheimat, war ein solches Buch nicht unbedingt zu erwarten. Jetzt hat er es geschrieben. Wray ist als ein reflektierter Erzähler mehrerer auf Englisch verfasster Romanen bekannt, die formal zwischen amerikanischen und europäischen Einflüssen changieren und sich ihre Themen manchmal auch in weiten geografischen Fernen suchen. Auch die deutschsprachige Kritik zeigt sich von diesen spannenden Erzählwelten durchwegs begeistert.
In Rezensionen wird das Talent des Autors gelobt, sowohl äußere als auch innere Räume plastisch nachvollziehbar zu machen. Mit einem Text aus dem Sammelband „Madrigal“hat Wray im Jahr 2017 beim Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt den zweiten Preis errungen. Auch darin zeigt sich der Autor at his best: ein kunstvoller Erzähler, dessen Texte nicht gekünstelt wirken.
Im neuen Roman kommt Schwermetall wie ein Donnerschlag daher: „Die Musik schlug so schnell zu, dass er zuerst gar nichts erblickte: ein Hagelschauer hämmernder Noten, ein tiefes Zischen, ein epileptischer Bass. Der Körper reagierte rascher als der Kopf, wechselte unwillkürlich in den Flight-or-FightModus, Beine, Arme und Rückgrat ein einziger Krampf. Dann setzte das Kreischen ein, und es hörte sich an, als versuchte jemand, auf einem brennenden Scheiterhaufen ein Kinderlied zu singen.“
Glücklich, live dabei zu sein
Was hier beschrieben wird, ist die Wirkung des Songs „Denial of Life“der Band Death auf eine der drei Hauptfiguren des Buches, Kip Norvald, als der die Nummer zum ersten Mal hört. Wir befinden uns im Jahr 1987 in Venice, Florida. Der 16-jährige Kip ist soeben in diesem Kaff von nicht mehr als 20.000 Einwohnern angekommen und lebt dort jetzt bei seiner Großmutter, weil in seinem zerrütteten Elternhaus an ein Leben nicht mehr zu denken war.
Auf der Highschool lernt Kip die beiden anderen Haupthelden des Buches kennen: Kira Carson, die ebenfalls aus gewalttätigen Familienverhältnissen stammt, und Leslie Z., der gleich drei gravierende Nachteile in sich vereint: „Er war schwarz, er war bisexuell und er war ein Fan von Hanoi Rocks.“Die letzte Distinktion ist die entscheidende, denn der Hardrock geht jetzt überhaupt nicht mehr. Die
Dreierbande aus der hintersten Provinz haut sich voll in den Heavy Metal rein. Mit einem klapprigen Gefährt, das sie auf den Namen „Kthulu“taufen (ob nach H P. Lovecrafts Monster oder nach dem Metallica-Song, bleibt offen), legen sie in kurzer Zeit einige Tausend Kilometer zurück, sehen die Band Obituary in einem Goth-Club in Largo, Morbid Angel in einem Schuppen in Gainesville, Possessed auf einer umgebauten Laderampe in Ybor City. Leslie, so heißt es im Text, hat von Beginn an behauptet, die drei könnten sich glücklich schätzen, exakt zu diesem Zeitpunkt der Geschichte am Leben und live dabei zu sein.
Das Gefühl, sich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu befinden und damit dem Kairos einer Geschichte anzugehören, arbeitet John Wray in seinem Buch präzise heraus. In „Unter Wölfen“geht es auch gar nicht um die Stars der Szene, die hier und da dennoch ganz witzige Cameo-Auftritte haben. Auch für die Leserschaft ist es nicht nötig, die zahlreich genannten Bands und Songs und alle Differenzierung dieser Musik in die unterschiedlichen Richtungen und Subgenres zu kennen. Die Geschichte des Heavy Metal in ihren äußeren
Daten bildet in diesem Buch nur ein Beiwerk zum eigentlichen Thema. Dieses ist die Empfindsamkeit der Fankultur. Als Einführung zu deren Musik hat Wray übrigens eine Playlist ins Netz gestellt, die mir und meiner Vorstellungswelt ganz gute Dienste geleistet hat.
Sein Buch hat der Autor in drei gleich lange Abschnitte von jeweils etwa 150 Seiten gegliedert. Diese Längen reichen aus, um den drei Hauptfiguren nahe zu bleiben, ziehen das Ganze aber nicht unnötig in die Länge. Den ersten Teil haben wir bereits kennengelernt. Er spielt in den tiefen Provinzen von Florida, wo (benannt nach der gleichnamigen Band) soeben Death Metal erfunden wurde.
Diesem Coming-of-Age-Teil folgt ein adoleszenterer Abschnitt in Los Angeles. Als die drei Freunde dort gegen Ende der 1980er-Jahre gemeinsam eintreffen, tobt innerhalb der HeavyMetal-Szene ein erbitterter Richtungskampf zwischen der kommerziell erfolgreicheren und gefälligeren Glam- oder Hair-Szene (benannt nach dem Aussehen der Musiker mit ihren gesprayten Föhnfrisuren) und dem als authentischer erachteten Trash.
Erhöhte Dosis an Weltabgewandtheit
Für Kira, die vor dem Hintergrund ihrer eigenen Missbrauchsgeschichte stets nach dem vermeintlich echten Ausdruck sucht, ist die Entscheidung klar. Nur die jeweils extremsten Formen dieser Musik vermögen in ihr noch etwas Lebendiges zu wecken. Dabei wird die Dosis an Weltabgewandtheit beständig erhöht. Während Leslie Z. in Los Angeles zusehends den Drogen verfällt, kommen Kip und Kira, die auch eine Lovestory verbindet, den Brennpunkten der Musikszene sehr nahe. Kira arbeitet in einer Bar, in der Bandmitglieder und Fans verkehren. Kip schreibt für ein HeavyMetal-Fanzine. Diese Berufswahl ist gut gelungen, denn in ihr bietet sich für John Wray eine Möglichkeit, einiges an Hintergrundwissen zu präsentieren, ohne allzu oberlehrhaft und pädagogisch zu wirken.
Im dritten Teil wechselt „Unter Wölfen“noch einmal das Genre. Die Szenerie wandelt sich zu einem Horrorthriller. Kira ist mitten in einem Konzert verschwunden. Leslie und Kip folgen ihrer Spur in die Black-Metal-Szene nach Norwegen. Dort wurden Anfang der 1990erJahre von extremen Bands Kirchen niedergebrannt und Morde begangen. Viele Exponenten der Szene landeten im Gefängnis, bis die Bewegung schließlich in sich selbst zusammenbrach.
Wrays Buch endet mit einem Höllentrip in einen tiefen norwegischen Winterwald. Dort erscheint die Welt fast so, als ob die Steigerungsmechanismen des Heavy Metal zu gar keinem anderen Ende führen könnten. Es sind jedoch nicht nur diese Mechanismen der Musikszene und ihrer Fankultur, die im Buch brillant zum Ausdruck kommen. John Wray zeigt anhand des subkulturellen Beispiels, wie leicht Gesellschaften sich über Selbstintensivierungsstrategien von Individuen radikalisieren. Das ist literarisch ausgezeichnet gemacht und auch politisch brandaktuell. In den USA, Europa und anderswo.