US-Firmen am Handelsgericht klagen?
Spät, aber doch will Österreich eine echte Sammelklage einführen. Mit ganz neuen Möglichkeiten. Eine Analyse.
Die Verbandsklagenrichtlinie (EU) 2020/1828 verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, eine echte Sammelklage für Verbraucher einzuführen. Rund eineinhalb Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist (und ein Vertragsverletzungsverfahren später) hat das Justizministerium nun einen Gesetzesentwurf vorgelegt („Die Presse“hat berichtet). Herzstück ist die sogenannte Abhilfeklage, eine echte kollektive Klagemöglichkeit von Verbrauchern gegen Unternehmen auf Leistung in Form von Schadenersatz, Reparatur, Ersatzleistung Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung.
Bisher stand dafür nur ein gesetzlich ungeregeltes Behelfskonstrukt namens „Sammelklage österreichischer Prägung“zur Verfügung: Ansprüche müssen dabei an einen Kläger übertragen werden, der diese Ansprüche gebündelt im eigenen Namen, aber auf Rechnung der Abtretenden geltend macht. Wie die neue, „echte“Sammelklage in Österreich aussehen wird, wurde mit Spannung erwartet.
Das Gesetzesentwurf sieht die neue auf Leistung gerichtete Abhilfeklage, die für sämtliche Ansprüche von Verbrauchern gegen Unternehmen möglich sein soll, im Doppelpack mit einem effizienten und unbürokratischen Verfahren vor: Ansprüche von zumindest 50 Verbrauchern aus „im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalten“können künftig zu einer Klage gebündelt werden. Weitere betroffene Verbraucher können sich der Klage anschließen, ihre Ansprüche werden aber nicht wie etwa bei der US-amerikanischen Class Action automatisch erfasst.
Gleichartige Fälle erforderlich
Österreich hat sich damit wie Deutschland für das Opt-in-Modell entschieden. Ein Beitritt ist innerhalb von drei Monaten ab Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidung über die Durchführung eines Verbandsklageverfahrens in der Ediktsdatei möglich. Ein solcher Beitritt hat rückwirkend mit Einbringung der Verbandsklage verjährungshemmende Wirkung. In der Praxis wird die Auslegung des Kriteriums „gleichartige Sachverhalte“entscheidend dafür sein, wie weit der Anwendungsbereich der neuen Klage sein wird.
Im Verfahren soll, gleich nach der Entscheidung über die Zulässigkeit
eines Verbandsklageverfahrens, über allfällige Zwischenfeststellungsanträge über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts entschieden werden können und erst am Ende über die konkreten Ansprüche der einzelnen Verbraucher. Die Zuständigkeit soll aus Effizienzgründen beim Handelsgericht Wien mit einem Drei-Richter-Senat gebündelt werden. Spannend in diesem Zusammenhang ist, dass in Wien künftig auch jene Unternehmen geklagt werden können, die keinen Sitz innerhalb der EU haben. So wäre etwa eine Verbandsklage zur Durchsetzung von Verbraucheransprüchen gegen Unternehmen mit Sitz in den USA vor dem Handelsgericht in Wien möglich. Weiterhin fraglich ist dann aber, ob solche Entscheidungen gegen Unternehmen aus Drittstaaten tatsächlich vollstreckt werden können, insbesondere, wenn kein Vermögen des Beklagten in der EU vorhanden ist oder mit dem Drittstaat – wie im Fall der USA – kein Vollstreckungsübereinkommen besteht.
Klageberechtigt sollen ausschließlich anerkannte, qualifizierte Einrichtungen sein. Die Kriterien für die Anerkennung sind streng, für Einrichtungen, die nur in Österreich (und nicht bloß grenzüberschreitend) Verbandsklagen erheben wollen, sogar noch strenger. Eine mindestens einjährige Tätigkeit zum Schutz von Verbraucherinteressen ist ebenso gefragt wie die Unabhängigkeit und das Fehlen eines Erwerbszwecks. Die Sorge mancher, es könne sich eine neue Klage-Industrie durch massenhafte Gründung qualifizierter Einrichtungen – etwa durch professionelle Prozessfinanzierer oder Rechtsberater – entwickeln, erscheint damit vorerst unbegründet.
Nach dem Gesetzesentwurf sollen Prozessfinanzierungen durch Dritte – wie auch bisher im Zivilprozess – zulässig sein und privat-autonom geregelt werden. Verbände können den Beitritt einzelner Verbraucher zu einer Klage vom Abschluss eines Prozessfinanzierungsvertrags oder einer Beitrittsgebühr (max. 20% des Anspruchs oder 250 Euro) abhängig machen. Abgesehen davon, findet man aber lediglich abstrakte Hinweise zu den zulässigen Schranken der Prozessfinanzierung: So darf der Prozessfinanzierer etwa kein Wettbewerber der beklagten Partei sein, und Entscheidungen des Verbands dürfen durch den Prozessfinanzierer „nicht ungebührlich“zum Nachteil der betroffenen Verbraucher beeinflusst werden. Interessenkonflikte sind zu vermeiden, und der Schutz der betroffenen Verbraucher soll „im Mittelpunkt der Entscheidungen stehen“.
Wer zahlt, schafft nicht an?
Wie dieser Wunsch, dass der, der zahlt, nicht anschafft, im Einzelfall gewährleistet und überprüft werden soll, lässt der Entwurf offen. Eine Beschränkung der Erfolgsbeteiligung von Prozessfinanzierern ist nicht vorgesehen, dies ist ein Unterschied zur Umsetzung der Richtlinie in Deutschland. Dort darf die Erfolgsbeteiligung
zehn Prozent der vom beklagten Unternehmen zu erbringenden Leistung nicht übersteigen.
Eine Reduktion des Kostenrisikos der Parteien im Verbandsverfahren soll durch eine Deckelung der erstattbaren tarifmäßigen Rechtsanwaltskosten erreicht werden. Eine ähnlich weitgehende Regelung zur Reduktion der – im EU-Vergleich überdurchschnittlich hohen – Gerichtsgebühren vermisst man hingegen im Entwurf. Nicht adressiert ist zudem das Prozesskostenrisiko des beklagten Unternehmens, sollte die Abhilfeklage abgewiesen werden.
Verbandsklagen mit Tausenden Ansprüchen haben das Potenzial, massive Rechtsverteidigungskosten aufseiten des beklagten Unternehmens zu verursachen. Wird die Abhilfeklage nach aufwendigen Verfahren abgewiesen, ist die Einbringlichkeit des einem beklagten Unternehmen zugesprochenen Prozesskostenersatzes gegen einen – nicht erwerbstätigen – Verband fraglich. Auch eine Prozessfinanzierung kann dies nicht immer ändern, etwa wenn eine prozessfinanzierende Zweckgesellschaft ihren Sitz – wie in der Praxis aus Steuervermeidungsgründen durchaus beliebt – außerhalb der EU hat.
Der Gesetzesentwurf sieht wesentliche Verbesserungen für die Durchsetzung von Verbraucheransprüchen vor. Einige in der Praxis relevante Fragen, wie etwa konkrete Regelungen zur Prozessfinanzierung, sind aber noch offen. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung hier nochmals nachbessert.