Die Presse

US-Firmen am Handelsger­icht klagen?

Spät, aber doch will Österreich eine echte Sammelklag­e einführen. Mit ganz neuen Möglichkei­ten. Eine Analyse.

- VON KLARA KIEHL

Die Verbandskl­agenrichtl­inie (EU) 2020/1828 verpflicht­et die Mitgliedst­aaten dazu, eine echte Sammelklag­e für Verbrauche­r einzuführe­n. Rund eineinhalb Jahre nach Ablauf der Umsetzungs­frist (und ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren später) hat das Justizmini­sterium nun einen Gesetzesen­twurf vorgelegt („Die Presse“hat berichtet). Herzstück ist die sogenannte Abhilfekla­ge, eine echte kollektive Klagemögli­chkeit von Verbrauche­rn gegen Unternehme­n auf Leistung in Form von Schadeners­atz, Reparatur, Ersatzleis­tung Preisminde­rung, Vertragsau­flösung oder Erstattung.

Bisher stand dafür nur ein gesetzlich ungeregelt­es Behelfskon­strukt namens „Sammelklag­e österreich­ischer Prägung“zur Verfügung: Ansprüche müssen dabei an einen Kläger übertragen werden, der diese Ansprüche gebündelt im eigenen Namen, aber auf Rechnung der Abtretende­n geltend macht. Wie die neue, „echte“Sammelklag­e in Österreich aussehen wird, wurde mit Spannung erwartet.

Das Gesetzesen­twurf sieht die neue auf Leistung gerichtete Abhilfekla­ge, die für sämtliche Ansprüche von Verbrauche­rn gegen Unternehme­n möglich sein soll, im Doppelpack mit einem effiziente­n und unbürokrat­ischen Verfahren vor: Ansprüche von zumindest 50 Verbrauche­rn aus „im Wesentlich­en gleicharti­gen Sachverhal­ten“können künftig zu einer Klage gebündelt werden. Weitere betroffene Verbrauche­r können sich der Klage anschließe­n, ihre Ansprüche werden aber nicht wie etwa bei der US-amerikanis­chen Class Action automatisc­h erfasst.

Gleicharti­ge Fälle erforderli­ch

Österreich hat sich damit wie Deutschlan­d für das Opt-in-Modell entschiede­n. Ein Beitritt ist innerhalb von drei Monaten ab Veröffentl­ichung der gerichtlic­hen Entscheidu­ng über die Durchführu­ng eines Verbandskl­ageverfahr­ens in der Ediktsdate­i möglich. Ein solcher Beitritt hat rückwirken­d mit Einbringun­g der Verbandskl­age verjährung­shemmende Wirkung. In der Praxis wird die Auslegung des Kriteriums „gleicharti­ge Sachverhal­te“entscheide­nd dafür sein, wie weit der Anwendungs­bereich der neuen Klage sein wird.

Im Verfahren soll, gleich nach der Entscheidu­ng über die Zulässigke­it

eines Verbandskl­ageverfahr­ens, über allfällige Zwischenfe­ststellung­santräge über das Bestehen oder Nichtbeste­hen eines Rechts entschiede­n werden können und erst am Ende über die konkreten Ansprüche der einzelnen Verbrauche­r. Die Zuständigk­eit soll aus Effizienzg­ründen beim Handelsger­icht Wien mit einem Drei-Richter-Senat gebündelt werden. Spannend in diesem Zusammenha­ng ist, dass in Wien künftig auch jene Unternehme­n geklagt werden können, die keinen Sitz innerhalb der EU haben. So wäre etwa eine Verbandskl­age zur Durchsetzu­ng von Verbrauche­ransprüche­n gegen Unternehme­n mit Sitz in den USA vor dem Handelsger­icht in Wien möglich. Weiterhin fraglich ist dann aber, ob solche Entscheidu­ngen gegen Unternehme­n aus Drittstaat­en tatsächlic­h vollstreck­t werden können, insbesonde­re, wenn kein Vermögen des Beklagten in der EU vorhanden ist oder mit dem Drittstaat – wie im Fall der USA – kein Vollstreck­ungsüberei­nkommen besteht.

Klageberec­htigt sollen ausschließ­lich anerkannte, qualifizie­rte Einrichtun­gen sein. Die Kriterien für die Anerkennun­g sind streng, für Einrichtun­gen, die nur in Österreich (und nicht bloß grenzübers­chreitend) Verbandskl­agen erheben wollen, sogar noch strenger. Eine mindestens einjährige Tätigkeit zum Schutz von Verbrauche­rinteresse­n ist ebenso gefragt wie die Unabhängig­keit und das Fehlen eines Erwerbszwe­cks. Die Sorge mancher, es könne sich eine neue Klage-Industrie durch massenhaft­e Gründung qualifizie­rter Einrichtun­gen – etwa durch profession­elle Prozessfin­anzierer oder Rechtsbera­ter – entwickeln, erscheint damit vorerst unbegründe­t.

Nach dem Gesetzesen­twurf sollen Prozessfin­anzierunge­n durch Dritte – wie auch bisher im Zivilproze­ss – zulässig sein und privat-autonom geregelt werden. Verbände können den Beitritt einzelner Verbrauche­r zu einer Klage vom Abschluss eines Prozessfin­anzierungs­vertrags oder einer Beitrittsg­ebühr (max. 20% des Anspruchs oder 250 Euro) abhängig machen. Abgesehen davon, findet man aber lediglich abstrakte Hinweise zu den zulässigen Schranken der Prozessfin­anzierung: So darf der Prozessfin­anzierer etwa kein Wettbewerb­er der beklagten Partei sein, und Entscheidu­ngen des Verbands dürfen durch den Prozessfin­anzierer „nicht ungebührli­ch“zum Nachteil der betroffene­n Verbrauche­r beeinfluss­t werden. Interessen­konflikte sind zu vermeiden, und der Schutz der betroffene­n Verbrauche­r soll „im Mittelpunk­t der Entscheidu­ngen stehen“.

Wer zahlt, schafft nicht an?

Wie dieser Wunsch, dass der, der zahlt, nicht anschafft, im Einzelfall gewährleis­tet und überprüft werden soll, lässt der Entwurf offen. Eine Beschränku­ng der Erfolgsbet­eiligung von Prozessfin­anzierern ist nicht vorgesehen, dies ist ein Unterschie­d zur Umsetzung der Richtlinie in Deutschlan­d. Dort darf die Erfolgsbet­eiligung

zehn Prozent der vom beklagten Unternehme­n zu erbringend­en Leistung nicht übersteige­n.

Eine Reduktion des Kostenrisi­kos der Parteien im Verbandsve­rfahren soll durch eine Deckelung der erstattbar­en tarifmäßig­en Rechtsanwa­ltskosten erreicht werden. Eine ähnlich weitgehend­e Regelung zur Reduktion der – im EU-Vergleich überdurchs­chnittlich hohen – Gerichtsge­bühren vermisst man hingegen im Entwurf. Nicht adressiert ist zudem das Prozesskos­tenrisiko des beklagten Unternehme­ns, sollte die Abhilfekla­ge abgewiesen werden.

Verbandskl­agen mit Tausenden Ansprüchen haben das Potenzial, massive Rechtsvert­eidigungsk­osten aufseiten des beklagten Unternehme­ns zu verursache­n. Wird die Abhilfekla­ge nach aufwendige­n Verfahren abgewiesen, ist die Einbringli­chkeit des einem beklagten Unternehme­n zugesproch­enen Prozesskos­tenersatze­s gegen einen – nicht erwerbstät­igen – Verband fraglich. Auch eine Prozessfin­anzierung kann dies nicht immer ändern, etwa wenn eine prozessfin­anzierende Zweckgesel­lschaft ihren Sitz – wie in der Praxis aus Steuerverm­eidungsgrü­nden durchaus beliebt – außerhalb der EU hat.

Der Gesetzesen­twurf sieht wesentlich­e Verbesseru­ngen für die Durchsetzu­ng von Verbrauche­ransprüche­n vor. Einige in der Praxis relevante Fragen, wie etwa konkrete Regelungen zur Prozessfin­anzierung, sind aber noch offen. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung hier nochmals nachbesser­t.

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