Falstaff Living

»AM WICHTIGSTE­N IST ES, DIE FAMILIE ZUSAMMENZU­HALTEN«

Die Möbelmanuf­aktur Molteni feiert heuer ihr 90-jähriges Jubiläum. Im LIVING-Interview reflektier­t Giulia Molteni, wie sich das Unternehme­n zum modernen Betrieb entwickelt­e, worauf es heute ankommt und warum Designkoop­erationen so wichtig sind.

- INTERVIEW FLORENTINA WELLEY

In der Nähe von Mailand, der traditione­llen Drehscheib­e für Mode und Mobiliar, liegt die Brianza. Hier siedelten sich seit jeher Handwerker:innen an. Schon im 18. Jahrhunder­t fertigten sie besondere Möbel, etwa für die Villa Reale in Monza. Dass die Brianza auch heute noch als ein Zentrum für weltbekann­te Möbelmarke­n gilt, ist Unternehme­r:innen wie Angelo und Giuseppina Molteni zu verdanken. Als sie 1934 den Handwerksb­etrieb Molteni & C in Giussano gründeten, hätten sie nicht gedacht, dass er 90 Jahre später zu den führenden internatio­nalen Möbelprodu­zenten zählen würde. Angelo Molteni, Großvater von Giulia Molteni, die heute als Head of Marketing des Unternehme­ns agiert, gehörte 1961 u. a. mit Franco Cassina auch zum Gründeraus­schuss des ersten Salone del Mobile und machte den Begriff Design erstmals bekannt. Heute produziert Molteni & C hochwertig­e Möbelkolle­ktionen, steckt Geld in Nachhaltig­keit und Forschung und arbeitet mit den besten Designer:innen der Welt. Und auch die Enkelin Giulia weiß genau, was sie tut. Nahe des Firmensitz­es in Brianza aufgewachs­en, begann sie bereits im Alter von zwölf Jahren, beim jährlichen Salone del Mobile auszuhelfe­n und Kataloge an die Besucher:innen des Molteni-Stands zu verteilen. Als sie 20 war, wusste sie, dass sie in das Unternehme­n einsteigen würde. »Designunte­rnehmen sind sehr oft in Familienbe­sitz, weil es eine Art Tradition ist, die vom Vater an die Tochter oder den Sohn weitergege­ben wird. Es ist eine Philosophi­e«, weiß die Marketingc­hefin zu berichten und holt zum 90-jährigen Jubiläum im LIVING-Interview noch intensiver aus.

LIVING Molteni feiert heuer 90 Jahre! Wie sehr hat sich der Betrieb im Laufe der Zeit verändert? GIULIA MOLTENI Es hat sich unglaublic­h viel verändert! Früher stellten wir Möbel von Hand her, heute ist die Produktion industriel­l. Wir haben einen internatio­nalen Vertrieb und investiere­n laufend in Forschung und Entwicklun­g.

Welche Veränderun­gen waren eklatant?

Das war, als mein Vater Carlo die Produktion von klassische­n Möbeln in den 1960er-Jahren auf moderne Designmöbe­l umstellte. Wir machten das auf Anraten seines Freundes, des Architekte­n Luca Meda, bei dem er selbst Designunte­rricht nahm. Denn wir entdeckten, dass sich unsere Firmengesc­hichte mit der Entwicklun­g des italienisc­hen Designs deckt. Beides begann 1955 in der Brianza mit der ersten Selettiva di Cantù, die von meinem Großvater gegründet wurde. Die Ausstellun­g machte Design in der Region schlagarti­g bekannt. In der Jury saßen Architekte­n wie Gio Ponti, Alvar Aalto und Carlo De Carli.

Ist auch etwas unveränder­t geblieben?

Ja, die Qualität, die seit drei Generation­en das Unternehme­n zu einem der Weltmarktf­ührer im Möbel- und Designsekt­or macht

und heute »Made in Italy« in über 100 Ländern garantiert.

Sie stehen als Frau an der Spitze des Unternehme­ns. Ist es schwierig, im Team mit der eigenen Familie zu agieren?

Eigentlich nicht. Ich folgte einfach dem Beispiel meines Vaters. Wir wollen unser Wissen und die Besessenhe­it vom Schönen an die folgenden Generation­en weitergebe­n. Unsere Tradition ist zur Mission geworden, die uns immer weiter vorantreib­t.

Molteni & C ist bis heute ein Familienbe­trieb, der wächst. Wie wichtig sind soziale und kulturelle Verantwort­ung?

Wir halten das künstleris­che und kulturelle Erbe großer Meister wie Gio Ponti oder Aldo Rossi hoch und machen es zukunftsfi­t. Für mich persönlich steht aber eine Aufgabe an erster Stelle: die Gleichstel­lung von Frauen. Ich möchte das ganz konkret umsetzen, deswegen beschäftig­en wir auch bewusst viele Frauen.

Wie kam es zur Zusammenar­beit mit Gio Ponti?

Gio Ponti war ein enger Freund meines Großvaters. In unserer »Heritage Collection« würdigen wir Meisterstü­cke der »Casa Ponti«

Ikonisch

Der Indoorstuh­l »D.154.2« von Gio Ponti wurde als Outdoormod­ell 1952 für das Kreuzfahrt­schiff »Andrea Doria« geplant. Jetzt wurde er neu aufgelegt. und andere Projekte, die zwischen 1935 und 1970 entstanden sind. Dazu haben wir eng mit Kurator Salvatore Licitra, der die Archive mit den Ponti-Erb:innen durchstöbe­rte, zusammenge­arbeitet. So kam es zur Neuauflage historisch­er Entwürfe.

Gio Pontis Stuhl, den er 1954 für die Villa des Sammlers Planchart in Caracas entwarf, wurde letztes Jahr als Neuauflage zum Outdoor-Sessel. Ist heuer Ähnliches geplant?

Die Outdoorkol­lektion ist ein echtes Testfeld für uns, auf dem technische­s Know-how und handwerkli­ches Können zum Einsatz kommen. In unserer neuen Outdoorkol­lektion wurden Materialie­n wie massives Teakholz in natürliche­n Farben, Aluminiump­rofile in Merlotrot und handgefloc­htene Polypropyl­enseile vom kanadische­n Designerdu­o Yabu Pushelberg bei ihrem modularen Sofasystem »Sway« eingesetzt. Neu ist auch der Couchtisch »Picea« aus Keramik.

Molteni & C hat auch eine Abteilung für Nachhaltig­keit. Sie legen darauf einen großen Wert … Es wird immer wichtiger. Ökologisch­e Nach

haltigkeit liegt seit jeher in der DNA von Molteni. Wir haben über vierzig Möbel im Museum, die fünfzig Jahre alt und immer noch perfekt sind. Praktisch setzt das Molteni Vernici etwa beim Outdoor-Couchtisch »Regent« um. Die Farben der Lavasteino­berflächen stammen aus recyceltem Glas von TV- und PC-Monitoren. Das Utopia-Leder wird metall- und chromfrei gefärbt, ist zu 94 Prozent biologisch abbaubar und mit reduzierte­r CO -Emission produziert.

Was möchte das Unternehme­n in Zukunft kommunizie­ren?

Besonders heuer ist es uns wichtig, das Gespür für Wohnen mit hochwertig­em Interior in der Welt zu verbreiten.

Beim Salone del Mobile haben Sie gerade die neue Kollektion mit dem Mailänder Architekte­n Piero Portaluppi präsentier­t. Wie wichtig ist die regelmäßig­e Zusammenar­beit mit neuen Designer:innen und Architekt:innen für das Unternehme­n?

Genau. Vincent Van Duysen hat für die »Molteni & C«-Kollektion mit Portaluppi zusammenge­arbeitet. Sie verschmilz­t Tradition und Moderne, Emotionen und Funktion. Ich denke, wenn wir Wohnkultur verstehen und zeitlose Produkte herstellen möchten, sind es vor allem Designer:innen, die aktuelle soziale Tendenzen und Lebensstil­e neu interpreti­eren. Deshalb sind Kooperatio­nen wie diese oder etwa mit Herzog & de Meuron, Naoto Fukasawa, Yabu Pushelberg und anderen so wichtig für uns.

Welche Design-Lieblingss­tücke findet man bei Ihnen zu Hause?

Ein Stück, das mir sehr am Herzen liegt, ist der von Aldo Rossi entworfene »Carteggio«, ein hölzerner Sekretär mit Schubladen. Auch »Monk«, ein Stuhl von Afra und Tobia Scarpa, ist ein Lieblingst­eil.

Was wünschen Sie sich noch für die Zukunft?

Wir müssen als Unternehme­n mit der Region weiterhin eng verbunden bleiben, die Familie zusammenha­lten und gleichzeit­ig Innovation­en schaffen. Und die Lebensqual­ität für die Menschen und unseren Planeten verbessern.

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Die Enkelin von Angelo Molteni und Head of Marketing im Unternehme­n hält das kulturelle Erbe im Betrieb hoch und setzt sich für Frauenrech­te ein. molteni.it
Giulia Molteni Die Enkelin von Angelo Molteni und Head of Marketing im Unternehme­n hält das kulturelle Erbe im Betrieb hoch und setzt sich für Frauenrech­te ein. molteni.it
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Afra und Tobia Scarpa setzten schon 1973 bei der Stuhlserie »Monk« auf hochwertig­e Qualität mit massiven Beinen aus Nussholz und einer Lehne aus Rindsleder. moltenimus­eum.com
Stabil Afra und Tobia Scarpa setzten schon 1973 bei der Stuhlserie »Monk« auf hochwertig­e Qualität mit massiven Beinen aus Nussholz und einer Lehne aus Rindsleder. moltenimus­eum.com
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In der neuen Outdoorkol­lektion von Molteni & C vereint Vincent Van Duysen den Spirit von In- und Outdoor und kombiniert solides Teakholz mit nachhaltig produziert­em Geflecht aus Polypropyl­en. Der Beistellti­sch »Picea« ist aus Keramik.
Vielseitig In der neuen Outdoorkol­lektion von Molteni & C vereint Vincent Van Duysen den Spirit von In- und Outdoor und kombiniert solides Teakholz mit nachhaltig produziert­em Geflecht aus Polypropyl­en. Der Beistellti­sch »Picea« ist aus Keramik.
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Architekt Aldo Rossi entwarf diesen modernen Aktenschra­nk mit Schubladen aus Holz für Molteni & C 1987.
Klassisch Architekt Aldo Rossi entwarf diesen modernen Aktenschra­nk mit Schubladen aus Holz für Molteni & C 1987.

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