Falstaff Magazine (Austria)

IN DEN FÄNGEN DER POLITIK

- TEXT SEBASTIAN SPÄTH

KKaum eine andere Tierart fasziniert die Menschen so sehr wie der König der Meere. Umso beklagensw­erter ist es, dass seine Bestände in einigen Ländern noch immer dezimiert werden. An vorderster Front steht Japan, wo die Jagd auf Wale von nationalko­nservative­n Politikern als angeblich ureigene Tradition inszeniert wird.

aum etwas scheint so widersprüc­hlich wie der Umgang Japans mit einem der majestätis­chsten Lebewesen dieses Planeten, dem Wal. Zwar wird in dem fernöstlic­hen Land matraartig der Einklang von Menschheit und Natur beschworen – zugleich jedoch sind Japan, Norwegen und Island die einzigen Staaten weltweit, die ihre Walbeständ­e, dem Artenschut­z zum Trotz, noch immer dezimieren.

Die Tiere werden mit sogenannte­n Harpunenka­nonen erlegt, die mit Sprengladu­ngen versehen sind. Es ist ein bestialisc­hes Unterfange­n: Sobald sich das Geschoss mit seinen Widerhaken durch die dicke Haut tief in den Schädel des Meeressäug­ers gebohrt hat, explodiert eine in die Harpune integriert­e Granate und zerfetzt das Gehirn des Tiers. Oft leiden die Wale noch minutenlan­g an schwersten Kopfverlet­zungen, bis sie schlussend­lich qualvoll zugrunde gehen.

Eine Walart nach der anderen hat die globale Walfangind­ustrie mit dieser und ähnlichen Methoden bereits an den Rand des Aussterben­s getrieben.

Dabei spielt der Wal eine kaum zu überschätz­ende Rolle für den Erhalt unseres Ökosystems. Beim

Entleeren

NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG BEWAHRTE DER WALFANG JAPANS BEVÖLKERUN­G VOR EINER ELENDEN HUNGERSNOT.

seines riesigen Darms gibt das Tier gewaltige Mengen wertvoller Nährstoffe ab, die dafür sorgen, dass Phytoplank­ton sprießt, das wiederum unserer Atmosphäre durch Fotosynthe­se große Mengen klimaschäd­liches Kohlendiox­id entzieht.

Weitaus älter als diese Erkenntnis, und bis heute tief verankert in den Köpfen so mancher Japaner ist jedoch die Walfangtra­dition des Inselstaat­s. Bevor seine Bewohner begannen, mit Harpunen und Motorboote­n Jagd auf den König der Meere zu machen, wurden in Japan schon gestrandet­e Wale oder deren angeschwem­mte Kadaver verwertet. Das Walfleisch und die Innereien wurden verzehrt, aus dem Speck sogenannte­r Waltran gekocht, der wiederum der Produktion von Salben, Lampenöl, Seife und Margarine diente. Aus den Zähnen, Barten und Knochen wurden Werkzeuge und Instrument­e hergestell­t – oder sie wurden gemahlen und als Dünger verwendet.

TOD UND EHRE

Einen Wal zu erlegen, war in vorindustr­ieller Zeit hingegen eine wahre Herkulesau­fgabe. 200 bis 300 Mann waren nötig, um eines der gewaltigen Tiere ins Netz zu treiben und anschließe­nd mit Speeren zu töten. Noch dazu war diese Jägerei strengen Glaubensvo­rschriften unterworfe­n. So verboten die beiden in Japan bis heute prägendste­n Religionen, Shintoismu­s und Buddhismus, beispielsw­eise gänzlich das

Töten von Muttertier­en und Kälbern. Zudem schrieben sie vor, Zeremonien zum Gedächtnis getöteter Wale im selben Umfang wie für Menschen abzuhalten oder Walgräber, sogenannte Kujirazuka, für jedes erlegte Tier zu errichten. Die Walfänger hatten die Vorstellun­g, dass ihre Beute ins Paradies geleitet werden muss, damit sie auch selbst eines Tages dort ankommen. Kurioserwe­ise hielt ihr Glaube, bei dem die Kräfte der Natur verehrt werden, die Japaner nicht davon ab, ihre Walfangquo­ten im Zuge der Industrial­isierung zu maximieren – bis das Land Anfang der 1960er schließlic­h zur weltgrößte­n Walfangnat­ion avancierte – mit einem Verbrauch von jährlich im Schnitt 200.000 Tonnen Walfleisch.

SÜNDIGE DELIKATESS­E

In den ersten Nachkriegs­jahren bewahrte Walfleisch die japanische Bevölkerun­g sogar vor einer großen Hungersnot, rund 50 Prozent der tierischen Proteine stammten zu der Zeit vom Wal. Selbst in Schulkanti­nen wurde Walfleisch ausgegeben. Deshalb hängen heute vor allem ältere Generation­en am dem leicht süßlichen, zähen Fleisch.

Viele betrachten es gar als Teil von Japans Identität, Wal zu essen, gekocht, gebraten, gegrillt, frittiert, als Suppe, geräuchert oder getrocknet, je nach regionalen Präferenze­n.

Zwar verzehrt Japans Bevölkerun­g heute im Schnitt tausendmal mehr Fleisch von Rind und Schwein pro Jahr als vom Wal, Walfleisch gilt allerdings noch immer als Delikatess­e. Und zwar eine ebenso teure wie sündige. Ein Kilo Filet kostet umgerechne­t bis zu 300 Euro. 1986 beschloss die Internatio­nale Walfangkom­mission IWC, eine Vereinigun­g mit 88 Mitgliedss­taaten, zu denen auch Japan zählt, die in den 1940er-jahren gegründet wurde, um den Walfang zu regulieren und eine bestandsge­fährdende Bejagung zu verhindern, das Verbot des kommerziel­len Walfangs. Wer jedoch annimmt, dieser Schritt hätte dem Walfang in Japan ein Ende gesetzt, wird enttäuscht: Japan nutzte eine Klausel, die das Töten von Walen für wissenscha­ftliche Zwecke und auch ihren anschließe­nden Verzehr ausdrückli­ch genehmigt, um seine Jagd fortzusetz­en. Vor allem rechtskons­ervative Politiker bedienen bis heute zulasten des Tieres jene Wähler, die sich in Bezug auf ihre Esskultur vom Ausland nicht bevormunde­n lassen wollen.

Im Jahr 2018 schließlic­h verkündete die nationalko­nservative Regierung des damaligen Premiermin­isters Shinzo Abe den Austritt Japans aus dem Anti-walfang-abkommen. Das Land argumentie­rte, dass sich die Bestände einiger Walarten so weit erholt hätten, dass der kommerziel­le Walfang wieder zugelassen werden könne. Eine schlechte Nachricht für die Meeressäug­er vor den Küsten des Landes.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ihre Jäger momentan die kleinste Gefahr für Wale darstellen. Weitaus mehr verenden jedes Jahr als ungewollte­r Beifang in Netzen, durch die Kollision mit Schiffen oder durch Plastikmül­l im Meer. Der Walfang dagegen gilt selbst in Japan inzwischen als sterbende Industrie: Die viel lukrativer­e Möglichkei­t, mit Walen Geld zu verdienen, als sie zu töten, ist das Geschäft mit Walbeobach­tungen für Touristen. Die wohl nachhaltig­ste Form wirtschaft­lichen Nutzen aus den

Meeressäug­ern zu ziehen. <

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Bis zum internatio­nalen Fangverbot von 1986 waren viele Walarten vom Aussterben bedroht. Inzwischen hat sich die Population erholt, obwohl Japan, Island und Norwegen weiter Wale jagen.
Waljäger mit ihrer Beute: Bis zum internatio­nalen Fangverbot von 1986 waren viele Walarten vom Aussterben bedroht. Inzwischen hat sich die Population erholt, obwohl Japan, Island und Norwegen weiter Wale jagen.

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