„Ich sollte als Kind verheiratet werden“
V or allem für Frauen bedeutet der Neustart in einem fremden Land eine große Herausforderung. „Heute“zeigt in einer neuen Serie auf, wie Frauen ihr neues Leben in Wien meistern. Teils mit dem Auto, im Bus, im Zug oder zu Fuß flüchtete Fateme Ahmadi (18) mit ihrer Familie im November 2015 aus der afghanischen Stadt Herat über die Türkei und Griechenland vor Männern, die sie und ihre jüngere Schwester zu Heiratszwecken den Eltern wegnehmen wollten. Verheiratung mit Kindern passiere in ihrer Heimat oft, erzählt Fateme im Gespräch mit „Heute“. Der Vater wurde mit dem Tod bedroht, sollte er seine Töchter nicht hergeben. Angst dominierte die Familie. Im vom Krieg erschütterten und die Justiz missachtenden Afghanistan wären sie nicht sicher gewesen.
von Maria Jelenko
Fateme hat in Wien binnen kurzem Deutsch gelernt und kommt in die achte Klasse Gymnasium. Ihre vorwissenschaftliche Arbeit schreibt sie zum Thema „Migration“. Nach der Matura will sie Medizin studieren und Zahnärztin werden. Ihre Eltern – beide Schneider – wohnen hier mit den Kindern in einer Zwei-ZimmerWohnung. Sie besuchen Deutschkurse und wollen ihrer Arbeit in Wien wieder nachgehen. Vor wenigen Monaten hat Fateme ihr Kopftuch abgelegt, erzählt sie. Ihre Eltern haben das akzeptiert. Das Mädchen zieht trotzdem keine kurzen Sachen an: „Ich mag nicht, wenn andere meinen Körper sehen.“Ihre Religion und die sozialen Aspekte ihrer Kultur respektiert die Schülerin, solange ihre Freiheit nicht beschnitten wird. „Ich mag unsere Feste, wie wir sie mit der Familie feiern“, sagt Fateme mit glänzenden Augen. Was ihr nicht gefällt: dass Frauen im Islam weniger Rechte haben als Männer. „Sie sollen keine Ausbildung machen, sondern zu Hause bleiben und kochen. Das finde ich peinlich.“Die selbstbewusste Schülerin glaubt, dass sie nie einen Österreicher heiraten wird. „Prinzipiell bin ich offen für Neues, aber meine Religion einem Nicht-Moslem ständig zu erklären und umgekehrt, stelle ich mir in einer Beziehung mühsam vor, auch für die Kinder. Wieso beten wir? Wieso feiern wir? Wieso tragen wir Kopftuch? Sollen die Kinder mit Vater oder Mutter feiern? Heiratet man jemanden aus der gleichen Kultur, gibt es keinen Erklärungsbedarf.“