Heute - Wien Ausgabe

„Ich musste den gelben Stern tragen“

Erika Kosnar (86) erinnert sich an ihre von den Nationalso­zialisten gestohlene Kindheit

- „HEUTE“-SERIE MIT DER STADT WIEN von Isabella Martens

März 1938. In Wien-Simmering sieht Erika Kosnar mit an, wie ein Mob jüdische Nachbarn zwingt, die Straße zu putzen. Wenige Tage später wird sie selbst zur Zielscheib­e – im Alter von sechs Jahren.

Erika Kosnar wird als Tochter eines jüdischen Ehepaars 1932 in Wien geboren. Ihre Mutter war konvertier­t, konnte den Übertritt aber später vor den Nazis geheim halten. Nur Erika und ihr Vater galten als Juden.

Kosnar ging in Simmering zur Schule – bis eines Morgens die Klassentür­e aufgerisse­n wurde und Lehrerin Marion Binder, eine „überzeugte Nazisse“– wie Kosnar die Hitler-Verehrerin beschreibt – hereinschr­itt: „Wir Kinder mussten aufstehen und rufen: ,Wir grüßen unseren Führer, Heil Hitler!‘“Nur Sekunden später, als sich die Kinder setzten, schrie Binder: „Nemschitz! (Kosnars Mädchennam­e, Anm.). Nimm deine Schulsache­n und verschwind­e. Du bist nicht würdig, mit arischen Kindern in die Schule zu gehen.“

Für Kosnar, die leidenscha­ftlich gern zur Schule geht, bricht eine Welt zusammen: Fortan wird sie am Spielplatz von Freundinne­n beschimpft, mit Steinen beworfen. „Sie schrien: ,Jud, Jud, spuck in Hut, sag der Mutter, das ist gut.“Und: Während andere Kinder in ihrem Alter das Alphabet lernen, lernt Kosnar die Menschen kennen: „Ich begriff damals eines: Wenn deinem Nachbarn erlaubt wird, er darf dir alles wegnehmen und dich umbringen – wenn er weiß, dass er dafür nicht gestraft wird, dann macht er das auch.“

1941, mit neun Jahren, muss sich Kosnar in der Taborstraß­e den gelben Stern abholen: „Die Mama ist mit mir hingefahre­n, den Stern befestigte­n die Nazis an meinem Mantel.“

Während die beiden auf der Schwedenbr­ücke auf den OWagen warten, versinkt Erika in tieftrauri­ge Gedanken: „Ich habe beim Gitter in den Donaukanal runtergesc­haut und gesagt: ,Mutti, wenn ich da reinspring­en würde, hättest du keine Probleme mehr!‘“Die Mutter drückte ihr Kind fest an sich, weinte. „Was ich ihr damit angetan habe, das habe ich erst begriffen, als ich später selber Mutter war.“

Fortan beginnt ein Kampf ums Überleben: Nachbarn zeigen die Familie an, melden bei den Nazis, „dass auf der 3er-Stiege ein Jud“wohnt. Die NS-Behörde übt massiven Druck auf Kosnars Mutter aus, fordert, dass sie sich von ihrem jüdischen Mann trennt – sie weigert sich. Jeden Behördenwe­g, jede Streitigke­it musste die Mutter klären. Die anderen Familienmi­tglieder wurden ja als minderwert­ig angesehen.

Die Familie hielt sieben Jahre durch, ehe die Alliierten sie im Jahr 1945 erlöste.

Noch heute lebt Kosnar in Simmering, nahe dem Wohnhaus, in dem sie aufwuchs. Jeden 13. März meidet sie den Blick aus dem Fenster, zu bitter die Erinnerung­en: „Ich seh automatisc­h die Bilder von damals. Juden haben sich da unten auf der Straße hinknien und schrubben müssen. Die Bevölkerun­g stand rundherum und spuckte auf sie hinunter.“

Ihren gelben Stern hat Erika Kosnar heute noch: Ihn zeigt die Zeitzeugin bei ihren Besuchen an Wiener Schulen her. Kosnars Rat an die Jugendlich­en, den sie einst selbst von ihrem Vater bekommen hat: „Wenn du im Leben auf alles vergisst, vergiss nie, dass du ein Mensch bist.“

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Erika Kosnar wurde als Kind ausgegrenz­t. Kosnar als Kind
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