„ Große Egos sind langweilig“
Arno Geiger über seinen neuen Roman „Selbstporträt mit Flusspferd“, die brüchige Welt der Zwanzigjährigen und unser falsches Leben auf zu großem Fuß.
Herr Geiger, der Protagonist in Ihrem neuen Roman ist 22 Jahre alt. Gäbe es eine Art Zeitmaschine: Würden Sie sich selbst gerne noch einmal in dieses Alter und diese Zeit versetzen?
Nein, ich war ja schon zweiundzwanzig. Der Mensch von zweiundzwanzig steckt in mir drin, er wohnt in mir, hat sein Zimmer und trägt manches im Alltag bei. Ich finde es schön, jungen Menschen zu begegnen, und ich finde es wichtig, den jungen Menschen in mir nicht ganz wegzudrängen. Der Zweiundzwanzigjährige ist mir in manchem voraus, zum Beispiel, wie rasch er sich auf veränderte Situationen einstellt. Und als Schriftsteller habe ich immerhin die Möglichkeit, mich nochmals mit diesem Lebensalter über Jahre auseinanderzusetzen. Für mich eine sehr schöne, bereichernde Arbeit.
Wie charakterisieren Sie die heutige Generation der Mittzwanziger. Ist sie rastloser, ratloser, geworden, steckt sie noch mehr in einem Niemandsland zwischen Jugendund Erwachsenenwelt?
Ich möchte hier nicht verallgemeinern, es ist die Vielfalt der Menschen, die mich in Erstaunen versetzt, nicht deren Gleichförmigkeit. Aber es gibt natürlich allgemeine Tendenzen. Als ich zweiundzwanzig war, 1990, unmittelbar nach Ende des KaltenKrieges und nach dem Fall des EisernenVorhangs, herrschte Aufbruchstimmung. Heute leben wir in einer verunsichertenWelt, und das junge Erwachsenenalter ist ein Alter der Verunsicherung.
ARNO GEIGER:
GEIGER:
Möglicherweise verstärkt hier das eine das andere. Junge Menschen reagieren auf dieWelt, die man ihnen vor die Nase setzt. Und von rosiger Zukunft ist meines Erachtens heute nichts zu sehen. DerUmgang mitRessourcen ist beschämend, der Zustand des Planeten beängstigend, wir leben auf zu großem Fuß.
Sie bezeichnen Ihr Werk auch alsRoman vomFragenden und berufen sich auf die Tradition der Quester Legend. Was erachten Sie dabei als zentrale Fragen?
Wir sind in eine Welt gestellt, die wir nur unzureichend verstehen. Die Ordnung im Kopf ist nur eine Fiktion des Verstandes. Das Besondere an meinem Protagonisten Julian ist, dass er zu denen gehört, die sich zugeben, dass sie die Welt nur unzureichend verstehen. Er hat mehr Fragen als Antworten. Und seine zentralen Fragen sind ganz naheliegend: „Wie könnte ein lohnenswertes Leben aussehen? Wo ist mein Platz in derWelt? Was ist es, das mir fehlt und mir helfen könnte, mich geborgen zu fühlen?“– Das sind alterstypische Fragen. Aber bei näherer Betrachtung betreffen sie uns alle.
Wir gaben dem Roman den Untertitel „Die Leiden des jungen Wärters“. Können Sie damit leben?
GEIGER:
Ich habe mich über diesen Untertitel sehr gefreut, fand ihn auf Anhieb unglaublich treffend. Frappierend! Denn natürlich steht „Selbstporträt mit Flusspferd“in einer literarischen Tradition. Und Ausgangspunkt des Romanswar für mich unter ande-
GEIGER:
rem, dass mir aufgefallen war, wie sehr das junge Erwachsenenalter seit der Zeit Goethes an Aura verloren hat. Die Romane der Goethezeit wurden von den Zwanzigjährigen dominiert, man sah vor allem das Besondere an diesem Lebensalter, das Offene, die Neugier, die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren, Umwege zu machen. Heute sollen Lebensläufe möglichst früh geplantwerden und geradlinig verlaufen, unsere Gesellschaft legt den Jungen nichtNeugier nahe, sondern Zielstrebigkeit. Julian jedoch ist ein eher langsamer, suchender Mensch, das ist Teil seines Leidens als junger Wärter.
Auffallend ist immer wieder, mit welcher Intensität Sie sich in Ihre Figuren versetzen, mit diesen geradezu verwachsen. Daswar bei„Alles über Sally“so, das ist auch jetzt bei Ihrem jungen Protagonisten der Fall. Worin besteht der Reiz, die Herausforderung dabei?
Das Hineinversetzen in ein „früheres Ich“ist tatsächlich gar nicht so selbstverständlich. Man sieht es daran, wie oft Erwachsene von Kindern Dinge erwarten, die Kinder unmöglich
GEIGER:
leisten können – als wären sie selbst nie Kind gewesen. Oder im Umgang mit jungen Menschen – als wären sie selbst nie zwanzig gewesen. Für mich hat dieses Hineinversetzen einen besonderen Reiz, weil es mir die Möglichkeit eröffnet, andere Perspektiven auf dieWelt auszuprobieren. Ich probiere diese Perspektiven aus und biete sie den Lesern probehalber an. Zu versuchen, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen, ist obendrein nicht nur ein subtilesVergnügen, sondern auch eine moralische Pflicht. Inwiefern?
Weil es das beste Mittel gegen jede Art von Radikalität und Fundamentalismus ist. Fundamentalisten weigern sich, die Welt mit den Augen des anderen zu betrachten.
Sie entlassen keine großen Helden oder Heldinnen in die Literaturlandschaft, sondern sogenannte Durchschnittsmenschen. Da werden Sie selbst zweifellos auch zum Suchenden, um das Rätselhafte, Verborgene freizulegen.
Ja, genau, Durchschnittsmensch, das sagt man leicht von oben herab. Ich finde, dass
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