Merkel im Abseits
Zum Jubiläum der Deutschen Wiedervereinigung steht Kanzlerin Angela Merkel mit ihrer Asyl-Politik alleine da.
Helmut Kohls blühende Landschaften waren eine matschige Wiese. Vielleicht wäre es auch zu vermessen gewesen, mehr zu erwarten, dort vor dem Reichstag in Berlin im Herbst 1990. Es war ja erst kurz nach der verheißungsvollen Ankündigung vom Kanzler der Einheit an die DDRBürger. Natürlich galt das Versprechen für die Zukunft vor allem für Ostdeutschland, nicht so sehr für die Mitte der künftigen deutschen Hauptstadt.
Es war der 2. Oktober irgendwann kurz vor Mitternacht irgendwo auf dem Platz vor dem Reichstag. Tausende Menschen hatten sich ebenso wie der damals 17-jährige Autor dieser Zeilen aufgestellt, um die deutsche Einheit gebührend zu empfangen. Bei vielen war es die Neugier auf das Feuerwerk, das als das größte in der Geschichte des nur noch wenige Minuten geteilten Landes angekündigt wurde. Vielleicht war es Neugier, ob sich die Politikspitze wieder eine Peinlichkeit leisten werde, wie kurz nach dem Mauerfall auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses mit dem schiefen Singen der Hymne, disharmonische Einigkeit.
Dem Jubel der Vormonate war erste Skepsis beigemischt, ob das mit dem Wiedervereinigen auch wohl klappen möge. Es entstand allmählich das Bild des arroganten Besser-Wessis und des schmarotzenden Motz-Ossis. Nach Mitternacht brannte der Himmel über Berlin jedenfalls farbenfroh, die Flagge baumelte aber schlaff in diesem jungen Deutschland. In der Nacht der Nächte war sie natürlich kein Fähnlein, sondern ein protzendes Stück Stoff. enn man 25 Jahre nach dem Ereignis über den heutigen Platz der Deutschen Einheit spaziert und auf den Bundestag schaut, blüht der Rasen und es kommt unweigerlich die Frage auf: Wo steht Deutschland jetzt? Jedenfalls steht es an der Spitze Europas, ist wirtschaftlicher Motor in der EU. Auch wenn gerade bei den Verhandlungen in der Euro-Krise die Griechen das Bild vom züchtigen Lehrmeister Deutschland an die Wand malten, bekam Berlin auch viel Applaus. Längst ist die
WAngst über ein größenwahnsinniges, hegemoniales und nationalistisches Großdeutschland dem Vertrauen gewichen, dass Deutschland eine Stimme ist, die seine Stärke verantwortungsvoll einsetzt und Europas Einigkeit vorantreibt. Deutschland hat längst ein positives Image bekommen, was sich nicht zuletzt in der Flüchtlingskrise zeigt. Initialzündung war sicher die Fußball-WM 2006 im eigenen Land, als die Deutschen mit der Pickelhaube zu liebenswerten Partymenschen wurden – ein Bild, das sich selbst bei britischen Boulevardmedien durchgesetzt hat, die bis vor Kurzem jede sich bietende Gelegenheit genutzt haben, um den Deutschen mit der Naziuniform wieder ans Tageslicht zu zerren. In Ländern in Afrika und Südamerika schlägt einem als Deutscher seit dem FußballWeltmeistertitel 2014 sogar unverhohlene Bewunderung entgegen, selbst wenn man am Ball eine Null ist. Man ist doch auch irgendwie „made in Germany“. iel spannender als das Offensichtliche ist aber ein Blick auf die Blüte
Vder Vereinigung: jene Kinder, die nach 1990 geboren wurden und lediglich die Erfahrungen ihrer Eltern in sich tragen.
Dort lässt sich spüren, dass die unterschiedliche Sozialisation der beiden deutschen Staaten auch nach 25 Jahren noch weiterwirkt, teilweise noch weiterlebt. Sie mischt sich bei Kindern aus den fünf neuen Bundesländern Mecklenburg-
Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen
lohnt.“es sich zu leben und zu arbeiten
Helmut Kohl, Kanzler der Einheit, am 1. Juli 1990 zur deutsch- deutschen Währungs- und Sozialunion
Die Einheit ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis von Mut, Entschlossenheit und Zivilcourage.“
Angela Merkel, Kanzlerin, am
3. Oktober 2009
Nicht alle Blütenträume, die manche mit dem Staatsvertrag verbunden haben, konnten in Erfüllung gehen. Aber niemand wird es schlechter gehen als bisher.
Gegenteil.“Im
Lothar de Maizière, l etzter DDR- Ministerpräsident,
am 31. August 1990
Aber kein Weg führt an der Erkenntnis vorbei: Sich zu vereinen, heißt
lernen.“teilen
Richard von Weizsäcker, erster gesamtdeutscher Bundespräsident, am 3. Oktober 1990
Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen mit den zum Teil heftigen Brüchen in der Biografie ihrer Eltern. Die Euphorie der friedlichen Revolution und der Hoffnung auf Westwohlstand wich bald der Ernüchterung. Noch heute liegt die Wirtschaftsleistung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nur bei 67 Prozent jener der Länder der al- ten Bundesrepublik. Für die Menschen im Westen ging das Leben fast ausnahmslos so weiter bis zur Einheit. Deutschland konnte sich aus der sich abzeichnenden Rezession Ende der 80er-Jahre mit dem Schub der Wiedervereinigung sogar befreien. Auch Ostdeutschland hat sich dank der Solidaritätszahlungen und der Förderung massiv verbessert – aber nicht alle nahmen im gleichen Ausmaß teil.
D er Eindruck eines sinnlosen Lebens setzte sich an vielen Orten in Ostdeutschland durch, weil nichts Bestand hatte, was noch in der DDR galt. Exemplarisch wurden der Sandmann, das Ampelmännchen und der grüne Pfeil an Ampeln als letzte Überbleibsel des untergegangenen Staa- tes genannt. Die Errungenschaften des Sozialismus, die Wärme und Solidarität, die Sicherheit des Arbeitsplatzes wurden mit dem Beitritt zur Bundesrepublik gegen die Reisefreiheit getauscht, die sich aber nicht alle leisten konnten. Alles was irgendwie nach Osten aussah, wurde auf den Misthaufen der Geschichte geworfen. Es entstand Ostalgie. Doch dieser Eindruck trügt. Einiges, was früher wohl doch nicht so schlecht war, taucht im neuen Gewand wieder auf. Auch ehemalige DDR-Produkte kehren zurück.
O stdeutsche Erfahrungen fließen inzwischen in die gesamtdeutsche Betrachtung ein. Sichtbarstes Zeichen: Mit Angela Merkel als Kanzlerin und Bundespräsident Joachim Gauck sitzen zwei Ostdeutsche am Ruder des Staates. Heute übernimmt zudem der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich die Präsidentschaft im Bundesrat. Damit sind die fünf höchsten Staatsämter mit drei Ostdeutschen besetzt.
Am prägnantesten ist die Einheit aber an den Kindern zu sehen, die gemischtdeutsche Eltern haben. Sie tragen die Erfahrungen beider in sich und denken im besten Sinne gesamtdeutsch. Sie können sich nicht einmal vorstellen, wie es war, als die Mauer noch stand, kennen weder die alte Bundesrepublik noch das Leben in der DDR und sind doch mit den unterschiedlichen Sozialisationen konfrontiert. Aber auch mit den Träumen der Eltern. Denn die unterscheiden sich stark von Generation zu Generation – fast so wie damals jene von Ost und West. Immerhin: Die Träume sind gesamtdeutsch geworden.