Vertriebsverbot und Fetisch
Smart: Rimini Protokoll erkundet unbehagliche Fragen zu Hitlers „Mein Kampf “.
L„Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“in Graz: Man kann dem Buch mit Witz begegnen, ohne es zu bagatellisieren ässt sich in Graz in nur einer Stunde eine Ausgabe von „Mein Kampf “erwerben? Antikenhändler Nummer vier hat ein Prachtexemplar: Jubiläumsausgabe, Goldschnitt, Schuber. 300 Euro wollte er dafür, berichten Anna Gilsbach und Matthias Hageböck, „auf 280 haben wir ihn heruntergehandelt“.
Die beiden gehören zum sechsköpfigen Amateurteam, das auf der Bühne des Schauspielhauses den zeitgenössischen Umgang mit dem Buch erkundet – Helgard Haug und Daniel Wetzel vom Rimini Protokoll haben „Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“auf die Bühne gebracht. Anfang September in Weimar, nun in einer für Graz adaptierten Version.
Der Anlass ist ein besonderer: Mit 2016 erlischt das Urheberrecht an der nationalsozialistischen Hetzschrift, sie wird gemeinfrei. Was danach passiert, ist unklar. Bisher darf „Mein Kampf “
Adolf Hitler: Mein Kampf, Bd. 1 & 2.
Rimini Protokoll/Helgard Haug und Daniel Wetzel. Koproduktion mit dem steirischen herbst und sieben weiteren Partnern.
in Österreich und Deutschland zwar besessen, aber nicht vervielfältigt und vertrieben werden. Überwacht wird dieses Verbot kaum.
Reflexionsapparat
Für Rimini Protokoll war das der Anlass, sich mit dem Machwerk zu befassen. Die Erstellung von Reflexionsapparaten zu großen Themen, in umfassenden Recherchen mit Theaterlaien („Experten aus der Wirklichkeit“) erarbeitet und auf die Bühne gebracht, zählt zu den Spezialitäten des deutschschweizerischen Dokumentartheaters.
Das Bühnenbild ist die Rückwand der Rimini-Produktion „Karl Marx: Das Kapital, Erster
Schauspielhaus Graz, heute, 19.30 Uhr.
Tel. (0 31 6) 8000.
Letzter Termin:
Karten: Bewertung: www.steirischerherbst.at
Band“von 2007 (ein wohl nicht ganz bündiger Gag), eine Bücherund Kletterwand, die auch als Projektionsfläche dient.
Davor stehen sie: die Juristinnen Anna Gilsbach und Sibylla Flügge, Buchrestaurator Matthias Hageböck, der blinde Radioredakteur Christian Spremberg, der türkischstämmige Politologe und Hip-Hopper Volkan T. Error und der israelische Jurist Alon Kraus. Der hat „Mein Kampf “als Student gelesen und als Managementratgeber nützlich gefunden, erzählt er: „Danach habe ich drei Seminararbeiten fertiggestellt, die ich jahrelang vor mir hergeschoben hatte.“Knapp zwei Stunden lang geht es auf der Bühne in einer Collage aus solchen persön- lichen Anekdoten, aus beiläufigem Faktenwissen (15 Millionen Reichsmark hat Hitler mit „Mein Kampf “verdient, in Japan gibt es davon eine Manga-Version) und vorgelesenen Passagen um die Probleme, die das Buch aufwirft.
Es geht um Verbot und Fetischisierung, um antisemitische und antidemokratische Hetze und die Frage, ob Holocaust und Weltkrieg aus dem Text herauslesbar gewesen wären. Antworten kann der Abend natürlich nicht liefern. Immerhin gibt es ein paar Einsichten: Man kann dem Buch mit Witz begegnen, ohne es zu bagatellisieren. Wer immer es aufschlägt, wird seine Familiengeschichte aufschlagen. Und: Ein wenig zu elastisch führt die Argumentationskette von der Nazischrift zu RAF und IS-Terror. Trotzdem fragt man sich vor dem Hintergrund des Faktums, dass Hitler „Mein Kampf “in Haft verfasste, am Ende mit den Protagonisten: Woran schreibt eigentlich Beate Zschäpe?