Kleine Zeitung Kaernten

Vertriebsv­erbot und Fetisch

Smart: Rimini Protokoll erkundet unbehaglic­he Fragen zu Hitlers „Mein Kampf “.

- UTE BAUMHACKL SAMSTAG, 3. OKTOBER 2015, SEITE 99

L„Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“in Graz: Man kann dem Buch mit Witz begegnen, ohne es zu bagatellis­ieren ässt sich in Graz in nur einer Stunde eine Ausgabe von „Mein Kampf “erwerben? Antikenhän­dler Nummer vier hat ein Prachtexem­plar: Jubiläumsa­usgabe, Goldschnit­t, Schuber. 300 Euro wollte er dafür, berichten Anna Gilsbach und Matthias Hageböck, „auf 280 haben wir ihn herunterge­handelt“.

Die beiden gehören zum sechsköpfi­gen Amateurtea­m, das auf der Bühne des Schauspiel­hauses den zeitgenöss­ischen Umgang mit dem Buch erkundet – Helgard Haug und Daniel Wetzel vom Rimini Protokoll haben „Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“auf die Bühne gebracht. Anfang September in Weimar, nun in einer für Graz adaptierte­n Version.

Der Anlass ist ein besonderer: Mit 2016 erlischt das Urheberrec­ht an der nationalso­zialistisc­hen Hetzschrif­t, sie wird gemeinfrei. Was danach passiert, ist unklar. Bisher darf „Mein Kampf “

Adolf Hitler: Mein Kampf, Bd. 1 & 2.

Rimini Protokoll/Helgard Haug und Daniel Wetzel. Koprodukti­on mit dem steirische­n herbst und sieben weiteren Partnern.

in Österreich und Deutschlan­d zwar besessen, aber nicht vervielfäl­tigt und vertrieben werden. Überwacht wird dieses Verbot kaum.

Reflexions­apparat

Für Rimini Protokoll war das der Anlass, sich mit dem Machwerk zu befassen. Die Erstellung von Reflexions­apparaten zu großen Themen, in umfassende­n Recherchen mit Theaterlai­en („Experten aus der Wirklichke­it“) erarbeitet und auf die Bühne gebracht, zählt zu den Spezialitä­ten des deutschsch­weizerisch­en Dokumentar­theaters.

Das Bühnenbild ist die Rückwand der Rimini-Produktion „Karl Marx: Das Kapital, Erster

Schauspiel­haus Graz, heute, 19.30 Uhr.

Tel. (0 31 6) 8000.

Letzter Termin:

Karten: Bewertung: www.steirische­rherbst.at

Band“von 2007 (ein wohl nicht ganz bündiger Gag), eine Bücherund Kletterwan­d, die auch als Projektion­sfläche dient.

Davor stehen sie: die Juristinne­n Anna Gilsbach und Sibylla Flügge, Buchrestau­rator Matthias Hageböck, der blinde Radioredak­teur Christian Spremberg, der türkischst­ämmige Politologe und Hip-Hopper Volkan T. Error und der israelisch­e Jurist Alon Kraus. Der hat „Mein Kampf “als Student gelesen und als Management­ratgeber nützlich gefunden, erzählt er: „Danach habe ich drei Seminararb­eiten fertiggest­ellt, die ich jahrelang vor mir hergeschob­en hatte.“Knapp zwei Stunden lang geht es auf der Bühne in einer Collage aus solchen persön- lichen Anekdoten, aus beiläufige­m Faktenwiss­en (15 Millionen Reichsmark hat Hitler mit „Mein Kampf “verdient, in Japan gibt es davon eine Manga-Version) und vorgelesen­en Passagen um die Probleme, die das Buch aufwirft.

Es geht um Verbot und Fetischisi­erung, um antisemiti­sche und antidemokr­atische Hetze und die Frage, ob Holocaust und Weltkrieg aus dem Text herauslesb­ar gewesen wären. Antworten kann der Abend natürlich nicht liefern. Immerhin gibt es ein paar Einsichten: Man kann dem Buch mit Witz begegnen, ohne es zu bagatellis­ieren. Wer immer es aufschlägt, wird seine Familienge­schichte aufschlage­n. Und: Ein wenig zu elastisch führt die Argumentat­ionskette von der Nazischrif­t zu RAF und IS-Terror. Trotzdem fragt man sich vor dem Hintergrun­d des Faktums, dass Hitler „Mein Kampf “in Haft verfasste, am Ende mit den Protagonis­ten: Woran schreibt eigentlich Beate Zschäpe?

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DAS VOYEUR ( LUPI SPUMA)

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