DieGrenzerfahrungenfür Europa sind schmerzhaft
Es schwindet der Anspruch als moralische Instanz.
Vor drei Jahren erhielt die EU den Friedensnobelpreis. Die Euro-Krise zerrte da schon an der EU, aber Europa feierte sich stolz als Friedens- und Freiheitsprojekt. Drei Jahre können eine Ewigkeit sein. Vom Leuchtturm als zwischen- und überstaatliches Vorzeigebündnis spricht niemand mehr in diesen Tagen. Europa hat seine Vorbildfunktion verloren. Europa macht seine Grenzerfahrungen. Zum einen mit den Staaten Afrikas. Die EU-Staaten greifen in der Flüchtlingskrise zum alten Mittel. Sie bieten Geld gegen Folgsamkeit. Ohne aus den alten Fehlern zu lernen.
Da ist etwa die Kooperation mit diktatorischen Staaten wie Eritrea und Sudan. Da ist zum anderen die klassische Geldgeberrolle, ohne indes die Veränderungen in Afrika zu erkennen. Über Jahrzehnte hinweg hat Europa in Afrika in Bildung investiert, nun entlässt die edukatorische Revolution ihre Kinder, aber die Investitionen in Wirtschaft und Jobs bleiben mager. Afrikas Industrialisierungsquote liegt bei dünnen zehn Prozent. So macht sich die gut ausgebildete Jugend auf den Weg. Ihre Überweisungen in die Heimat sind längst ein Wirtschaftsfaktor. Und Europa verkennt den veränderten Charakter der Migration. Viele junge Afrikaner wollen nur zeitweise in Europa bleiben, Geld verdienen und zurückkehren. Europa bietet dazu keine Chancen. Europa braucht Afrika. Aus einem einzigen Grund: um Zäune zu errichten und die Grenzen zu kontrollieren.
Deshalb braucht Europa auch die Türkei. Ungeachtet des Vorgehens der Präsidentenpartei gegen Medien und Opposition. Das Bild vom Freiheitsprojekt leidet. Interessanterweise ist es gerade das Freiheitsprojekt Europa, das die Flüchtlinge aus Syrien in die EU kommen lässt. Es ist gerade die Freiheit, die Europa zu schmerzhaften Grenzerfahrungen zwingt. Die Flüchtlingskrise zerrt an wichtigen Grundsätzen: Reisefreiheit und Abbau von Grenzen. Nicht die Flüchtlinge, sondern die Herangehensweise wird zur existenziellen Frage. uropa verstand sich immer als moralisches Projekt. Auch deshalb lagert es nun die unangenehme Arbeit aus: Die Türkei und Afrika sollen die schmutzigen Grenzkontrollen übernehmen. Für Europas Bild hat das verheerende Folgen: nach innen und außen. Nach außen schwindet Europas Anspruch als moralische Führungskraft. Nach innen zuppelt die Flüchtlingskrise gewaltig an den Grundfesten. Die EU ist längst kein Integrationsprojekt mehr, sondern allenfalls ein Kohäsionsprojekt. Europa macht seine Grenzerfahrungen. Und die sind höchst schmerzhaft.
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„Adieu,
Helmut. Wer soll uns jetzt die Welt erklären?
Titel der neuen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“zum Tod von Helmut Schmidt Titel der „Bild“zum Ableben Schmidts
Jetzt erklärt er Gott die Welt.