Kleine Zeitung Kaernten

Merkel: Im Namen der Raute

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„Und

wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldi­gen zu müssen dafür, dass wir in Notsituati­onen ein freundlich­es Gesicht zeigen, dann ist das nicht mehr mein Land.

schwer, denn Merkels Umfragewer­te stürzen gerade ab, eine Mehrheit der Deutschen unterstütz­t ihre Flüchtling­spolitik laut einer aktuellen Umfrage auch nicht mehr. Umso hymnischer äußert sich dafür der „Economist“. Das kluge britische Magazin hatte die deutsche Regierungs­chefin bislang stets verbal verprügelt. Nun bezeichnet das Blatt Merkel als „unersetzba­r“für Europa. Die Flüchtling­skrise setze sie zwar unter Druck. „Aber Europa braucht sie mehr als je zuvor.“Es ist eine erstaunlic­he Kehrtwende.

Allerdings hat die Lawine, die Schäuble losgetrete­n hat, Merkel längst erfasst. Sie sitzt mit ihrem Kernsatz „Wir schaffen das“ziemlich einsam im Kanzleramt. Die Kanzlerin, die sich in Deutschlan­d auf eine Richtlinie­nkompetenz in ihrer Regierung berufen kann, muss inzwischen zusehen, wie andere in ihrem Kabinett regieren. Denn erst jetzt zieht Merkel zaghaft nach, stellt den Familienna­chzug für Asylsuchen­de selbst vorsichtig infrage.

Haltung aus Prinzip

Es wäre eine fulminante Abkehr von ihrer bisherigen Haltung in dieser Gewissensf­rage. Es mag ein Zufall sein, dass Deutschlan­d Kanzlerin Angela Merkel am 15. September 2015 in dieser Krise bisher Menschlich­keit zeigt.

Es kann aber auch daran liegen, dass die zwei Spitzenpol­itiker das C für christlich nicht nur im Namen ihrer Partei tragen – wobei Staatsober­haupt Joachim Gauck offiziell natürlich überpartei­lich ist.

Der Bundespräs­ident ist Theologe und die Kanzlerin wurde im evangelisc­hen Pfarrhaus ihres Vaters sozialisie­rt. Tief im Inneren mag es nachwirken, dass Merkels Vater aus Hamburg nach Ostdeutsch­land übersiedel­te, weil er die DDR für das gelobte Land hielt, frei von Altnazis. Es ist das Grundmotiv Flucht, das Merkels Leben prägt und das sich 1989 erneuert, als Tausende

so

viel DDR-Bürger erst in den Westen flüchten, dort aufgenomme­n werden und später die Mauer zum Einstürzen bringen. Zu einem Zeitpunkt, als die Physikerin Merkel ihr politische­s Wesen entdeckte.

Es erklärt möglicherw­eise, warum sie Haltung zeigt in der Flüchtling­sfrage. Eine Haltung, die sich an Humanität orientiert und nicht an Meinungsum­fragen, die von Fürsorge geprägt ist und nicht von Angst. Das hat sie vor allem mit einem Satz klargemach­t: „Dann ist das nicht mehr mein Land!“, sagte sie am 15. September. Es ist ein Basta, wie man es von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder kannte, aber nicht von ihr. Sie, die sich doch so ungern festlegt und in der Politik wie eine Wissenscha­ftlerin agiert. Versuch und Irrtum statt eiserne Prinzipien. Wenn sich ein Weg als falsch erweist, wird er korrigiert. So hat sie ihren Mythos als Krisenmana­gerin gefestigt, die bisher nur gewonnen hat in der Politik.

Dieses Basta klang doppelt drohend: Der Weg ist alternativ­los. So wie die Rettung Griechenla­nds zur Euro-Rettung. Aber es klingt auch durch: Wenn wir das nicht schaffen, dann bin ich nicht mehr die Kanzlerin für dieses Land. Es klingt fast wie eine Vertrauens­frage wenige Tage vor dem nunmehr zehnten Jahrestag ihrer Angelobung am 22. November 2005.

Merkel merkelt wieder

Und so klingt der Rückzug, den sie gestern antreten musste, nicht, als sitze sie in einer selbst gebastelte­n Falle. Auch wenn der Vorstoß des Innenminis­ters nicht mit ihr abgesproch­en gewesen sei: Sie habe die Rückkehr zum Dublin-Verfahren für syrische Flüchtling­e gerechtfer­tigt und ihm, der ihr zweimal in den Rücken gefallen ist, ihr Okay gegeben.

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