„Der IS erlebt im Irak jetzt sein
Terrorexperte Thomas Schmidinger sieht im Kampf in der Region eine Kriegswende. Sie erklärt auch, warum die Terrormiliz sich nun Europa vornimmt. Der Anschlag sei ein Signal der Schwäche.
Was sagen uns die Anschläge über die Verfasstheit der terroristischen Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS)? THOMAS SCHMIDINGER: Ich bin nicht überrascht darüber, dass sie jetzt kommen. Meines Erachtens sind sie – so absurd das im ersten Augenblick klingt – ein Ausdruck der Schwäche. Der IS ist in den letzten Tagen massiv militärisch unter Druck geraten in der Region. Einerseits durch die Angriffe von kurdischen Einheiten der YPG/YPJ und FSA in Richtung Raqqa und die Luftangriffe der USA. Anderseits im Irak durch die Eroberung von Sindschar, die strategisch von wichtiger Bedeutung ist, weil damit auch die Nachschubwege für die Verbindungsstraße von Mossul nach Raqqa unterbrochen sind.
Ist das eine Strategieänderung des IS auf Europa? SCHMIDINGER: Es war zu erwarten, dass zum Zeitpunkt der militärischen Niederlage in der Region der Terror in Europa zunehmen wird. Das wird, fürchte ich, nicht das letzte Mal gewesen sein.
Sprechen Koordination der Taten und Detailkenntnis der An- schlagziele nicht gegen frisch eingeschleuste IS-Terroristen? SCHMIDINGER: Das sind sicher Leute, die sich in Frankreich gut auskannten. Das ist eine Zelle, die in Paris schon lange existiert hat.
Kann man die Taten mit der französischen Politik erklären? SCHMIDINGER: Der IS macht grundsätzlich keine Dinge zufällig. Es ist im Interesse der Jihadisten, dass man in Frankreich mit dem Anschlag die sozialen Span- erhöht. Frankreich hat eine sehr starke, extreme Rechte. Die Strategie, die etwa im Irak aufgegangen ist, einen konfessionellen Bürgerkrieg herbeizubomben, ist etwas, was der IS auch für Europa herbeisehnt. Ich hoffe, dass diese Strategie nicht aufgeht, aber antimuslimische Reaktionen würden dem IS zugutekommen. Frankreich ist aufgrund der starken Präsenz des Front National sicher der Staat, wo sich Jihadisten am ehesten erhoffen können, zu solchen Reaktionen kommen zu können.
Nach 9/11 haben wir uns auf größere Ereignisse konzentriert. Zuletzt gab es aber eher kleinere Attentate. Ist das eine neue Strategie, auf die wir uns einstellen müssen? SCHMIDINGER: Die Strategie ist nicht neu. Es ist eher eine Rückkehr zu einer ganz alten Strategie. Al Kaida hat dann schon sehr auf spektakuläre Großangriffe genungen