Klein Istanbul am Wiener Heldenplatz
Die Mitglieder der „türkischen Community“in Österreich könnten unterschiedlicher kaum sein. Man begegnet Erdog˘an-Fans, Kritikern, FPÖ-Wählern und Gleichgültigen. Ein Besuch.
Beinahe jeder trug eine Fahne. Um den Hals, in der Hand oder dezenter am Körper. Tausende Türken zogen damit am vergangenen Wochenende über den Wiener Heldenplatz. Diese Demonstrationen lassen seitdem die Wogen im Land hochgehen. Der Vorwurf steht im Raum, dass die hier lebenden Türken einen weit entfernten Konflikt nach Österreich importieren. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) legte den Aktivisten sogar die Ausreise nahe.
Immer wieder wird dabei von der „türkischen Community“gesprochen. Ein Begriff, der den Eindruck einer einheitlichen Gruppe vermittelt. Doch diese könnte unterschiedlicher kaum sein. Mehr als 1,7 Millionen Österreicher haben einen Migrationshintergrund, nach Deutschland ist die Türkei das am stärksten vertretene Herkunftsland. 114.740 türkische Staatsangehörige leben hier, von den insgesamt 300.000 Menschen mit türkischen Wurzeln wohnen 40 Prozent in Wien. Fatih Özköseoglu kennt die vielfältigen Themen, die diese Gruppe beschäftigen. Der Streetworker und Sohn von türkischen Bergdorf-Auswanderern bestätigt, dass es zahlreiche Fans des umstrittenen Präsidenten Recep Tayyip Erdog˘an unter ihnen gibt und verweist auf ein erstaunliches Phänomen: „Viele tendieren zur FPÖ, weil sie Angst davor haben, dass Flüchtlinge ihnen alles wegnehmen.“Die Politik in ihrem Heimatland verfolgen sie genau. „Und die türkischen Medien haben einen Drill und bilden keine breiten Meinungen ab.“
Die von diesen Medien verbreitete Meinung des Präsidenten, dass sein im Exil lebender Erzfeind Fethullah Gülen hinter dem Militärputsch steckt, hat auch hierzulande Wirkung gezeigt. Beim Gülen-nahen Friede-Institut, das seit 2002 in Wien ansässig ist, gingen zahlreiche Morddro-
„Erdo˘gan ist ein sehr guter Präsident, er hat in der Türkei gute Arbeit gemacht. Gott schütze ihn.
hungen ein. Anzeigen wurden bereits erstattet, erzählt ein Mitarbeiter, der seinen Namen nicht nennen möchte. Zu groß sei die Angst. „Es ist unvorstellbar, dass Menschen, die hier seit Generationen leben, uns so massiv angreifen und als Vaterlandsverräter bezeichnen“, klagt er. „Ich lebe seit Jahrzehnten hier, das ist meine Heimat und an die hier geltenden Gesetze halte ich mich – was hat die türkische Politik mit uns hier zu tun?“In sein Herkunftsland traue er sich nicht mehr. „Egal, was man dort sagt, man wird dafür verurteilt und gleich als Putschist, Kurde oder sonst eine unliebsame Gruppe bezeichnet.“
Vereine mobilisieren
Zu einer dieser Gruppen gehört auch Hülya Tektas. Die Soziologin und Kurdin zeigt sich wenig überrascht, dass es so viele Menschen für Erdog˘an auf die Straßen zog. „Viele dieser Familien waren in der Türkei Außenseiter, bevor sie ausgewandert sind“, erklärt sie. „Man hat sie belächelt, weil sie religiös waren.“Genauso ging es laut Tektas auch dem jetzigen Präsidenten. „Die Gastarbeiter haben aus dem Ausland beobachtet, wie Erdog˘an, also einer von ihnen, das Land politisch relevant gemacht hat und sich Ansehen erarbeitet hat.“Diese Diskrepanz zwischen alter und neuer Heimat habe das Schlagen von Wurzeln verhindert. „Die türkischen Vereine in Österreich mobilisieren zusätzlich.“