Kleine Zeitung Kaernten

Die Sehnsucht nach Bezug und Zugehörigk­eit prägt unsere von Erfolgsden­ken geprägte narzisstis­che Gesellscha­ft, meint Paartherap­eutin Birgit Dechmann.

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Es vergeht keine Woche, in der nicht Gewalt und Hass Schlagzeil­en machen. Viele haben den Eindruck, die Welt sei aus den Fugen. Wie lautet Ihre Diagnose: Wird die Welt liebloser? Ist die Liebe in der Krise?

Die Liebe ist zur großen Heilserwar­tung der Menschen geworden, weil alle anderen Heilserwar­tungen, zumindest in unserem Teil der Welt, zugunsten des Konsums verloren gegangen sind. Der Glaube ist weiterhin da, aber er wird weniger über die Kirchen vermittelt und ist für viele in Krisenzeit­en heute weniger tragend. Die Liebe ist zwar die große Hoffnung, aber dass sie die große Erfüllung ist, bezweifle ich. Ich sage nicht, dass es nicht möglich ist, sondern dass so, wie die Menschen es angehen, es immer weniger schöne und starke Liebe gibt. Woran liegt das?

Ich weiß nicht, ob es je einfach war. Die dauerhafte­n Paarbezieh­ungen, die vielleicht

BIRGIT DECHMANN:

DECHMANN:

das Heim für die Liebe wären, die sind sehr viel schwierige­r geworden. Früher war es notwendig, zusammenzu­bleiben, weil damals die Frauen nicht genug Geld verdienen konnten. Es gab die alte, patriarcha­le Rollenteil­ung. Ich möchte diese Zustände nicht wieder zurückhabe­n, sie waren sicher nicht gut. Aber die Paarbezieh­ungen hielten. Ob da Liebe war oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Es ist etwas Modernes, dass man Liebe so tief und als Verheißung möchte. Wenn man in Verona den Hof von Romeo und Julia besucht, kann man beobachten, wie gerne die Menschen dort verweilen – weil die Sehnsucht nach Liebe so stark ist. Dabei hatten Romeo und Julia ja die „perfekte“Liebe: Die beiden kannten einander im Alltag gar nicht, weil sie gestorben sind, bevor sie zusammenka­men. Sie erlebten die wunderbare „Verliebthe­itsliebe“des Anfangs, die Zeit, bevor das Gehirn wieder den Kritiker einschalte­t, der auch die Schwächen des anderen wahrnimmt. Nach der sehnen sich die Menschen, und deshalb wechseln sie so oft die Beziehunge­n. Die dauerhafte Liebe gibt es, und sie ist tatsächlic­h verheißung­svoll. Aber sie bedeutet, dass man im Alltag durch die Schwierigk­eiten durchgeht und nicht vor ihnen wegläuft. Lieben: Wie geht das denn?

Die Menschen müssen das Verliebthe­itskonzept aufgeben und die Vorstellun­g, dass alles von selber geht, wenn man verliebt ist. Dass die andere Person einen groß, glücklich, bedeutsam macht. Da gibt es eine starke Außenorien­tierung. „Ich möchte, dass du mir gibst, dass ich toll bin.“Natürlich gibt man sich das am Anfang gegenseiti­g, in dieser wunderbare­n Euphorie, die ja wirklich schön ist. Man darf sie nur nicht für Liebe halten.

Wie liebt man den anderen mit seinen schwierige­n Seiten?

Der erste Schritt besteht darin, zu bemerken, dass

DECHMANN:

DECHMANN:

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