„Das ist definitiv ein Krieg“
Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin über den Konflikt mit Russland, die Korruption im Land und die Hoffnungen auf die Hilfe der EU.
Im August 1991 erklärte die Ukraine ihre Unabhängigkeit. Ende 1991 zerfiel die Sowjetunion. Damit betrat ein Staat wieder die politische Bühne, der fast 300 Jahre lang nicht bestanden hatte. 25 Jahre später steckt das Land in der tiefsten Krise seiner Geschichte, vom Verlust der Halbinsel Krim über den Krieg im Osten bis hin zum eher mageren Reformtempo. Ein Gespräch mit dem ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin, der gestern in Salzburg war, wo er ein Honorarkonsulat eröffnete.
Nach mehr als zwei Jahren Krieg kann an der 500 Kilometer langen Waffenstillstandslinie von einer haltbaren Feuerpause nicht die Rede sein. Hat der Friedensplan noch eine realistische Chance, umgesetzt zu werden? PAWLO KLIMKIN: Das Abkommen von Minsk vom Februar 2015 hat definitiv eine gute Chance, wenn man den Frieden will. Dann kann man das Abkommen wirklich schnell umsetzen. Es geht grundsätzlich um eine Feuerpause sowie um die Kontrolle des Donezbeckens durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die auch die ukrainisch-russische Grenze kontrollieren soll. Weiters geht es um die Sicherheit für künftige Lokalwahlen. Aber Russland will keinen Frieden, Russland kann eine demokratische und europäische Ukraine nicht brauchen; daher wird das Minsker Abkommen nicht umgesetzt.
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat alle Konfliktparteien aufgefordert, mehr zur Umsetzung von Minsk zu tun, auch die Ukraine. Sind tatsächlich nur Russland und die Rebellen schuld? KLIMKIN: Russland hat mindestens 260 Mal Waffen und Munition in die Gebiete in der Ostukraine geschickt. Außerdem zeigt der jüngste Bericht der OSZE, dass alle Fälle, in denen OSZE-Beobachter der Zugang verweigert wurde, Territorien betreffen, die von Russland kontrolliert werden. Russland wird auch weiter auf Zeit spielen, wird versuchen, die Ukraine zu destabilisieren, will vielleicht die Wahlen in den USA, aber auch die weitere Entwicklung in der EU abwarten. Daran liegt es, dass man die Lage weiterhin nicht stabilisieren kann.
Wie stellen Sie sich die künftige Rolle und Entwicklung der OSZEBeobachtermission vor? KLIMKIN: Wir brauchen definitiv mehr Beobachter; jetzt haben wir etwa 800 im Einsatz, das ist für das gesamte Territorium des Donezbeckens einfach zu wenig. Zweitens soll auch eine neue Mission gebildet werden, eine bewaffnete OSZE-Polizeimission
für die Sicherheit der Lokalwahlen. Wer soll diese Sicherheit vor Ort garantieren? Russland, da gibt es keine Sicherheit; wir, die ukrainische Seite, da fehlt das Vertrauen von Russland. Deswegen muss diese Aufgabe von der OSZE übernommen werden.
Wie kann man die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland aus Ihrer Sicht bezeichnen? Ist das de facto ein Kriegszustand? KLIMKIN: Das ist sehr einfach; das ist die russische Aggression gegen die Ukraine; die Krim ist von Russland besetzt, das Donezbecken ist von Russland besetzt, das ist jetzt eine Art russisches Protektorat. Das ist definitiv ein Krieg, mit militärischen Mitteln, aber auch mit anderen Mitteln. Dazu zählen Propaganda sowie wirtschaftliche Erpressung.
Nicht nur Transparency International sieht nur mäßige Erfolge beim Kampf gegen die Korruption. Warum geht das so langsam? KLIMKIN: Mit der Formulierung „mäßige Erfolge“bin ich nicht einverstanden, weil wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren mehr Reformen umgesetzt haben als in den 23 Jahren zuvor, also seit der Unabhängigkeit. Das bestätigen alle, die der Ukraine bei diesen Reformen helfen, und das betrifft auch den Kampf gegen die Korruption. Natürlich würde ich mir persönlich auch mehr Erfolge wünschen; das müssen wir selbst tun. Doch man kann in zwei Jahren nicht all das nachholen, was in 23 Jahren nicht gemacht wurde.
Wie sehr dominieren Oligarchen noch die Ukraine, die zum Beispiel alle großen Medien kontrollieren? KLIMKIN: Wenn man die Lage vor drei oder fünf Jahren mit heute vergleicht, so ist das völlig anders. Natürlich haben wir das noch auf der Tagesordnung, doch die Fortschritte sind da, und wenn man die wirtschaftlichen Prozesse sieht, sind schon wirkliche Erfolge da. Andererseits gibt es etwa die Medien, wo noch immer viel zu tun bleibt, das muss man auch sagen.
Seit der Unabhängigkeit hat sich der Unterschied zu Polen deutlich vergrößert. Die Ukraine hat immer wieder zwischen Brüssel und Moskau geschwankt. Wie beurteilen Sie diese 25 Jahre? KLIMKIN: Zunächst war es für uns unglaublich wichtig, dass es die Ukraine als unabhängiges Land wieder gab. Jetzt ist es für uns sehr wichtig, dass wir kein postsowjetisches Land sind, sondern eine demokratische und europäische Ukraine. Was Polen betrifft, so gab es in den 90er-Jahren eben die europäische Perspektive für Polen; es gab ein Assoziierungsabkommen, es gab die Mitgliedschaft in der EU und in der Nato. Sie können wohl verstehen, wie das Polen geholfen hat. Es geht auch nicht nur um die Ukraine, es geht um das europäische Projekt insgesamt, um europäische Werte und darum, wie Europa in zehn Jahren aussehen wird. Deswegen brauchen wir diese Unterstützung jetzt, die europäische Solidarität haben wir schon, aber jetzt brauchen wir auch mehr Engagement, auch von hier, von Österreich.