Im Schlamm versunken
Eine riesige Mure verwüstete den Afritzer Ortsteil Kraa. Über 50 Häuser wurden von der Schlammlawine getroffen. Die Bevölkerung lässt sich aber nicht unterkriegen. Mit Hochdruck wird an der Beseitigung der Schäden gearbeitet.
Matsch und Geröll – überall. Bei jedem Schritt versinken die Schuhe tiefer im weichen Grund. Bagger und Traktoren rattern über die Straße, die sich in eine Piste aus Dreck und Felsen verwandelt hat. Der Ortsteil Kraa in Afritz ist verwüstet.
Das Unwetter hat am Montag in Kärnten vielerorts getobt. Doch so schlimm wie hier war es nirgends. Eine Mure ging auf über 50 Häuser nieder: Der Strom aus Schlamm und Steinen riss eine Brücke mit, fällte Bäume, drang in die Häuser ein. Verletzt wurde zum Glück niemand. „Das Ganze dauerte nur wenige Minuten. Danach sind wir gar nicht mehr bei der Haustür rausgekommen. Es war ein Schock. So etwas hat es hier noch nie gegeben“, sagt Walter Holzer. Mit der Schaufel in der Hand steht der Afritzer in der Matschlawine, die das Haus seines Sohns Richard getroffen hat. Der redet hinter dem Haus gerade mit Helfern, die das Geröll in Scheibtruhen wegkarren: „Wir arbeiten, seit es hell ist. Der ganze Dreck muss aus dem Haus. Im Keller steht der Schlamm eineinhalb Meter hoch. Es ist zum Weinen.“
Er ist froh, dass er in seinem Unglück nicht allein gelassen wird: „Ich möchte mich bei allen freiwilligen Helfern bedanken. Alle im Ort helfen zusammen. Sogar Leute, die wir gar nicht kennen“, sagt Richard Holzer. Ältere Männer und Kinder, junge Frauen und Großmütter, Nachbarn,
Feuerwehrmänner, Soldaten, Bauarbeiter, auch Asylwerber: Sie alle arbeiten gestern zusammen. „Ich habe am Abend aus der Entfernung gesehen, wie die Mure abgegangen ist. Das sah schrecklich aus. Es ist klar, dass man da etwas tun muss“, sagt Brigitte Hofer-Ferlan, die in der Nähe wohnt und gestern mithilft, das Haus der Holzers vom Schlamm zu befreien.
Brücke schwamm vorbei
Etwas weiter den Hügel hinauf schaufeln Kana Omaer und Ali Jafar im vermurten Vorgarten eines Hauses: „Wir wohnen in Treffen. Aber unsere Lehrerin hat erzählt, wie schlimm es hier ist. Da wollten wir helfen“, sagen die
beiden Syrer. Das tut auch Erwin Meisterl ein paar Häuser weiter: „Ich hab gesehen, wie diese schwarze Erdlawine runtergegangen ist. Etwas Derartiges habe ich noch nicht erlebt. Zum Glück ist niemandem etwas passiert.“
Je weiter es die kleine Anhöhe des Kraawegs hinaufgeht, desto schlimmer wird es: braune Geröllhügel vor den Häusern, Autos stecken im Schlamm, eine Tür lehnt lose an einem Haus, das in der Mure steckt.
Eine Insel der Normalität im Meer der Verwüstung gibt es gegenüber von diesem Haus. In einer Gartenlaube isst eine Familie Nudeln. Karun Schretter füttert ihre kleine Tochter. „Als es losgegangen ist, waren wir im Haus. Die Brücke des Bachs ist vorbeigeschwommen. Wir sind dann zu den Nachbarn gelaufen. Unter Schock stehen wir immer noch“, sagt die junge Mutter, die mit ihrem Lebensgefährten und ihren Eltern in dem Haus wohnt. Sie übernachteten bei den Nachbarn. Erst in der Früh haben sie gese-
hen, wie schlimm sie getroffen wurden. „Das gesamte Untergeschoß, unsere Wohnung, steckt einen Meter tief im Schlamm. Wir müssen schauen, was noch zu retten ist“, sagt Karun Schretters Lebensgefährte, Jakob Huber. Auch er ist dankbar, dass so viele Menschen ihnen helfen.
Wochenlange Arbeiten
Die Feuerwehren waren gestern schon 24 Stunden im Einsatz. „Diese Geröllmassen waren schrecklich. Das kann man nicht in Worte fassen“, sagt Erich Schwaiger von der Freiwilligen Feuerwehr Afritz. Die Einsatzkräfte rechnen damit, dass es noch Wochen dauern könnte, ehe das gesamte Geröll weggeräumt ist. Gestern wurden sie auch vom Bundesheer unterstützt: 65 Villacher Pioniere rücken mit schwerem Gerät an. Die eine Hälfte der Soldaten hilft den Bewohnern ihre Häuser zu befreien. Die anderen Pioniere versuchen, den Bach, der über die Ufer getreten ist, wieder in sein Bett zu leiten. Koordiniert werden alle Einsätze von einem Krisenstab aus Polizei, Feuerwehr, Lawinenverbauung, Amtsleiter und Bürgermeister.
In diesem Ausnahmezustand versuchen die Afritzer, ihren Alltag wiederzubekommen. Zwischen Baggern und Schlammmassen wird geredet, gegessen und manchmal auch schon wieder gelacht.
So auch am Tisch bei der jungen Mutter, Karun Schretter: „Es ist alles sehr schlimm, was passiert ist. Aber die ganze Gemeinde hält zusammen und hilft. Das ist etwas Gutes.“