Entspannung in Sicht.
Johannes Kopf, Chef des AMS, über Integration, EinEuro-Jobs und Lichtblicke für den Arbeitsmarkt.
Wer ist Ihr größtes Sorgenkind am Arbeitsmarkt? JOHANNES KOPF: Viele vermuten jetzt, dass ich „Flüchtlinge“sage. Sie sind es aber nicht. Meine Sorge gilt arbeitslosen Menschen, die nur einen Pflichtschulabschluss haben. Was macht sie zum Problem?
KOPF: In den letzten 25 Jahren blieb die Arbeitslosigkeit unter den besser Gebildeten nahezu konstant. Bei Akademikern sind seit jeher etwa drei Prozent arbeitslos, bei Maturanten sind es vier und bei Menschen mit Lehrabschluss sieben Prozent. Bei jenen mit Pflichtschulabschluss hat sich die Quote von neun Prozent im Jahr 1990 auf 27 Prozent gesteigert. Diese Gruppe macht heute die Hälfte aller 380.000 Arbeitssuchenden aus. Ein Problem, dass bei uns gravierender als in anderen Ländern ist. Warum?
KOPF: Weil wir ein Hochlohnland sind. Wenn hohe Löhne ausbezahlt werden, zahlt sich eine Investition in Maschinen eher aus als bei Billiglöhnen. Somit hat die Technologisierung diese Bildungsgruppe stark verdrängt. Und die Arbeitgeber fordern heute ein viel höheres Maß an Qualifikation. Auch ein Lagerarbeiter muss komplexe Software bedienen können. Damit verringern sich die Arbeitsplätze für schlecht Ausgebildete schneller.
Wie kann man dem entgegenwirken?
KOPF: Wir führen viele dieser Menschen zum Lehrabschluss. Das wird an der Quote aber wenig ändern, denn das AMS allein kann das Problem nicht beheben. Man muss schon bei Eltern und Schule ansetzen, damit weniger Schüler abbrechen.
Die neue Verpflichtung zur Ausbildung bis 18 ist also ein Schritt in die richtige Richtung?
KOPF: Ich freue mich über diesen
Vorstoß, aber es braucht mehr. Die Wiege für höhere Bildung steht im Kindergarten. Die Wahrscheinlichkeit, dass mein Sohn einmal lediglich Pflichtschulabschluss hat, liegt bei sieben Prozent, weil ich studiert habe. Hätte ich selbst nur Pflichtschule gemacht und einen Migrationshintergrund, läge die Wahrscheinlichkeit bei 56 Prozent. Und das hat nichts mit Genen zu tun, sondern mit Frühförderung.
Zurück zu den Flüchtlingen. Zahlreiche Menschen, die im vergangenen Jahr – vor allem aus Afghanistan – nach Österreich gekommen sind, fehlt nicht nur ein Pflichtschulabschluss. Sie haben auch nie eine Schule besucht. Welche Chance auf Arbeit haben sie?
KOPF: Aktuell sind beim AMS 25.000 geflüchtete Menschen vorgemerkt. Dazu zählt jeder, der irgendwann Asyl bekommen hat und noch kein Österreicher ist. Es sind also auch Menschen dabei, seit Jahren hier leben. Ihre Integration ist eine große Herausforderung, keine Frage, aber alles ist in Relation zu 380.000 arbeitslosen Personen zu sehen, und nicht jeder ist ungebildet. Aktuell sind 4650 Afghanen als arbeitslos gemeldet. Nehmen wir an, dass rund ein Viertel nie eine Schule besucht hat. Ich rede nichts schön, aber wir sprechen hier von etwa 1000 Personen. Die Flüchtlinge machen mich noch lange nicht so nervös wie die Zahl der Pflichtschulabgänger.
Sind sie es, die am ehesten von den Neuankömmlingen am Markt verdrängt werden?
KOPF: Sie sind jedenfalls eher gefährdet. Aber wir versuchen ja nicht, die Flüchtlinge schnell in den Markt zu bringen, sondern sie entsprechend ihrer Vorkenntnisse auszubilden. Jetzt werden wieder einige schreien, dass wir uns lieber um unsere Arbeitslosen kümmern sollen.
Steckt in der Debatte zu viel Emotion?
KOPF: Ja. Sie sollte faktenbasiert geführt werden. Diese Förderung braucht keine sozialen Motive, sie ist schon alleine eine ökonomische Frage. Schulungen und Deutschkurse kosten weit weniger als die jahrelange Ausbezahlung von Mindestsicherung.
Viele Flüchtlinge wollen um jeden Preis arbeiten. Werden Schulungen überhaupt angenommen?
KOPF: Es ist nicht immer leicht, sie davon zu überzeugen. Das kann zwei Gründe haben. Entweder: Diese Menschen haben ihre Familie zurückgelassen und fühlen sich verpflichtet, schnell Geld zu verdienen, um es nach Hause zu schicken. Oder: Die Kultur, in der sie aufwachsen, sagt ihnen: Geh früh arbeiten, damit du Erfahrung sammelst. Schule ist nicht so wichtig. Letzteres ist übrigens eine Haltung, die manche Geflüchtete mit Teilen der hier andie sässigen türkischen Community gemeinsam haben.
Asylberechtigte ohne Job sollen zu Ein-Euro-Jobs verpflichtet werden, sagt Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP). Wie erleben Sie diese Debatte?
KOPF: Sie ist gut, der Vorschlag ist durchaus überlegenswert. Aber die Überlegungen müssen genau sein. Denn die angedachten Jobs am zweiten Arbeitsmarkt, die niemanden verdrängen und gemeinnützig sind, werden nicht leicht zu finden sein. Und die Erfahrung aus Deutschland zeigt, dass sie nur selten zu regulären Beschäftigungen führen.
Am regulären Arbeitsmarkt herrscht Rekordarbeitslosigkeit.
KOPF: Das hat viele Gründe. Wenn wir später in Pension gehen, gibt es mehr Menschen am Arbeitsmarkt. Auch dank Zuwanderung sind es mehr. Ich spreche nicht von Flüchtlingen, sondern von Zuwanderung aus der EU. 2007 lebten 50.000 Deutsche in Österreich, heute sind es doppelt so viele. Frauen verändern auch das Arbeitskräftepotenzial. Wenn Kindergartenplätze richtigerweise ausgebaut werden, habe ich mehr Frauen am Arbeitsmarkt.
Wäre es denkbar, dass eine dieser Gruppen verdrängt wird, wenn es nicht genug Jobs gibt?
KOPF: Würden Sie alle Kindergärten zusperren, hätten Sie mit einem Schlag weniger Frauen am Arbeitsmarkt. Das ist natürlich der falsche Weg. Wir müssen diese Menschen unterbringen. Laut unseren Prognosen wird die Arbeitslosenquote ab 2019 sinken. Nicht, weil wir dann drei oder vier Prozent Wirtschaftswachstum haben, wie wir es für mehr als 60.000 neue Jobs bräuchten. Sondern weil die BabyboomerGeneration in Pension geht und viele Jobs frei werden.
Was wünschen Sie sich von der Politik für den Arbeitsmarkt?
KOPF: Eine deutliche Entlastung der Lohnnebenkosten. Der Faktor Arbeit ist zu hoch besteuert und wenn man diesen entlastet, bringt das Beschäftigung. Aber Geld haben wir dafür nicht, wir müssten es von woanders nehmen. Beide Regierungsparteien sind sich über die Wichtigkeit dieser Entlastung einig, aber nicht darüber, woher die Kohle dafür kommen soll.