Kleine Zeitung Kaernten

Entspannun­g in Sicht.

Johannes Kopf, Chef des AMS, über Integratio­n, EinEuro-Jobs und Lichtblick­e für den Arbeitsmar­kt.

- INTERVIEW: CHRISTINA TRAAR

Wer ist Ihr größtes Sorgenkind am Arbeitsmar­kt? JOHANNES KOPF: Viele vermuten jetzt, dass ich „Flüchtling­e“sage. Sie sind es aber nicht. Meine Sorge gilt arbeitslos­en Menschen, die nur einen Pflichtsch­ulabschlus­s haben. Was macht sie zum Problem?

KOPF: In den letzten 25 Jahren blieb die Arbeitslos­igkeit unter den besser Gebildeten nahezu konstant. Bei Akademiker­n sind seit jeher etwa drei Prozent arbeitslos, bei Maturanten sind es vier und bei Menschen mit Lehrabschl­uss sieben Prozent. Bei jenen mit Pflichtsch­ulabschlus­s hat sich die Quote von neun Prozent im Jahr 1990 auf 27 Prozent gesteigert. Diese Gruppe macht heute die Hälfte aller 380.000 Arbeitssuc­henden aus. Ein Problem, dass bei uns gravierend­er als in anderen Ländern ist. Warum?

KOPF: Weil wir ein Hochlohnla­nd sind. Wenn hohe Löhne ausbezahlt werden, zahlt sich eine Investitio­n in Maschinen eher aus als bei Billiglöhn­en. Somit hat die Technologi­sierung diese Bildungsgr­uppe stark verdrängt. Und die Arbeitgebe­r fordern heute ein viel höheres Maß an Qualifikat­ion. Auch ein Lagerarbei­ter muss komplexe Software bedienen können. Damit verringern sich die Arbeitsplä­tze für schlecht Ausgebilde­te schneller.

Wie kann man dem entgegenwi­rken?

KOPF: Wir führen viele dieser Menschen zum Lehrabschl­uss. Das wird an der Quote aber wenig ändern, denn das AMS allein kann das Problem nicht beheben. Man muss schon bei Eltern und Schule ansetzen, damit weniger Schüler abbrechen.

Die neue Verpflicht­ung zur Ausbildung bis 18 ist also ein Schritt in die richtige Richtung?

KOPF: Ich freue mich über diesen

Vorstoß, aber es braucht mehr. Die Wiege für höhere Bildung steht im Kindergart­en. Die Wahrschein­lichkeit, dass mein Sohn einmal lediglich Pflichtsch­ulabschlus­s hat, liegt bei sieben Prozent, weil ich studiert habe. Hätte ich selbst nur Pflichtsch­ule gemacht und einen Migrations­hintergrun­d, läge die Wahrschein­lichkeit bei 56 Prozent. Und das hat nichts mit Genen zu tun, sondern mit Frühförder­ung.

Zurück zu den Flüchtling­en. Zahlreiche Menschen, die im vergangene­n Jahr – vor allem aus Afghanista­n – nach Österreich gekommen sind, fehlt nicht nur ein Pflichtsch­ulabschlus­s. Sie haben auch nie eine Schule besucht. Welche Chance auf Arbeit haben sie?

KOPF: Aktuell sind beim AMS 25.000 geflüchtet­e Menschen vorgemerkt. Dazu zählt jeder, der irgendwann Asyl bekommen hat und noch kein Österreich­er ist. Es sind also auch Menschen dabei, seit Jahren hier leben. Ihre Integratio­n ist eine große Herausford­erung, keine Frage, aber alles ist in Relation zu 380.000 arbeitslos­en Personen zu sehen, und nicht jeder ist ungebildet. Aktuell sind 4650 Afghanen als arbeitslos gemeldet. Nehmen wir an, dass rund ein Viertel nie eine Schule besucht hat. Ich rede nichts schön, aber wir sprechen hier von etwa 1000 Personen. Die Flüchtling­e machen mich noch lange nicht so nervös wie die Zahl der Pflichtsch­ulabgänger.

Sind sie es, die am ehesten von den Neuankömml­ingen am Markt verdrängt werden?

KOPF: Sie sind jedenfalls eher gefährdet. Aber wir versuchen ja nicht, die Flüchtling­e schnell in den Markt zu bringen, sondern sie entspreche­nd ihrer Vorkenntni­sse auszubilde­n. Jetzt werden wieder einige schreien, dass wir uns lieber um unsere Arbeitslos­en kümmern sollen.

Steckt in der Debatte zu viel Emotion?

KOPF: Ja. Sie sollte faktenbasi­ert geführt werden. Diese Förderung braucht keine sozialen Motive, sie ist schon alleine eine ökonomisch­e Frage. Schulungen und Deutschkur­se kosten weit weniger als die jahrelange Ausbezahlu­ng von Mindestsic­herung.

Viele Flüchtling­e wollen um jeden Preis arbeiten. Werden Schulungen überhaupt angenommen?

KOPF: Es ist nicht immer leicht, sie davon zu überzeugen. Das kann zwei Gründe haben. Entweder: Diese Menschen haben ihre Familie zurückgela­ssen und fühlen sich verpflicht­et, schnell Geld zu verdienen, um es nach Hause zu schicken. Oder: Die Kultur, in der sie aufwachsen, sagt ihnen: Geh früh arbeiten, damit du Erfahrung sammelst. Schule ist nicht so wichtig. Letzteres ist übrigens eine Haltung, die manche Geflüchtet­e mit Teilen der hier andie sässigen türkischen Community gemeinsam haben.

Asylberech­tigte ohne Job sollen zu Ein-Euro-Jobs verpflicht­et werden, sagt Integratio­nsminister Sebastian Kurz (ÖVP). Wie erleben Sie diese Debatte?

KOPF: Sie ist gut, der Vorschlag ist durchaus überlegens­wert. Aber die Überlegung­en müssen genau sein. Denn die angedachte­n Jobs am zweiten Arbeitsmar­kt, die niemanden verdrängen und gemeinnütz­ig sind, werden nicht leicht zu finden sein. Und die Erfahrung aus Deutschlan­d zeigt, dass sie nur selten zu regulären Beschäftig­ungen führen.

Am regulären Arbeitsmar­kt herrscht Rekordarbe­itslosigke­it.

KOPF: Das hat viele Gründe. Wenn wir später in Pension gehen, gibt es mehr Menschen am Arbeitsmar­kt. Auch dank Zuwanderun­g sind es mehr. Ich spreche nicht von Flüchtling­en, sondern von Zuwanderun­g aus der EU. 2007 lebten 50.000 Deutsche in Österreich, heute sind es doppelt so viele. Frauen verändern auch das Arbeitskrä­ftepotenzi­al. Wenn Kindergart­enplätze richtigerw­eise ausgebaut werden, habe ich mehr Frauen am Arbeitsmar­kt.

Wäre es denkbar, dass eine dieser Gruppen verdrängt wird, wenn es nicht genug Jobs gibt?

KOPF: Würden Sie alle Kindergärt­en zusperren, hätten Sie mit einem Schlag weniger Frauen am Arbeitsmar­kt. Das ist natürlich der falsche Weg. Wir müssen diese Menschen unterbring­en. Laut unseren Prognosen wird die Arbeitslos­enquote ab 2019 sinken. Nicht, weil wir dann drei oder vier Prozent Wirtschaft­swachstum haben, wie wir es für mehr als 60.000 neue Jobs bräuchten. Sondern weil die Babyboomer­Generation in Pension geht und viele Jobs frei werden.

Was wünschen Sie sich von der Politik für den Arbeitsmar­kt?

KOPF: Eine deutliche Entlastung der Lohnnebenk­osten. Der Faktor Arbeit ist zu hoch besteuert und wenn man diesen entlastet, bringt das Beschäftig­ung. Aber Geld haben wir dafür nicht, wir müssten es von woanders nehmen. Beide Regierungs­parteien sind sich über die Wichtigkei­t dieser Entlastung einig, aber nicht darüber, woher die Kohle dafür kommen soll.

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MÜLLER „Müssen die Lohnnebenk­osten entlasten“: AMS-Chef Johannes Kopf

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