„Der Film blüht wie nie zuvor“
Horst Dieter Sihler blickt zurück auf ein erfülltes Leben im Dienste des zeitgenössischen Films.
Rückschau eines Enthusiasten: Horst Dieter Sihler hat die heimische Kino- und Filmszene maßgeblich geprägt. Als Kritiker und Filmkurator bemühte er sich schon während der 1960er-Jahre unermüdlich, das zeitgenössische internationale Kino in der damaligen Filmwüste Österreich bekannt zu machen. Als Initiator rief er die „Filmtage Velden“ins Leben und verschaffte österreichischen Produktionen so eine öffentlichkeitswirksame Plattform.
Ihr Buch ist nicht nur die Geschichte des europäischen Kinos, es ist gleichzeitig die Geschichte des geteilten Europas und des Kalten Kriegs. Inwiefern spiegeln sich solche Zeitumstände im Film besonders deutlich?
HORST DIETER SIHLER: Der Film wurde und wird immer noch als politisches Werkzeug gebraucht und war insbesondere im 20. Jahrhundert Teil ideologischer Grabenkämpfe. Etwa wenn man an den visualisierten Klassenkampf im Film unter Tito denkt. Mich reizt aber mehr die völkerverbindende Kraft des Mediums: Chaplins Stummfilme überwanden mit ihrer sprachlosen Komik jede Grenze – auch die der Zeit, denn heute lacht man noch ebenso herzlich über sie wie damals. Ich bin als „Augenmensch“überzeugt davon, dass jeder Mensch das Medium Film intuitiv verstehen kann. Darin liegt seit jeher seine größte Kraft.
Besonders beeindruckt zeigten Sie sich vom slowenischen Film der 60er-Jahre. Ausgewählte Beispiele wollten Sie in Kärnten vorführen.
SIHLER: Fasziniert hat mich die hohe Bildqualität, jede Einstellung war ein komponiertes Gemälde. Insbesondere Slowenien war ein Zentrum der visuellen Künste und hat geniale Produk- hervorgebracht – die im Nachbarland Kärnten kein Mensch kannte. Um eine Auswahl für das Kärntner Publikum zu treffen, bin ich 1972 über den Loibl und anschließend 300 Kilometer durch das damalige Jugoslawien zum Filmfestival in Pula gefahren – mit dem PuchRoller, wohlgemerkt! Zur Vorführung in Klagenfurt kam es allerdings nicht mehr, denn der Ortstafelsturm erreichte zeitgleich seinen Höhepunkt. Gewohnt humorlos teilte man mir mit, dass das Volkskino „dafür“nicht zur Verfügung stehe und ich meinen Hut nehmen soll.
Die 1970er-Jahre beschreiben Sie als wichtigstes Filmjahrzehnt des Jahrhunderts. Sowohl für sich persönlich als auch für Österreich. Warum?
SIHLER: Die 70er waren die eigentliche Initialzündung für den Alternativfilm. Das kommerzielle Kino war regelrecht am Boden – und in diesem Vakuum wuchs eine Begeisterung für alles, was nicht Mainstream war. Die Berlinale veranstaltete das „Internationale Forum des jungen Films“, auf dem inhaltliche wie formale Avantgarde gezeigt wurde. Da traf man exilierte Filmschaffende, die man in ihren Heimatländern für ihre Produktionen einfach hingerichtet hätte – während wir Österreicher uns normalerweise über ästhetische Details stritten. Im Vergleich besehen lächerlich.
Von dieser Phase der Öffnung schien Österreich vorerst unberührt zu bleiben?
SIHLER: Darum habe ich 1977 getionen meinsam mit Gerald Kargl „Die Österreichischen Filmtage“in Velden gegründet, um ambitionierten Projekten aus Österreich eine Plattform zu bieten. In den nächsten Jahren ging das Festival auf Wanderschaft und hat heute als die „Diagonale“in Graz seinen fixen Platz gefunden.
Wie bewerten Sie Österreich aktuell als Kinoland?
SIHLER: Im Vergleich zu früher: phänomenal! Mittlerweile sind die Programmkinos voll von österreichischen Eigenproduktionen. Vor zwei Jahrzehnten war das völlig undenkbar. Der österreichische Film blüht wie nie zuvor – und hat sogar in der Provinz sein Publikum gefunden. Jetzt müsste man nur noch das 1980 begonnene Kino im Lendhafen fertigbauen . . .