„Stopp, das ist unsere Freiheit!“
Alice Schwarzer über die Folgen der Silvesternacht von Köln, den US-Wahlkampf und ihr bedingungsloses Nein zur Burka.
V iele Männer, die in den vergangenen Monaten zu uns gekommen sind, stammen aus einer Kultur, in der Frauen wenig Rechte haben und Gewalt eine Art „Herrenrecht“ist. Diese Männer erleben einen Kulturschock. Bassam Tibi, ein gebürtiger Syrer, der seit 1962 in Deutschland lebt, sagt: „Patriarchalisch gesinnte Männer aus einer frauenfeindlichen Kultur lassen sich nicht integrieren.“Ist das so?
ALICE SCHWARZER: Da reagiert der sehr temperamentvolle Syrer auch auf das Klima der Ignoranz und Leugnung bei uns. Er ist selbst integriert und mit einer Deutschen verheiratet. Kamel Daoud, ein Algerier, hat treffend gesagt: „Diese Flüchtlinge, die sich über Tausende Kilometer auf den Weg machen, müssen diese Tausende Kilometer auch noch in ihren Köpfen schaffen.“Wir dürfen das also nicht unterschätzen.
Eine aktuelle Studie aus Wien bestätigt, dass die Hälfte der jungen muslimischen Männer zur Radikalisierung neigt, zu Rassismus, Homophobie und Antisemitismus. Wie gehen wir mit diesen Männern um? Das ist eine dramatische Entwicklung, die es so vor zehn Jahren noch nicht gegeben hat. Auch bei uns in Deutschland sagen 46 Prozent dieser jüngeren Männer zwischen 15 und 35, dass der Gottesstaat für sie über dem Rechtsstaat steht. Für sie gilt die Scharia. Früher gab es davon vielleicht zehn Prozent. Es gibt eine Radikalisierung, der unsere Gesellschaft nichts entgegengestellt hat. Wir haben das treiben lassen.
Aus Unwissenheit oder aus Bequemlichkeit?
Zum einen gibt es diese Konfusion: Man redet immer über Reli-
„Gekränkte Männer sind gefährlich“ Horror, Hamster, Herrenrecht: Europa müsse auf sich aufpassen, sagt Alice Schwarzer. Und es gehe dabei nicht nur um die Freiheit der Frau.
Von Claudia Gigler und Manuela Swoboda
gionsfreiheit, aber die Radikalisierung des politisierten Islam hat mit dem Glauben nichts zu tun, sondern ist politische Strategie. Die Politik will sich mit der muslimischen Community als potenziellen Wählern nicht anlegen. Und es gibt auch wirtschaftliche Interessen in und mit den Ländern, die die Hauptfinanziers des globalen Islamismus sind, also Saudi-Arabien und Katar. Die schicken die Imame, die in den europäischen Moscheen hetzen. Die schicken Salafisten, die in den Flüchtlingsheimen agitieren. Aber wir dürfen nicht vergessen: Wir Österreicher und Deutsche sind nicht die ersten Opfer des politisierten Islam. Die ersten Opfer sind die nichtradikalen Musliminnen und Muslime. Und die sind – noch – in der Mehrheit.
Wie können wir diese Menschen für uns öffnen?
Ich denke, dass wir nicht nur in die Aufrüstung der Sicherheit Geld stecken dürfen. Einen Teil müssen wir für Sozialarbeit und die pädagogische Arbeit abzweigen. Man muss hinein in diese Communitys! Der politisierte Islam bietet diesen perspektivlosen Männern eine Plattform, die sie erhöht. Denken Sie nur an den Attentäter von Nizza: ein Verlierer, ein Kleinkrimineller. Seine Frau hat ihn verlassen, weil er sie verprügelt hat – genau wie bei dem Amokfahrer in Graz. Wenn ihre Frauen dann in ein Frauenhaus flüchten, sind die Männer gekränkt. Und gekränkte Männer sind gefährlich.
Was soll unsere Gesellschaft dem entgegenhalten?
Stopp sagen! Die Frauen und Mädchen darin unterstützen, so frei zu leben wie wir. Die Männer fördern – aber auch fordern. Sie haben unsere Werte zu akzeptieren: Rechtsstaat, Gleichberechtigung der Geschlechter.
Dieser Tage hat der Bischof von Linz gesagt, dass er ein Burkaverbot für überzogen hält. Da werde ein unerhebliches Detail aufgeblasen. Wie sehen Sie das? Überzogen? Es ist ein Problem, dass die christlichen Kirchen bei uns um ihre Privilegien fürchten. Bevor sie an diesen Privilegien rütteln lassen, sind sie bereit, auch dem Islam diese Privilegien zuzugestehen. Aber „den“Islam gibt es nicht. Und wir reden offiziell immer nur mit den rückwärtsgewandten, schriftgläubigen Verbänden. Dass ich allen Ernstes eines Tages mitten in Europa über ein Ja oder Nein zur Vollverschleierung oder Burka diskutieren muss, hätte ich nie gedacht. Das finde ich skandalös! Selbstverständlich gehört die Burka verboten. Sie ist ein Verstoß gegen die elementaren Menschenrechte und die Menschenwürde.
Wie kontern Sie jenen, die im Verbot eine Einschränkung der persönlichen Freiheit sehen? Ja, diese Argumente kenne ich. Und dann heißt es auch noch, dass die Frauen ohne Burka von ihren Männern überhaupt nicht mehr hinausgelassen werden! Also, da muss ich den Frauen eher raten, den Mann zu wechseln! Ein Mann, der dir sagt, du darfst nur als lebender Stoffhaufen durch die Welt wanken, das ist der falsche Mann. Aber diese provokanten Burka-Trägerinnen bei uns sind ja meist Konvertitinnen, deren islamistische Ehemänner Politik mit ihnen machen.
Gibt es einen Rückschritt, was die Rechte der Frauen betrifft?
Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel erreicht. Aber so schnell lassen die Männer ihre Privilegien nicht los. Bei uns sind die äußeren Fesseln halbwegs weggefallen, aber der politisierte Islam bringt sie zurück.
Was also tun, damit das „Weg mit allem Fremden!“nicht die einzige Antwort ist, die zieht? Es gäbe die AfD oder Pegida nicht in dem Maße, wenn die Politik nicht seit Jahrzehnten wegschauen würde. Die Bevölkerung ist sauer. In Kantinen gibt es kein Schweinefleisch mehr, im Kindergarten darf kein Nikolaus auftauchen, die Töchter orthodoxer Muslime werden bewacht und kontrolliert von ihren Vätern und Brüdern. Also Moment! Das ist doch unser Leben und unsere Gesellschaft! Wenn andere zu uns kommen, müssen sie sich integrieren. So ist das.
Nach der Silvesternacht von Köln haben Sie im Buch „Der Schock“die Hintergründe dieser Horrornacht für Frauen beleuchtet – und ernteten Rassismusvorwürfe. Zu Recht?
Weil ich gesagt habe, dass es Männer aus afrikanischen und arabischen Ländern waren, die Frauen Gewalt angetan haben. Was Fakt war und schon einen Tag danach bewiesen. Ich halte es für falsch, zu tabuisieren. Es waren Männer aus Algerien, Marokko und Syrien, in deren Ländern auch Frauen auf der Straße gejagt werden. Die Ägypter haben auch einen bezeichnenden Namen für diese Jagd: Höllenkreis.
Schwenk in die USA, wo bekannt wurde, wie mies der republikanische Präsidentschaftskandidat mit Frauen umzugehen pflegt: Wie ist es möglich, dass jemand wie Trump Chancen hat, US-Präsident zu werden? Es geht bei dieser historischen Wahl um mehr als um Clinton oder Trump. Das ist ein finaler symbolischer Kampf. Da die Feministin, dort der Macho. Aber selbst wenn ein Hamster gegen Donald Trump kandidieren würde, könnte man nur hoffen, dass der Hamster gewinnt.
Ist es nicht eher Establishment gegen die „angry white men“?
Auch Trump ist Establishment. Ich sehe Hillary Clinton durchaus kritisch, was ihre Beziehung zur Wall Street und ihre Interventionspolitik betrifft. Denn man hat ja gesehen, was die Einmischung der USA in den letzten 20, 30 Jahren angerichtet hat. Siehe Irak, Afghanistan, Libyen. Aber Clinton ist bekennende Feministin. Trump ist der alte Bock, der Frauen befummelt, wie der ehemalige IWF-Chef Dominique StraussKahn. Wir haben jetzt mehr als 40 Jahre für die Gleichberechtigung gekämpft und begegnen einander auf Augenhöhe. Das lassen wir uns jetzt doch nicht von diesen „angry white men“und den Islamisten kaputtmachen!