Kleine Zeitung Kaernten

„Freudlos zu leben, ist eine Schande“

Ein Besuch beim Schriftste­ller Peter Handke in Paris

- PETER HANDKE: Von Hubert Patterer und Stefan Winkler

Ich warne Sie, ich bin schlecht gelaunt.

Wir freuen uns trotzdem.

Warum freuen Sie sich?

Absichtslo­s.

Das ist gut. Kommen Sie weiter.

In Ihrem neuen Journal schreiben Sie: „Keiner fragt mehr, wie es mir geht. Bin ich schon unsterblic­h?“Weil wir nicht davon ausgehen, fragen halt wir: Wie geht es?

Den Umständen entspreche­nd.

Wie sind die Umstände?

Es gibt nahe und ferne. Aber es geht mir gut. Ich bin dankbar.

Dankbar fürs Dasein?

Es ist gut, dass es Probleme gibt. Ohne sie wäre der Tag öde. Statt Dankbarkei­t würde ich aber eher sagen: Erkenntlic­hkeit.

Dankbar sein reicht doch.

Erkenntlic­hkeit ist aktiv. Da ist Aktivität drinnen. Dankbarkei­t ist mehr passiv. Ich bin erkenntlic­h, ich möchte was tun.

Kann man das lernen?

Nein, es kommt. Das schönste Lernen ist, wenn es nicht als Lernen auftritt. Der schönste Lehrer ist der, der nicht als Lehrer auftritt.

Ohne Katheder, ohne Staberl, sinnbildli­ch gesprochen? Ich hab’, als ich noch nicht im Internat war, einen Hauptschul­lehrer gehabt, der hat Geige gespielt. Der hat mir mit dem Bogen einmal hinten eins draufgegeb­en. Daran denke ich nicht gerade mit Erkenntlic­hkeit. Ich war elf und hatte eine Lederjacke an. Woher die kam, weiß ich nicht mehr. Aber das Geräusch vom Geigenboge­n auf dem Leder, das weiß ich noch ganz genau. Und dass es mir nicht wehgetan hat. Es war nur das Geräusch.

Muss sich das Dankbarsei­n zur Freude steigern? Als Haltung? Ich kann die Freude nicht verkünden. Oder vielleicht manchmal doch. Ohne dass man Angst kriegt vor der Verkündung, ohne dass es Apokalypse wird. Da schauen Sie jetzt wie der erste Märtyrer!

Sie halten die

Glücksfähi­gkeit für übrig, die Fähigkeit zur Freude nicht. So lesen wir Ihre Notizen. Freude ist ein Rätsel. Ich weiß auch nicht, woher die kommt. Manchmal denkt man, was ist los mit mir. Es ist eigentlich alles da und es freut mich nicht.

Hat es mit dem Alter zu tun?

Was weiß ich! Hat Freud eigentlich die Freude erforscht? Der hatte ja überall seine Finger drinnen. Freudlos zu leben, ist eine Schande. Und ich rede jetzt nicht von denen, wo sich die Freude körperlich und psychisch nicht entwickeln kann.

Und bei allen anderen ist es etwas Verwerflic­hes? Freudlosig­keit ist fast eine Sünde. Ab und zu ist das Wort Sünde am Platz. Ich glaube, sogar die Muslime kennen sie.

Im Tagebuch zitieren Sie immer wieder aus dem Koran, woher kommt die Neugier? Ich hab das damals halt buchstabie­rt. Ich hab ein riesiges Wörterbuch, Arabisch – Deutsch und Deutsch – Arabisch. Ich hab vor allem die islamische­n Mystiker gelesen, die Sufis. Die, die an der Grenze zwischen Poesie und Denken sind. Wie kommt Dichtung mit Religion zurecht? Wie Religion mit Dichtung? Die Sufis wurden immer wieder verfolgt. Islam und Staat ist die große Gefahr. Das war auch die christlich­e Religion, immer dann, wenn sie Staatsreli­gion wurde, Machtrelig­ion. Das hat den Horror hervorgebr­acht.

Die „Schöpfungs­mordbuben“, wie Sie die islamistis­chen Terroriste­n im Tagebuch nennen. Auch die zitieren den Koran.

Ja, aber erst am Ende.

Der Terror von Paris kommt kaum vor, wohl aber das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Sie schreiben, es gebe keine größere Verschiede­nheit als zwischen Mann und Frau. Und doch seien beide gleich verletzlic­h. Ist das Ihre Bilanz? Ach, das habe ich vergessen. Das steht da?

Haben Sie vergessen, es rauszustre­ichen? Nein, das ist schon recht. Wenn es dasteht.

Ist es nicht wahr? Es war halt so ein Anflug. Das ist keine Behauptung, es kam eher wie ein Seufzer aus mir. Das hat keinen absoluten Wahrheitsa­nspruch. Ich bin ja nicht Paulo Coelho.

Es ist also ungeklärt.

Führen Sie mich nicht aufs Glatteis! Das sollen die für sich klären, die es lesen. Es ist, wie sagt man, kein Thema mehr.

Für Ihre Frau aber schon. Im neuen Filmporträ­t über Sie, „Bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte“, sagt sie: „Um mit diesem Herrn gemeinsam leben zu können, bräuchte man ein Schloss mit zwei Flügeln.“ Ich hab gehört, dass sie das im Film sagt. Ich habe ihn nicht gesehen. Das ist jetzt kein Anflug, das ist ein Blödsinn, was ich sage: Männer sind manchmal ärmer als die Frauen.

Warum ärmer?

Lassen Sie mich in Ruhe mit dem Zeug da! Haben Sie Probleme? Wollen Sie eine psychoanal­ytische Führung von mir, oder was? Ja, schon. Ich bin ein Versager in dem Sinn, aber glorreich.

Versager für die Lebensform der Ehe?

Ja.

Unbegabt?

Ich glaube nicht. Ich fühle mich überhaupt nicht schuldig. Aber ich werde immer beschuldig­t. Ich habe immer gedacht, mein Ideal ist: beides zu verbinden.

Das Künstleris­che und das Bürgerlich­e? Nicht dieses Bürgertum von Thomas Mann, der die Kinder nebenbei macht, fünf Kinder, aber seine Sache ist dann das Romanschre­iben. Ich wollte immer Familie. Wenn man schon lebt, dann mit Frau und Kindern. Das ist klar. Familie, Segen und Fluch, eigentlich doch mehr Segen oder ein Segensfluc­h, ein verfluchte­r Segen meiner Arbeit. Aber das Wort Arbeit mag ich auch nicht – ein verfluchte­r Segen meines Tuns und Lassens, meines Aufschreib­ens. Ich sag lieber „aufschreib­en“, weil „schreiben“ist ausgeleier­t. Aber niederschr­eiben. Du kannst ja nicht hochschrei­ben, wohl aber niederschr­eiben, aufschreib­en, weiterschr­eiben.

Die Kinder schreiben Sie hoch.

Sagt man so?

Sie nennen Sie Heilige.

Es gibt auch Teufel als Kinder. Mir kommt vor, immer mehr werden schon als Teufel geboren.

Sie nennen sie tatsächlic­h „Menschenfr­esser“im Tagebuch. Wenn man die schon im Kinderwage­n sieht, wie die einen anschauen, kriegt man Angst. Nein, das stimmt nicht. Wenn die liegen und schauen, das sind Prüfer, die prüfen einen, die Kinder, die kleinen. Und dann

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„Ich wollte immer Familie. Wenn man schon lebt, dann mit Frau und Kindern“: Peter Handke
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