Kleine Zeitung Kaernten

Sieben Minuten für die Ewigkeit

- Von Franzobel

Zugegeben, als Neymar da Silva Santos Júnior in der 88. Minute des ChampionsL­eague-Achtelfina­les zum Freistoß antrat, war es sehr, sehr, sehr unwahrsche­inlich, dass der FC Barcelona noch die drei für den Aufstieg notwendige­n Tore schießen würde. Da dieses Kunststück dank geschäftig­er Mithilfe des Schiedsric­hters doch gelang, staunt die ganze Welt nun über das „Wunder von Barcelona“– in Teilen Österreich­s spricht man es sogar mit z wie Parzen aus: „Parzelona“. Jeder, der dieses Spiel bis zum bittersüße­n 6:1 miterlebt hat, war bei einem unerhörten Siebenminu­ten-Spektakel dabei, hat gesehen, wie Geschichte geboren wird. Genau wegen solch magischer Momente wird der Fußball so geliebt, hat man doch Gelegenhei­t, beim Schicksal (den Parzen) Publikum zu sein. Etwas Unwahrsche­inliches ist geschehen, aber ein Wunder?

Ein Wunder ist ein Ereignis, dessen Zustandeko­mmen nicht zu erklären ist. Die Fischverme­hrung bei der Hochzeit von Kana etwa, oder das Auf-dem-Wasser-Gehen, das EinenBlind­en-sehend-Machen – Jesus hat uns genug veritable Wunder hinterlass­en. Dagegen nehmen sich drei Tore in sieben Minuten recht bescheiden aus.

E in Wunder wäre es, wenn es weltweit keine Kriege mehr gäbe, der Mensch die Schöpfung achtete und aller Reichtum gerecht verteilt würde. Wenn die an Stolzdreis­theit und Eitelkeits­blödheit kaum zu überbieten­den Führer der Supermächt­e die Liebe entdeckten, Winterkörn­er und Goldmansac­hsen sich für das Wohl der Welt einsetzten, korrupte Politiker freiwillig Geld zurückzahl­ten, Richard Lugner am nächsten Opernball mit der Friedensno­belpreistr­ägerin Malala auftauchte (statt mit einer aufgepimpt­en Hollywoodm­akrone) oder der GAK die Champions League gewänne, aber nicht die großartig geilen letzten sieben Minuten in „Parzelona“. Die waren toll, und man wird noch lange darüber sprechen, aber so hoffnungsl­os geistig verarmt, dass das bereits als Wunder gilt, ist unsere Zeit nicht. Oder doch?

Franzobel, 1967 in Vöcklabruc­k geboren, ist Schriftste­ller und Sportfan.

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