Mit einem Mühlstein in den Wahlkampf
Die französische Justiz leitet gegen den konservativen Kandidaten François Fillon formelle Ermittlungen wegen der Veruntreuung ein. Das erhöht die Wahlchancen für Marine Le Pen.
In einem Punkt hatten die Untersuchungsrichter Nachsicht mit François Fillon: Um die Fotografen in die Irre zu führen und dem Kandidaten peinliche TV-Bilder von seinem Gerichtsauftritt zu ersparen, hatten sie den für Mittwoch anberaumten Termin elegant um einen Tag vorgezogen. In der Sache aber blieben sie hart: Die drei Richter eröffneten am Dienstag ein formelles Strafverfahren wegen „Veruntreuung“gegen den bürgerli- chen Kandidaten. Fillon wird beschuldigt, seine Frau Penelope zum Schein als parlamentarische Assistentin beschäftigt und aus der öffentlichen Parlamentskasse entlohnt zu haben.
Gegen den republikanischen Kandidaten ist damit noch nicht offiziell Anklage erhoben, und diese wird wohl auch nicht mehr vor den Präsidentschaftswahlgängen im April und Mai erfolgen. Allein schon die „mise en examen“wiegt allerdings schwerer als eine bloße Verfahrenseröffnung: Die Untersuchungsrichter, die laut französi-
schem Recht auch anklägerische Funktionen ausüben, lancieren das Verfahren nur bei „gravierenden und übereinstimmenden Anzeichen“. Das heißt, wenn sie über gutes Beweismaterial verfügen.
Fillon hielt in einer schriftlichen Erklärung zwar fest, „mehrere Zeugen“belegten die reale Tätigkeit seiner Gattin. Das klingt nicht sehr überzeugend: Im Vorfeld hatte er noch behauptet, über schriftliche Beweise zu verfügen. Immerhin kooperiert der Konservative mit der Justiz, nachdem er sie eines „politischen Mordversuchs“bezichtigt hatte. Seine Hauptgegnerin Marine Le Pen verweigert mit Verweis auf ihre parlamentarische Immunität jede Einvernahme in einer ähnlichen Affäre. Der ExPremier könnte sich an sich auf das gleiche Argument berufen.
Die Verfahrenseröffnung stellt prinzipiell keine Überraschung, für den 63-jährigen Ex-Premier Fillon aber einen weiteren Rückschlag dar. Die Pariser TVStationen senden wieder einen Ausschnitt vom Jänner, in dem Fillon unvorsichtigerweise erklärt hatte: „Wenn gegen mich ein Verfahren eröffnet wird, bin ich nicht mehr Kandidat.“Nun hält er an seiner Kandidatur fest, obwohl in den letzten Tagen neue Finanzpraktiken der eher seltsamen Art bekannt geworden sind. Ein nicht näher genannter „Freund“, wie Fillon erklärte, schenkte ihm im Februar zwei Anzüge für 13.000 Euro, nachdem er in den Jahren zuvor Fillons Luxuskleider für 35.500 Euro in bar bezahlt hatte.
Mit Fillon ist in Frankreich erstmals überhaupt ein bedeuanfänglich tender Präsidentschaftskandidat Gegenstand einer Strafuntersuchung. Sie hat das politische Gewicht eines Mühlsteins. Noch zu Jahresbeginn hatten die Republikaner wegen der schwachen Amtszeit des sozialistischen Staatschefs François Hollande fest mit dem Wiedereinzug in den Élysée-Palast gerechnet. Nun ist ihr Kandidat in den Umfragen auf unter 20 Prozent gefallen. Er liegt damit klar hinter der Nationalistin Marine Le Pen und dem Unabhängigen Emmanuel Macron (beide rund 25 Prozent).
Ob Fillon bis zum ersten Wahlgang am 23. April noch zu den zwei führenden Widersachern aufschließen kann, wird in Paris derzeit bezweifelt. Ganz abgeschrieben werden kann der Republikaner aber nicht, da alle Umfragen auf einen allgemeinen Rechtsschwenk der Wähler hindeuten. Darin liegt paradoxerweise das Malheur der Republikaner: Sie können Fillon nicht einfach in die Wüste schicken und einen populären Ersatzmann wie den Gemäßigten Alain Juppé portieren.
Am Freitag läuft die Eingabefrist für die Kandidaten ab. Unbekannte sammeln momentan in aller Diskretion Patenstimmen für Juppé und haben bisher schon 300 der 500 Unterschriften zusammen. Doch wenn Fillon nicht von sich aus abtritt, ist die Lage blockiert. Und solange er angesichts der politischen Rechtsstimmung im Land noch einen Funken Wahlhoffnung hat, wird er nicht freiwillig abtreten.