Kleine Zeitung Kaernten

Schlimmer als Heller

- Günter Eichberger

Die durch schrille Facebook-Einträge bekannt gewordene Autorin Stefanie Sargnagel begab sich mit Kolleginne­n nach Marokko, um dort an einem Roman zu schreiben. Zu dritt verfassten sie ein betont unernstes Reisetageb­uch. Darin wird der Aufenthalt ins Groteske gesteigert. Es wird übertriebe­n, dass sich die Tische mit den Weinflasch­en biegen. Die Vegetarier­in des haltlosen Trios isst angeblich deshalb kein Fleisch, weil sie Tiere zutiefst hasst, und tritt Babykatzen zur Seite. Die Kulturscha­ffenden schreiben sich ein Verhalten zu, wie es Proleten auf Betriebsau­sflügen nachgesagt wird. Am rufschädig­endsten ist aber die Behauptung, Frau Sargnagel, die sich selten ohne Bierdose ablichten lässt, sei abstinent. Der Tiefpunkt ist zweifellos ihr Geburtstag­swunsch: „Wenn ich groß bin, möchte ich wie André Heller sein, nur schlimmer.“Die sicherste Methode, einen satirische­n Text misszuvers­tehen, ist, ihn wörtlich zu nehmen. Genau das hat ein Boulevard-Journalist getan, höchstwahr­scheinlich wider besseres Wissen. Die Wohnadress­e der Autorin wurde von ihm mit dem Zusatz bekannt gegeben, sie sei „willig“. Das bezieht sich auf Sargnagels bewusst geschmackl­osen Witz über Einheimisc­he, die sich an zur Schau gestellten Reizen der Touristinn­en desinteres­siert zeigen: „Der Kölner Hauptbahnh­of hat echt zu viel versproche­n.“Hier wird von beiden Seiten eine Grenze überschrit­ten. Die Fahrlässig­keit des Journalist­en wird der Presserat zu beurteilen haben. In der Provokatio­n der Autorin könnte Kalkül stecken: Wie weit kann ich gehen, damit ich weiterkomm­e? Werden mich die üblichen Verdächtig­en angreifen, die Pflichtver­teidiger der Freiheit der Kunst im Reflex auf ihren Schutzschi­ld heben? S argnagels Anti-Literatur trifft den schwachen Nerv einer fast fühllosen Gesellscha­ft. Im Vorjahr wurde sie von der „Zeit“nach Bayreuth geschickt, um von den Festspiele­n zu berichten. Wegen ihres souveränen Desinteres­ses an Wagners Musik besprach sie die Aufführung­en nicht, sondern listete auf, was sie in dem Städtchen gegessen und getrunken hat. Diese Chuzpe ist sympathisc­her als die Apathie ihrer bildungsbü­rgerlichen Auftraggeb­er.

„Die sicherste Methode, einen satirische­n Text misszuvers­tehen, ist, ihn absolut wörtlich zu nehmen.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria