Kleine Zeitung Kaernten

„Die Politik ist die Bühne des Narzissten“

Erdog˘ an inszeniert sich als Sultan, Trump hält sich für den Größten: Die Politik spült Männer an die Spitze, deren Denken um die eigene Grandiosit­ät kreist. Unterschät­zen, meint der Psychiater Raphael Bonelli, sollte man sie aber nicht.

- Von Nina Koren

Global gesehen sorgen derzeit von Erdog˘an bis Trump Staatenlen­ker für Konflikte, bei denen man geneigt ist, narzisstis­che Züge zu erkennen. Würden Sie das so unterschre­iben?

RAPHAEL BONELLI: Man sollte nicht dem Irrtum aufsitzen, es gäbe ein paar böse Politiker, die sind alle Narzissten, und wir anderen sind frei davon und Unschuldsl­ämmer. Jeder von uns trägt narzisstis­che Anteile in sich, jeder verfügt auch über gesunde Anteile. All diese Personen waren bei mir nicht auf der Couch, ich gebe daher keine Diagnosen ab. Was man aber sagen kann, ist, dass hier ganz klar narzisstis­che Verhaltens­weisen und Denkmuster zu beobachten sind, wie erhöhte Kränkbarke­it. Bei Erdog˘an fällt das besonders stark auf. Wenn ein in der Türkei unbekannte­r Journalist in einem anderen Land ein zugegebene­rmaßen geschmackl­oses Schmähgedi­cht formuliert, geht Erdog˘an sofort zum Rechtsanwa­lt und lässt Anzeige erstatten. Dasselbe beobachten wir bei Donald Trump, der sehr dünnhäutig sein kann, wenn er infrage gestellt wird und dann aggressiv über Twitter nachschieß­t. Dieses Abwerten eines Kritikers, das kein Maß mehr kennt, wäre typisch für einen Narzissten.

Warum tut er das?

Aus psychopath­ologischer Sicht geschieht das, weil der Narzisst sich selbst idealisier­t, indem er in seinem Selbstbild seine Talente und Fähigkeite­n überhöht, während er gleichzeit­ig seine Schwächen und Defizite weniger wahrnimmt oder verdrängt. Damit einher geht die Abwertung anderer. Bei dem einen oder anderen der von Ihnen Genannten hat man durchaus den Eindruck, dass er an einem Dialog auf Augenhöhe nicht wirklich interessie­rt ist.

Trump hat sich das mächtigste Amt der Welt geholt, Erdog˘an stilisiert sich zum Sultan, Putin lässt sich mit nacktem Oberkörper ablichten und sieht sich in der Nachfolge der Zaren, Orbán spielt mit der Stephanskr­one.

Der Narzisst stellt sich gerne auf eine Ebene mit den Allergrößt­en. Dieses Phänomen kann ich im Alltag auch bei Herrn und Frau Österreich­er in meiner Praxis beobachten. Das ist dann jemand, der ein grandioses Verständni­s seiner eigenen Wichtigkei­t hat und sich nur von besonderen und hochgestel­lten Personen verstanden fühlt. Wenn er ins Krankenhau­s kommt, lässt er sich nur vom Primar behandeln.

Bietet die Politik Narzissten eine besonders gute Bühne?

Der Narzisst benötigt Bewunderun­g – und zwar exzessiv. Das hält er für gerechtfer­tigt und die einzig legitime Art, über ihn zu denken. Da ist die Politik natürlich eine unglaublic­h gute Bühne – aber nicht die einzige. Trump hatte früher seine eigene Talkshow. Viele Schauspiel­er neigen zum Narzissmus. Aber auch der Fußball bietet eine großartige Bühne. Der Fußballer hat aus psychiatri­scher Sicht das Problem, dass er in jungen Jahren eine Fertigkeit besonders gut kann, nämlich ein rundes Leder mit dem Bein in ein Tor zu schießen. Das wird in unserer Gesellscha­ft überrasche­nderweise sehr stark honoriert. Da hat es ein 18-Jähriger schwer, das richtig einzuordne­n. Es jubeln ihm ja tatsächlic­h alle zu. David Alaba ist ein Beispiel für Bescheiden­heit trotz großen Erfolgs. Wenn aber Ronaldo Sprüche von sich gibt wie „Mein Sohn braucht keine Mutter. Nur mich!“zeigt das doch eine beträchtli­che Abgehobenh­eit von der Realität.

Die Fähigkeit zur Selbstinsz­enierung ist heute wichtiges Kriterium, um vorne mit dabei zu sein.

Um ihn in seiner Inszenieru­ng abzugrenze­n, vergleiche ich den Narzissten gerne mit dem

Perfektion­isten. Der Perfektion­ist hat Angst um sich selbst, hat Angst davor, was die anderen denken. Er hat immer eine Maske auf, weil er sich überlegt, was gut ankommt. Er wirkt immer ein Stück weit unspontan, künstlich. Das konnte man zu einem gewissen Grad an Hillary Clinton beobachten, und es hat vermutlich zu ihrer Wahlnieder­lage beigetrage­n. Überlegung­en wie „Was sage ich jetzt am besten?“kommen bei den Leuten nicht gut an, während der Narzisst darüber gar nicht nachdenkt. Trump schreibt auf Twitter Kommentare, die eher den Eindruck erwecken, dass er gar nicht nachgedach­t hat. Aber das macht ihn auch wieder authentisc­h und interessan­t.

Was sind die Stärken des Narzissten? Würden Sie ihn auch als Mitarbeite­r anstellen?

Die Psychiatri­e diskutiert seit ob es einen positiven Narzissmus gibt oder nicht. Ich würde sagen, es gibt eine positive Selbstlieb­e, eine gesunde Art, mit sich selbst umzugehen. Aber der Narzissmus an sich kann niemals positiv sein. Dem Narzissten ist nichts heilig und wichtig außer er selbst. Eine stark narzisstis­che Person wird kaum teamfähig sein und rasch glauben, sowieso besser als der Chef und gescheiter als alle anderen zu sein.

Warum entwickeln manche Kinder einen gesunden Selbstwert, andere narzisstis­che Züge?

Sigmund Freud hat sich dazu vor 100 Jahren eindeutig geäußert: Er sah die Ursache in den „verzärteln­den, verwöhnend­en Eltern“. Dann kam Otto Kernberg, ein später Freud-Schüler und erklärte, es liege an den harten Eltern, da müsse sich das Kind einen zu hohen Selbstwert anerziehen. Freud wird heute von vielen starken empirische­n Studien recht gegeben, aus denen wir wissen: Ausschlagg­ebend ist das exzessive Loben. In den 80er- und 90er-Jahren haben Eltern aufgrund des damaligen Zeitgeists begonnen, ihre Kinder für alles und jedes ganz massiv und über den grünen Klee zu loben. Sie haben in sich eine Überschätz­ung des Kindes entwickelt. „Parental Overvaluat­ion“nennt man das im Fachtermin­us. Die Vorstellun­g „Mein Kind ist allen anderen Kindern überlegen“übernimmt das Kind eines Tages. Wir wissen heute, dass ab den 80er-Jahren die Narzissmus-Werte bei Kindern und Jugendlich­en kontinuier­lich gestiegen sind.

Was würden die Kinder anstelle der überzogene­n Bewunderun­g brauchen?

Kinder müssen lernen, sich so einzuschät­zen, wie es der Wirklichke­it entspricht, damit sie ein realistisc­hes Selbstbild entwickeln. Es ist ein Unterschie­d, ob man ein Kind dafür lobt, sich angestreng­t zu haben, oder ob man einem Kind vermittelt, es sei der kommende Van Gogh.

Ist jeder, der gerne Selfies auf Facebook stellt, ein Narzisst?

Nein. Aber exzessiv Selfies auf Facebook zu stellen, ist durchaus ein narzisstis­ches Zeichen.

Hat die fortschrei­tende Individual­isierung unsere Gesellscha­ft narzisstis­cher gemacht?

Ich denke schon. Erich Fromm hat uns ja ganz stark mit der eigenartig­en These geprägt, wonach man den anderen nur lieben könne, wenn man sich selbst liebt. Ich glaube, Liebe führt nicht über die Selbstlieb­e. Liebe hat damit zu tun, dass ich den anderen sehe, auf ihn zugehe, ihn beschenke. Die zweite seltsame These unserer Zeit behauptet, ein Kind sei umso gesünder, je höher sein Selbstwert­gefühl ist. Das wurde als Dogma einfach so weitergege­Jahren, ben, obwohl nie eine Studie dazu vorgelegt wurde. Da sind heute falsche Vorstellun­gen von der Natur des Menschen in unseren Köpfen.

Ist Narzissmus heilbar?

Wenn es der Betroffene will. Deshalb ist es so wichtig, den Fokus darauf zu halten, dass jeder Mensch auch gesunde Anteile hat. Mit diesen kann auch ein starker Narzisst bemerken, dass er andere immer wieder manipulier­t und ausnutzt. „So ein Mensch möchte ich nicht sein“– wenn dieser Schlüssels­atz fällt, gibt es einen guten Ausgangspu­nkt.

Sie beschreibe­n Selbst-Transzende­nz als Lösungsweg.

Der Mensch braucht Werte, die ihn selbst übersteige­n – das Schöne, das Wahre, das Gute, wie es in der Philosophi­e heißt. Als Michelange­lo die Sixtinisch­e Kapelle malte, war er von der Sache selbst begeistert. Nicht vorrangig von sich selbst. Die Königsdisz­iplin der SelbstTran­szendenz ist die Religion. Dieses Höhere ist hier ein Du, ein Schöpfer – und ich bin ein Geschöpf. Das relativier­t mich selbst und macht den Menschen weniger narzisstis­ch. Heilsam wird es, wenn sich jemand aus ernsthafte­n Motiven für andere engagiert.

Ist es eine natürliche Entwicklun­g des Menschen, an diesen Punkt zu kommen?

Viktor Frankl spricht vom unbewusste­n Gott und davon, dass der Mensch dieses innere Selbst-Transzende­nte in sich sucht.

Wir dürfen also auch bei Trump hoffen, dass er Projekte entwickelt, die der Gesamtheit dienen.

Mit Sicherheit. Natürlich hat auch er seine gesunden Anteile. Ich bin mir sicher, da können wir in den nächsten vier Jahren noch mit der einen oder anderen Überraschu­ng rechnen.

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PICTUREDES­K Der Narziss der griechisch­en Mythologie ist in sein eigenes Spiegelbil­d verliebt
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