Römisches Sonnenbad für Europa
Bei ihrem Jubiläumsgipfel in Rom zeigen sich die Europäer so einträchtig wie schon lange nicht. Die EU lebt, ist ihre Botschaft.
Als gegen Mittag die 27 EU-Staats- und Regierungschefs, ein jeder und eine jede beim Namen gerufen, einzeln nach vor treten und unter dem Applaus ihrer Kollegen mit ihrer Unterschrift feierlich ihren Willen zur Erneuerung des vereinten Europa besiegeln, ist die Stimmung in der Sala degli Orazi e Curiazi von Michelangelos Konservatorenpalast am Kapitolshügel in Rom gelöst, ja heiter. Sogar Beata Szydło will die Harmonie nicht länger stören und setzt ihren Namen auf den Bogen Papier unter die anderen Unterschriften.
Die polnische Ministerpräsidentin hatte gedroht, die Signatur zu verweigern. Aber das ist Schnee von gestern. Über dem Kapitol scheint die Sonne und der Himmel ist blitzblau. An ei„dieser nem europäischen Feiertag wie heute will auch die Polin keine Spielverderberin sein.
Geschlossen wie selten zeigen sich die Europäer an diesem sonnigen Märztag in Rom. Und es wirkt so gar nicht gezwungen. In wenigen Tagen wird mit Großbritannien zwar zum ersten Mal in der Geschichte der EU ein Mitgliedsstaat in Brüssel die Scheidung einreichen. Premierministerin Theresa May ist der Feier deshalb ferngeblieben und viele Anwesende verhehlen auch nicht, wie sehr sie das bedrückt. „Der Brexit ist eine Tragödie“sagt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Früh bei seinem Eintreffen auf dem Kapitol.
Aber Europa hat über dem Abschied der Briten nicht die Achtung vor sich selbst verlo- Selbst im Moment größter Bedrängnis und bei allem Zwist und Hader versteht der krisengebeutelte Jubilar, sich selbst und den 60. Jahrestag der Römischen Verträge mit Würde und Stil zu feiern, ohne dass es etwas Trotziges oder gar den Charakter einer Gruppentherapie hätte. Das ist eine Leistung, die man nicht gering achten sollte.
„Wir haben die Kraft für einen Neustart“ruft der Gastgeber des Gipfels, Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni in die Festversammlung. Von „Aufbruchsstimmung“spricht gar Juncker, der alte europäische Haudegen. Er fragt sich in seiner Rede, warum die Europäer so wenig stolz auf das Erreichte seien. „Wir haben viel hingekriegt.“Nach so vielen Schlachten und Kriegen habe gefolterte Kontinent endlich zum Frieden gefunden. Trotzdem „schauen wir uns nicht über die Schulter“. Die anderen täten das, die Nichteuropäer. Das sei auch der Grund, warum ihn jedes Mal, wenn er in „Brüssel, diesem Tal der Tränen“sei, die Sehnsucht nach der Ferne überkomme.
Und in der Tat hat die Gelöstheit der Staatenlenker wohl auch mit dem besonderen Ort zu tun, an dem sie sich zu ihrer Feierstunde zusammengefunden haben. Rom gibt sich an diesem sonnigen Märztag in seiner vollen Größe und Pracht zu erkennen. Es ist ganz „urbs“, die Stadt, in deren engen Gassen und auf deren weiten Plätzen das Leben nur so pulsiert und Taxifahrer, Bewohner und Pilger über die Straßenren.
sperren fluchen, an denen ein Großaufgebot an Militär wegen der erhöhten Terrorgefahr mit schweren Panzerfahrzeugen jedes Weiterkommen verunmöglicht. Gleichzeitig war und ist Rom aber viel mehr als nur Stadt, mehr sogar auch als der Kreißsaal der EU, in dem sechs Nationen – Italien, Frankreich, Deutschland und die Beneluxländer – auf den Tag genau vor 60 Jahren am 25. März 1957 in genau jenem Saal, in dem die 27 Regierungschefs jetzt sitzen, die Geburtsurkunde der europäischen Einigung unterschrieben. Erst Metropole des antiken Weltreichs, dann über die Jahrhunderte bis heute Stadt der Päpste und sakrales Zentrum des christlichen Abendlandes, zählt die Ewige Stadt zu den Geburtsstätten Europas. A ls „Inspiration“hat Bundeskanzler Christian Kern denn auch die Worte des Papstes empfunden, der die Regierungschefs am Freitagabend zu einer Audienz empfing. „Franziskus hat gesagt, die Solidarität ist das erste Element, an dem wir uns orientieren müssen. Wir brauchen ein Europa der Menschen, nicht der Märkte. Es ist entscheidend, dass wir verstehen, dass wir zusammenstehen müssen“, sagt der Kanzler in Rom.
Nach seinem und dem Willen von Europas Mächtigen soll die EU stärker, sozialer und sicherer werden. Und jene Mitgliedsstaaten, die in der Integration voranschreiten wollen, sollen nicht länger daran gehindert werden. Kerneuropa formiert sich. „Wir werden gemeinsam – wenn nötig mit unterschiedlicher Gangart und Intensität –handeln, während wir uns in dieselbe Richtung bewegen, so wie wir es in der Verrömischen gangenheit getan haben und die Tür wird allen offen stehen, die sich später anschließen wollen. Unsere Union ist ungeteilt und unteilbar.“So steht es in der „Erklärung von Rom“. Im Entwurf dazu war noch von einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten die Rede gewesen. Die rechtsnationale Regierung in Warschau geriet daraufhin aber so aus dem Häuschen, dass man den Wortlaut des Textes schließlich abmilderte, ohne am Inhalt freilich auchI nur ein Jota zu ändern. n seiner sehr persönlich gehaltenen Ansprache kann sich EU-Ratspräsident Donald Tusk einen Seitenhieb auf seine polnischen Landsleute, aber auch auf die Befürworter Kerneuropas nicht verkneifen.
Sein halbes Leben habe er hinter dem Eisernen Vorhang verbracht, erzählt Tusk. Damals habe es wirklich ein Europa der zwei Geschwindigkeiten gegeben. Während die Menschen im Westen in Freiheit und Frieden lebten, sei es unter dem Kommunismus verboten gewesen, davon auch nur zu träumen. „Die Einheit Europas ist kein bürokratisches Modell.“Sie stehe für „gemeinsame Werte“. Er frage sich, warum die Europäer so müde seien. Denn nichts sei selbstverständlich in der Welt, auch der Friede in Europa nicht, sagt Tusk und schließt: „Europa muss einig sein, oder es wird nicht mehr bestehen!“