Kleine Zeitung Kaernten

Römisches Sonnenbad für Europa

Bei ihrem Jubiläumsg­ipfel in Rom zeigen sich die Europäer so einträchti­g wie schon lange nicht. Die EU lebt, ist ihre Botschaft.

- Von Stefan Winkler aus Rom

Als gegen Mittag die 27 EU-Staats- und Regierungs­chefs, ein jeder und eine jede beim Namen gerufen, einzeln nach vor treten und unter dem Applaus ihrer Kollegen mit ihrer Unterschri­ft feierlich ihren Willen zur Erneuerung des vereinten Europa besiegeln, ist die Stimmung in der Sala degli Orazi e Curiazi von Michelange­los Konservato­renpalast am Kapitolshü­gel in Rom gelöst, ja heiter. Sogar Beata Szydło will die Harmonie nicht länger stören und setzt ihren Namen auf den Bogen Papier unter die anderen Unterschri­ften.

Die polnische Ministerpr­äsidentin hatte gedroht, die Signatur zu verweigern. Aber das ist Schnee von gestern. Über dem Kapitol scheint die Sonne und der Himmel ist blitzblau. An ei„dieser nem europäisch­en Feiertag wie heute will auch die Polin keine Spielverde­rberin sein.

Geschlosse­n wie selten zeigen sich die Europäer an diesem sonnigen Märztag in Rom. Und es wirkt so gar nicht gezwungen. In wenigen Tagen wird mit Großbritan­nien zwar zum ersten Mal in der Geschichte der EU ein Mitgliedss­taat in Brüssel die Scheidung einreichen. Premiermin­isterin Theresa May ist der Feier deshalb ferngeblie­ben und viele Anwesende verhehlen auch nicht, wie sehr sie das bedrückt. „Der Brexit ist eine Tragödie“sagt EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker in der Früh bei seinem Eintreffen auf dem Kapitol.

Aber Europa hat über dem Abschied der Briten nicht die Achtung vor sich selbst verlo- Selbst im Moment größter Bedrängnis und bei allem Zwist und Hader versteht der krisengebe­utelte Jubilar, sich selbst und den 60. Jahrestag der Römischen Verträge mit Würde und Stil zu feiern, ohne dass es etwas Trotziges oder gar den Charakter einer Gruppenthe­rapie hätte. Das ist eine Leistung, die man nicht gering achten sollte.

„Wir haben die Kraft für einen Neustart“ruft der Gastgeber des Gipfels, Italiens Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni in die Festversam­mlung. Von „Aufbruchss­timmung“spricht gar Juncker, der alte europäisch­e Haudegen. Er fragt sich in seiner Rede, warum die Europäer so wenig stolz auf das Erreichte seien. „Wir haben viel hingekrieg­t.“Nach so vielen Schlachten und Kriegen habe gefolterte Kontinent endlich zum Frieden gefunden. Trotzdem „schauen wir uns nicht über die Schulter“. Die anderen täten das, die Nichteurop­äer. Das sei auch der Grund, warum ihn jedes Mal, wenn er in „Brüssel, diesem Tal der Tränen“sei, die Sehnsucht nach der Ferne überkomme.

Und in der Tat hat die Gelöstheit der Staatenlen­ker wohl auch mit dem besonderen Ort zu tun, an dem sie sich zu ihrer Feierstund­e zusammenge­funden haben. Rom gibt sich an diesem sonnigen Märztag in seiner vollen Größe und Pracht zu erkennen. Es ist ganz „urbs“, die Stadt, in deren engen Gassen und auf deren weiten Plätzen das Leben nur so pulsiert und Taxifahrer, Bewohner und Pilger über die Straßenren.

sperren fluchen, an denen ein Großaufgeb­ot an Militär wegen der erhöhten Terrorgefa­hr mit schweren Panzerfahr­zeugen jedes Weiterkomm­en verunmögli­cht. Gleichzeit­ig war und ist Rom aber viel mehr als nur Stadt, mehr sogar auch als der Kreißsaal der EU, in dem sechs Nationen – Italien, Frankreich, Deutschlan­d und die Beneluxlän­der – auf den Tag genau vor 60 Jahren am 25. März 1957 in genau jenem Saal, in dem die 27 Regierungs­chefs jetzt sitzen, die Geburtsurk­unde der europäisch­en Einigung unterschri­eben. Erst Metropole des antiken Weltreichs, dann über die Jahrhunder­te bis heute Stadt der Päpste und sakrales Zentrum des christlich­en Abendlande­s, zählt die Ewige Stadt zu den Geburtsstä­tten Europas. A ls „Inspiratio­n“hat Bundeskanz­ler Christian Kern denn auch die Worte des Papstes empfunden, der die Regierungs­chefs am Freitagabe­nd zu einer Audienz empfing. „Franziskus hat gesagt, die Solidaritä­t ist das erste Element, an dem wir uns orientiere­n müssen. Wir brauchen ein Europa der Menschen, nicht der Märkte. Es ist entscheide­nd, dass wir verstehen, dass wir zusammenst­ehen müssen“, sagt der Kanzler in Rom.

Nach seinem und dem Willen von Europas Mächtigen soll die EU stärker, sozialer und sicherer werden. Und jene Mitgliedss­taaten, die in der Integratio­n voranschre­iten wollen, sollen nicht länger daran gehindert werden. Kerneuropa formiert sich. „Wir werden gemeinsam – wenn nötig mit unterschie­dlicher Gangart und Intensität –handeln, während wir uns in dieselbe Richtung bewegen, so wie wir es in der Verrömisch­en gangenheit getan haben und die Tür wird allen offen stehen, die sich später anschließe­n wollen. Unsere Union ist ungeteilt und unteilbar.“So steht es in der „Erklärung von Rom“. Im Entwurf dazu war noch von einem Europa der verschiede­nen Geschwindi­gkeiten die Rede gewesen. Die rechtsnati­onale Regierung in Warschau geriet daraufhin aber so aus dem Häuschen, dass man den Wortlaut des Textes schließlic­h abmilderte, ohne am Inhalt freilich auchI nur ein Jota zu ändern. n seiner sehr persönlich gehaltenen Ansprache kann sich EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk einen Seitenhieb auf seine polnischen Landsleute, aber auch auf die Befürworte­r Kerneuropa­s nicht verkneifen.

Sein halbes Leben habe er hinter dem Eisernen Vorhang verbracht, erzählt Tusk. Damals habe es wirklich ein Europa der zwei Geschwindi­gkeiten gegeben. Während die Menschen im Westen in Freiheit und Frieden lebten, sei es unter dem Kommunismu­s verboten gewesen, davon auch nur zu träumen. „Die Einheit Europas ist kein bürokratis­ches Modell.“Sie stehe für „gemeinsame Werte“. Er frage sich, warum die Europäer so müde seien. Denn nichts sei selbstvers­tändlich in der Welt, auch der Friede in Europa nicht, sagt Tusk und schließt: „Europa muss einig sein, oder es wird nicht mehr bestehen!“

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AP (2), APA Würdige Feier an der Wiege der heutigen Europäisch­en Union in Rom

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