Der Hype als Politik
Christian Kern, Sebastian Kurz, Martin Schulz, Emmanuel Macron reüssieren in Umfragen, nicht wegen, sondern trotz ihrer Parteien. Doch der Hype kennt auch Grenzen.
Haben wir uns alle geirrt? Nach der letzten Nationalratswahl, als die Spitzenkandidaten noch Faymann und Spindelegger hießen, SPÖ und ÖVP mit vereinten Kräften gerade einmal auf 50,81 Prozent der Stimmen kamen, waren sich alle Beobachter einig, dass mit den alten Großparteien kein Staat mehr zu machen sei, die alten Tanten als gestalterische Kraft endgültig ausgedient hätten und nun das Zeitalter der Dreierkoalitionen anbrechen werde. Die Beharrungskräfte, das unüberschaubare Interessensgeflecht der innerparteilichen Lobbys würden die einst staatstragenden Bewegungen in den Orkus der Bedeutungslosigkeit stürzen.
Glaubt man den Umfragen, scheint die Halbwertszeit dieser These bereits abgelaufen zu sein. Mit Kern und Kurz an der Spitze könnten, so Prognosen, Sozialdemokraten und Volkspartei jeweils die 30-ProzentMarke durchstoßen. Selbst wenn man Umfragen keinen Glauben schenkt, beschleicht einen das Gefühl, dass Leute wie Kern und Kurz im Aufwind, Politiker wie Strache, Glawischnig, Strolz im Abwind sind.
Sind frei nach Mark Twain Berichte über den Tod der alten Volksparteien stark übertrieben? Ging bei politischen Seismografen die Fantasie durch, war der Wunsch der Vater des Gedankens, als man wortreich und bildhaft Verschiebungen in der politischen Tektonik herbeiräsonierte?
In seiner kurzen Ansprache bei der Klubtagung der Wiener SPÖ gewährte Christian Kern für einen Sekundenbruchteil Einblick in seine Gedankengänge, als er unter Verweis auf die Hofburg-Wahl die Unberechenbarkeit der Wählerschaft rühmte. Dass Kandidaten der etablierten Parteien wie Khol und Hundstorfer abstürzen, gebe zu denken, dass ein Grüner Bundespräsident wird, gebe Anlass zu Hoffnung – nach dem Motto: Die Wähler wählen nicht mehr Parteien, sondern Personen, nicht mehr politische Programme, sondern politische Köpfe. Es komme auf den Kandidaten an. Bündle dieser instinktsicher Sehnsüchte, Hoffnungen, Erwartungen, spüle der Hype den Kandidaten an die Spitze.
Auf politisches Jo-Jo als Erfolgsprinzip setzt nicht nur Kern, der überzeugt ist, dass seine Siegeschancen bei der Wahl vom Zustand der Wiener SPÖ entkoppelt sind. Sebastian Kurz tritt nur unter der Bedingung an, dass ihm Länder und Bünde nicht mehr dreinreden. Kern und Kurz glauben zu gewinnen – nicht wegen, sondern trotz SPÖ und ÖVP. Auch in Frankreich werden nach unserem Vorbild die Großparteien den Einzug in die Stichwahl verpassen, mit Macron dürfte einem Quasi-Outsider der Durchmarsch ins Élysée gelingen. och der Hype kennt auch Grenzen. Der Schulz-Effekt hat der SPD gestern im Saarland keinen Erfolg beschert – so wie Kern in Graz nichts ausrichten konnte, Kurz 2018 in Niederösterreich, Salzburg, Tirol, Van der Bellen bei der nächsten Nationalratswahl für die Grünen. Die Wähler unterscheiden dann doch sehr genau und wählen mit Köpfchen. Zum Glück.
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