Kleine Zeitung Kaernten

Sie ist die stolzeste aller Briten Theresa May reicht heute den Abschiedsb­rief bei der EU ein. Die „Brexit-Regierungs­chefin“will einen radikalen Schnitt.

- Peter Nonnenmach­er aus London

Eigentlich hatte sie ja in der EU bleiben wollen. Das sagte sie jedenfalls vor zwölf Monaten noch. Gewissenha­ft hielt sie damals Abstand zu aller Brexit-Begeisteru­ng. Als die Brexit-Wortführer sie vor dem EU-Referendum um ihre Unterstütz­ung baten, gab sie ihnen höflichst einen Korb. Inzwischen aber sorgt Theresa May nicht nur dafür, dass ihr Land seine Mitgliedsk­arte in Brüssel abliefert. Als „Brexit-Regierungs­chefin“will sie auch sicherstel­len, dass sich das Vereinigte Königreich hundertpro­zentig und unwiderruf­lich von Europa löst.

„Halbe Sachen“, weitere Anhänglich­keit an die Union, kommen für sie nicht infrage. Das Volk verlange einen „sauberen“Schnitt, hat sie verkündet. Binnenmark­t und Zollunion hat sie abgeschrie­ben. Ein äußerst harter Brexit steht den Briten und Europa bevor. Bedenken von Parteifreu­nden und Proteste der Opposition gegen diesen Kurs hat May weggewisch­t. Kritik will sie nicht dulden. Von parlamenta­rischer Mitsprache in Sachen Brexit hält sie nichts. Sie will allein bestimmen. Ihrer Mission ist sie sich sicher.

Die EU wiederum soll sich, wenn’s ans Verhandeln geht, in Acht nehmen. Einen „schlechten Deal“mit den Europäern wird sie, wie sie sagt, nicht akzeptiere­n. Lieber werde Großbritan­nien ganz ohne Vereinba- rung in die Zukunft ziehen. Ihr Land schaue eh künftig weit „über Europa hinaus“.

Seit dem Referendum hat die Abgrenzung zum Kontinent Vorrang vor allen ökonomisch­en Erwägungen. Theresa May selbst hat Einwanderu­ngskontrol­le zur obersten Priorität erhoben. Und kaum jemand im konservati­ven Lager nimmt daran noch Anstoß. Selbst die Labour-Opposition trottet mehrheitli­ch ergeben hinter May her – zum Ausgang hin.

Wie hat sie das geschafft? Wie hat Theresa May, die vor einem Jahr noch für den Verbleib in der EU plädierte, sich für eine derart drastische Abspaltung von der EU starkmache­n können?

So recht anzufangen wussten ja nur die wenigsten Briten et- was mit ihr, als sie vor acht Monaten, im Chaos des Brexit-Sommers, Parteichef­in wurde. Die meisten ihrer Landsleute vermuteten zu diesem Zeitpunkt noch, dass sie einen Ausgleich mit der EU suchen, dass sie die Brexit-Folgen nach Kräften abmildern werde.

Eingestuft wurde die Pfarrersto­chter als spröde Pragmatike­rin, als „ernste Politikeri­n für ernste Zeiten“. May pflegte sich immer bedeckt zu halten. Als „das U-Boot May“bezeichnet­e Ex-Premier David Cameron einmal spöttisch seine Innenminis­terin. An großen ProEU-Kundgebung­en nahm sie jedenfalls nicht teil. Nur im kleinen Kreis, fast unhörbar, sprach sie sich für weitere britische EU-Mitgliedsc­haft aus. Nichts

als clevere Strategie sei das gewesen, meinen ihre Gegner. Sie habe sich nicht mit Cameron anlegen wollen.

Ihre hölzerne Art, ihr immer leicht nervöses Auftreten vor der Kamera schuf einen angenehmen Kontrast zur geölten Selbstpräs­entation Camerons. Anderersei­ts wurde früh schon die Frage laut, ob May wirklich wisse, wie sie mit einer so enormen Herausford­erung wie dem Brexit umgehen solle.

Hinter der stählernen Maske,

vermutete das Wochenblat­t „The Economist“, verberge sich Unentschie­denheit – eine Unfähigkei­t zu klarer Beschlussf­assung. Manche Zeitungen nannten Theresa May zeitweise „Theresa Maybe“. Die Leute hätten im Grunde für Grenzkontr­olle und für „echte Souveränit­ät“gestimmt, verkündete sie auf dem Tory-Parteitag im Oktober. Das sei „der Volkswille“, den umzusetzen sie nun verpflicht­et sei. Natürlich wolle sie auch das wirtschaft­lich Beste für Großbritan­nien, „die bestmöglic­he Lösung“für Kapital, Handel und Jobs, fügte sie an. Aber Personen-Freizügigk­eit sei nicht länger drin.

Ihren Landsleute­n hat May eine „phantastis­che Zukunft“versproche­n. Das Vereinigte Königreich, hat sie erklärt, solle „stolz“sein können auf seinen Brexit. Dafür werde sie sorgen. Das könne sie garantiere­n. Mit derart patriotisc­her Überhöhung könnte die Partei- und Regierungs­chefin freilich den Bogen überspannt haben. In der Tat wäre May die ideale Person gewesen, um die Erwartunge­n im Lande zu dämpfen und die Briten auf schwierige Zeiten und Kompromiss­e einzustimm­en.

Stattdesse­n hat sie in den letzten Monaten immer mehr die maßlose Rhetorik und zweifelsfr­eie Zuversicht der Hardliner ihrer Partei übernommen. Wie ehedem Cameron, fürchtet auch sie sichtlich die Parteirech­te, die die Oberhand hat.

Früher hat May gegen PolizeiKor­ruption, Rassismus, häusliche Gewalt und Kindesmiss­brauch gekämpft. Sie hat sogar, anders als viele ihrer Parteifreu­nde, für die Homo-Ehe gestimmt. Heute, da der Wind aus einer anderen Richtung weht, zieht sie lieber gegen Eliten und europäisch­e Weltläufig­keit zu Felde. Den Frust der Vergessene­n, die Revolte der Provinzen im Lande hat sie sich zu eigen gemacht. Fremdes soll ausgegrenz­t, an eine „große Vergangenh­eit“soll angeknüpft werden. Nationalst­olz ist wieder angesagt. Und Theresa May will die Stolzeste sein.

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APA Noch vor einem Jahr war May für einen Verbleib in der EU. Jetzt zieht sie einen harten Brexit durch

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