Sie ist die stolzeste aller Briten Theresa May reicht heute den Abschiedsbrief bei der EU ein. Die „Brexit-Regierungschefin“will einen radikalen Schnitt.
Eigentlich hatte sie ja in der EU bleiben wollen. Das sagte sie jedenfalls vor zwölf Monaten noch. Gewissenhaft hielt sie damals Abstand zu aller Brexit-Begeisterung. Als die Brexit-Wortführer sie vor dem EU-Referendum um ihre Unterstützung baten, gab sie ihnen höflichst einen Korb. Inzwischen aber sorgt Theresa May nicht nur dafür, dass ihr Land seine Mitgliedskarte in Brüssel abliefert. Als „Brexit-Regierungschefin“will sie auch sicherstellen, dass sich das Vereinigte Königreich hundertprozentig und unwiderruflich von Europa löst.
„Halbe Sachen“, weitere Anhänglichkeit an die Union, kommen für sie nicht infrage. Das Volk verlange einen „sauberen“Schnitt, hat sie verkündet. Binnenmarkt und Zollunion hat sie abgeschrieben. Ein äußerst harter Brexit steht den Briten und Europa bevor. Bedenken von Parteifreunden und Proteste der Opposition gegen diesen Kurs hat May weggewischt. Kritik will sie nicht dulden. Von parlamentarischer Mitsprache in Sachen Brexit hält sie nichts. Sie will allein bestimmen. Ihrer Mission ist sie sich sicher.
Die EU wiederum soll sich, wenn’s ans Verhandeln geht, in Acht nehmen. Einen „schlechten Deal“mit den Europäern wird sie, wie sie sagt, nicht akzeptieren. Lieber werde Großbritannien ganz ohne Vereinba- rung in die Zukunft ziehen. Ihr Land schaue eh künftig weit „über Europa hinaus“.
Seit dem Referendum hat die Abgrenzung zum Kontinent Vorrang vor allen ökonomischen Erwägungen. Theresa May selbst hat Einwanderungskontrolle zur obersten Priorität erhoben. Und kaum jemand im konservativen Lager nimmt daran noch Anstoß. Selbst die Labour-Opposition trottet mehrheitlich ergeben hinter May her – zum Ausgang hin.
Wie hat sie das geschafft? Wie hat Theresa May, die vor einem Jahr noch für den Verbleib in der EU plädierte, sich für eine derart drastische Abspaltung von der EU starkmachen können?
So recht anzufangen wussten ja nur die wenigsten Briten et- was mit ihr, als sie vor acht Monaten, im Chaos des Brexit-Sommers, Parteichefin wurde. Die meisten ihrer Landsleute vermuteten zu diesem Zeitpunkt noch, dass sie einen Ausgleich mit der EU suchen, dass sie die Brexit-Folgen nach Kräften abmildern werde.
Eingestuft wurde die Pfarrerstochter als spröde Pragmatikerin, als „ernste Politikerin für ernste Zeiten“. May pflegte sich immer bedeckt zu halten. Als „das U-Boot May“bezeichnete Ex-Premier David Cameron einmal spöttisch seine Innenministerin. An großen ProEU-Kundgebungen nahm sie jedenfalls nicht teil. Nur im kleinen Kreis, fast unhörbar, sprach sie sich für weitere britische EU-Mitgliedschaft aus. Nichts
als clevere Strategie sei das gewesen, meinen ihre Gegner. Sie habe sich nicht mit Cameron anlegen wollen.
Ihre hölzerne Art, ihr immer leicht nervöses Auftreten vor der Kamera schuf einen angenehmen Kontrast zur geölten Selbstpräsentation Camerons. Andererseits wurde früh schon die Frage laut, ob May wirklich wisse, wie sie mit einer so enormen Herausforderung wie dem Brexit umgehen solle.
Hinter der stählernen Maske,
vermutete das Wochenblatt „The Economist“, verberge sich Unentschiedenheit – eine Unfähigkeit zu klarer Beschlussfassung. Manche Zeitungen nannten Theresa May zeitweise „Theresa Maybe“. Die Leute hätten im Grunde für Grenzkontrolle und für „echte Souveränität“gestimmt, verkündete sie auf dem Tory-Parteitag im Oktober. Das sei „der Volkswille“, den umzusetzen sie nun verpflichtet sei. Natürlich wolle sie auch das wirtschaftlich Beste für Großbritannien, „die bestmögliche Lösung“für Kapital, Handel und Jobs, fügte sie an. Aber Personen-Freizügigkeit sei nicht länger drin.
Ihren Landsleuten hat May eine „phantastische Zukunft“versprochen. Das Vereinigte Königreich, hat sie erklärt, solle „stolz“sein können auf seinen Brexit. Dafür werde sie sorgen. Das könne sie garantieren. Mit derart patriotischer Überhöhung könnte die Partei- und Regierungschefin freilich den Bogen überspannt haben. In der Tat wäre May die ideale Person gewesen, um die Erwartungen im Lande zu dämpfen und die Briten auf schwierige Zeiten und Kompromisse einzustimmen.
Stattdessen hat sie in den letzten Monaten immer mehr die maßlose Rhetorik und zweifelsfreie Zuversicht der Hardliner ihrer Partei übernommen. Wie ehedem Cameron, fürchtet auch sie sichtlich die Parteirechte, die die Oberhand hat.
Früher hat May gegen PolizeiKorruption, Rassismus, häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch gekämpft. Sie hat sogar, anders als viele ihrer Parteifreunde, für die Homo-Ehe gestimmt. Heute, da der Wind aus einer anderen Richtung weht, zieht sie lieber gegen Eliten und europäische Weltläufigkeit zu Felde. Den Frust der Vergessenen, die Revolte der Provinzen im Lande hat sie sich zu eigen gemacht. Fremdes soll ausgegrenzt, an eine „große Vergangenheit“soll angeknüpft werden. Nationalstolz ist wieder angesagt. Und Theresa May will die Stolzeste sein.