Kleine Zeitung Kaernten

Schienbein­tritte nach dem Hochamt

- Erwin Zankel über das Pathos der Geburtstag­sfeier der EU und die Realität danach

D er Weihrauch beim Hochamt in Rom zur Feier des 60. Geburtstag­s der Europäisch­en Union war noch nicht verzogen, da gingen unsere Politiker, die angeblich gar nicht an vorgezogen­e Wahlen denken, schon wieder in den Nahkampf und traten kräftig gegen die Schienbein­e.

Es war ein aufgelegte­r Ball, den der Bundeskanz­ler aufnahm, als der Außenminis­ter im Fronteinsa­tz vor Afrika den NGOs „Wahnsinn“vorwarf, weil die Hilfsorgan­isationen das Geschäft der Schlepper betrieben, indem sie die Flüchtling­e aus dem Meer fischen. Christian Kern konnte sich in die Rolle des edlen Verteidige­rs der Menschenre­chte werfen und Sebastian Kurz als herzlosen Zyniker brandmarke­n, der die in wackelige Schlauchbo­ote gepferchte­n Menschen ertrinken lassen wolle.

Ein Tor für Kern, doch das Match ist noch nicht zu Ende. Kurz hat den Vorteil, dass er das Tempo bestimmen kann, ohne für den Erfolg haftbar zu sein.

Den Plan, die Familienbe­ihilfe an die niedrigere­n Lebenshalt­ungskosten in den EU-Oststaaten anzupassen, überantwor­tete er der Familienmi­nisterin; in Brüssel durchboxen müsste ihn der Sozialmini­ster.

Auch die Absicht, nach dem Austritt Großbritan­niens die Ausgaben der EU zu senken und die aufgebläht­e Kommission zu halbieren, braucht Kurz nicht umzusetzen. Zuständig dafür wäre Kern, der dem Außenminis­ter vorwirft, bloß „ein Blatt Papier“produziert zu haben. Am Ende wird allerdings der Bundeskanz­ler erklären müssen, warum Österreich noch mehr in die Brüsseler Kassen einzahlen muss. V orerst bleibt es bei schönen Worten. Europa müsse sich endlich zu einer Sozialunio­n entwickeln, tönte Kern. Nein, damit meint er nicht die Angleichun­g der unterschie­dlich hohen Sozialleis­tungen oder etwa eine europaweit­e Arbeitslos­enversiche­rung. Ihm geht es um den Vorrang der Österreich­er vor EU-Ausländern am Arbeitsmar­kt. Ob das mit den feierlich beschworen­en Grundprinz­ipien der EU zusammenpa­sst, ist nachrangig.

Das Pathos der Geburtstag­sfeier ist vorbei, jetzt regiert die Realität.

Erwin Zankel war Chefredakt­eur der Kleinen Zeitung

Kern konnte sich in die Rolle des Verteidige­rs der Menschenre­chte werfen und Kurz als herzlosen Zyniker brandmarke­n.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria