Trump als Feldherr: Neustart für die Präsidentschaft?
POLITIK
Der schmale Tisch steht schräg zum Blickwinkel des Fotografen. Auf der linken Seite sitzt sichtlich angespannt der Präsident. Um ihn herum drängt sich ein Dutzend Berater und starren auf einen Bildschirm. Das berühmte Foto zeigt angeblich, wie Barack Obamas Sicherheitskabinett im Situation Room, dem abhörsicheren Krisenzentrum des Weißen Hauses, via Satellit die Tötung des Terroristenführers Osama bin Laden durch ein USSpezialkommando in Pakistan verfolgt.
Am Wochenende verschickte das Weiße Haus eine verblüffend ähnlich konstruierte Aufnahme. Die Parallelen sind frappierend. Nur ist der Präsident auf dem zweiten Dokument blond und heißt Donald Trump. Das Foto wurde am Donnerstag in Florida aufgenommen – kurz nachdem zwei amerikanische Kriegsschiffe 59 Lenkraketen auf eine syrische Militärbasis abgefeuert hatten.
„Meine amerikanischen Landsleute“, wandte sich Trump eine halbe Stunde später an die Öffentlichkeit. Der syrische Diktator Baschar al-Assad habe einen furchtbaren Giftgaseinsatz gegen unschuldige Zivi- angeordnet. „Kein Kind Gottes sollte eine solche barbarische Attacke erleiden.“Deshalb habe er einen gezielten Militärschlag angeordnet. Trump, der sich sonst gerne in Satzfetzen und mäandernden Gedankengängen verliert, sprach klar und präzise. Erstmals, urteilen Beobachter in den USA, habe man den Milliardär und RealityTV-Moderator als Präsident erlebt. Dass der Populist, der den Wahlkampf mit der nationalistischen Parole „America first“bestritten hatte, seine Ansprache mit Segenswünschen „für die ganze Welt“beendete, wirkt wie eine ganz besondere Pointe.
Hatte nicht Trump vor dreieinhalb Jahren, als Assads Regierungsarmee erstmals Giftgas einsetzte und Hunderte Menschen brutal ermordete, eine regelrechte Twitter-Kanonade auf „unseren sehr dummen Anführer“abgefeuert und Obama davor gewarnt, Syrien anzugreifen? „Wenn Sie das tun, werden viele sehr schlimme Sachen passieren, und vom Kampf haben die USA nichts!“, mahnte Trump damals. In den Folgejahren polemisierte er gegen die „betrügerische Hillary“, deren Auslandsengagements die Gefahren für die Heimat nur vergrößert hätten. Nun soll ausgerechnet dieser Isolationist am 77. Tag seiner Amtszeit die Rolle der Vereinigten Staaten als Weltpolizist neu beleben?
Die Motivsuche ist schwierig und streift notgedrungen das Genre der Spekulation. Hat Trump nach dem Giftgaseinsatz in der syrischen Stadt Chan Schaichun ein ganz besonderes Damaskuserlebnis gehabt? Oder inszeniert er sich mit zynischem Kalkül als Feldherr, um von seinem desaströsen innenpolitischen Fehlstart abzulenken? Der Verdacht ist unerhört, aber Trump gut vertraut. „Jetzt, da seine Umfragewerte ins Rutschen kommen, kann man darauf warten, dass er einen Militärschlag gegen Libyen oder Iran ausführt“, unterstellte er im Oktober 2012 dem damaligen Präsidenten Obama.
Überhaupt Obama: Das verlisten blüffend ähnliche Arrangement der Szene auf den beiden Kriegsherren-Bildern ist kein Zufall. Seit seinem Amtsantritt hat sich Trump geradezu manisch an seinem Vorgänger abgearbeitet. Erst behauptete er, bei seiner Amtseinführung seien mehr Zuschauer gewesen. Dann bezichtigte er seinen Vorgänger ohne irgendwelche Belege, ihn abgehört zu haben. In jüngster Zeit nun mokiert er sich immer wieder, Obama habe von „roten Linien“im Syrienkonflikt geschwafelt, aber nichts unternommen. Der Raketenangriff gibt Trump nun die Möglichkeit, sich selbst als Tatmenschen darzustellen.
Innenpolitisch hatte sich der Präsident zuletzt auf einer bedenklichen Rutschbahn nach unten befunden: seine Gesundheitsreform gefloppt, das erste Einreiseverbot von den Gerichten gestoppt, die versprochene Steuerreform in weiter Ferne und die Umfragen im Keller.
Nun hat sich Trump ausgerechnet den extrem verwickelten syrischen Bürgerkrieg ausgesucht, um seine Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Eine historische Mission oder eine zufällige Gelegenheit? Trump
verfolgt erkennbar keinen größeren geostrategischen Plan. Noch in der vorigen Woche hatte sein Sprecher gesagt, man müsse sich mit Assad als Realität abfinden. Am Donnerstag verkündete sein Außenminister plötzlich, er sehe für Assad keinen Platz mehr. Am Sonntag dann erklärt die amerikanische UN-Botschafterin den Regimewechsel in Damaskus gar zur politischen Priorität. Drastischer kann eine 180-GradWendung nicht ausfallen.
Der atemberaubend schnelle Sinneswandel hat offenbar stark emotionale Gründe. Amerikanische Zeitungen zitieren enge Mitarbeiter des Präsidenten mit Schilderungen, wie sehr den achtfachen Großvater die schrecklichen Bilder der Kinder berührt haben, die durch das Giftgas starben. Am Dienstag, dem Tag des Horrors in Chan Schaichun, saß Trump bis spät in der Nacht vor dem Fernseher. Am Mittwoch sagte er vor Journalisten: „Ich will Ihnen sagen, dass die gestrigen Anschläge auf Kinder eine große Wirkung auf mich hatten. Eine große Wirkung. Das war eine ganz, ganz furchtbare Sache. Schlimmer kann es nicht werden. Meine Haltung gegenüber Syrien und Assad hat sich sehr verändert.“Kurz darauf wies er seinen Verteidigungsminister an, militärische Optionen für eine Reaktion der Vereinigten Staaten vorzulegen.
Bei aller ehrlichen Ergriffenheit über den Tod der „wundervollen Babys“– deren Verwandte Trump übrigens per Dekret an der Flucht in die USA hindert – dürfte der Instinkt des DealMakers bald gespürt haben, dass sich aus dem Thema auch politisches Kapital schlagen lässt. Mit Zufriedenheit werden jedenfalls in Trumps Umgebung die überwiegend zustimmenden Reaktionen der westlichen Regierungschefs und auch der oppositionellen Demokraten auf den Angriff registriert. Nun stehen alle Zeichen im Weißen Haus auf Neustart.
Am Sonntag starteten Außenminister Tillerson, Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster und UN-Botschafterin Nikki Haley eine PR-Offensive in den Polit-Talkshows des Landes. An diesem Montag schließlich wird der neue oberste Richter Neil Gorsuch im Rosengarten des Weißen Hauses vereidigt. Ein schönes Erfolgsbild für Trump.