Sieg der Courage
Am Tag nach dem Anschlag überwindet Dortmund die Angst – und verliert rein sportlich gegen Monaco mit 2:3.
Gewiss, der Ball rollte, wie von höherer Stelle gewünscht, und er bewegte sich schnell, einem Match auf Champions-League-Niveau vom Tempo her durchaus angemessen. Aber es wäre keinem der Zuständigen ein Zacken aus der Krone gefallen, diese Viertelfinal-Partie der Königsklasse weiter nach hinten zu verlegen als bloß um 22 Stunden. Nach ein paar Tagen wäre nicht nur ein bisschen Gras über den Anschlag gegen die Mannschaft von Borussia Dortmund gewachsen, die Spieler hätten als unmittelbar Betroffene das Geschehen wesentlich besser verarbeiten können. „Wir hätten gerne mehr Zeit gehabt, damit umzugehen“, sagte Trainer Thomas Tuchel vor dem Ankick im Sky-Interview, „aber die haben wir nicht bekommen.“
Also musste das ganz und gar nicht normale Fußballspiel zwischen dem BVB und dem AS Monaco über die Bühne gehen, nachdem die Spieler einen psychologischen Schnellsiedekurs durchlaufen hatten. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sprach von der Herkulesaufgabe, das Team in einen spielfähigen Zustand zu versetzen. „Ich habe an die Mannschaft appelliert, der Gesellschaft zu zeigen, dass wir vor dem Terror nicht einknicken.“Tuchel hingegen hatte es als merkwürdig empfunden, dass über die Neuaustragung bei der UEFA „in Nyon“entschieden worden sei, „ohne dass das Ausmaß irgendwie klar war“. Es sei ein „ohnmächtiges Gefühl“. Daher hatte es der Trainer den Spielern freigestellt, ob sie denn antreten wollten L oder nicht. etztlich machten alle mit, aber der Schatten des Terrors schien eine Spielhälfte lang auf der Mannschaft zu lasten. Das „diffuse Gefühl“, von dem Tuchel gesprochen hatte, verließ sie zunächst nicht. Zu allem Überdruss wurden die ohnehin schwer geplagten Dortmunder auch von den Entscheidungsträgern des Matches, den Schiedsrichtern, im
Stich gelassen. Beide Tore, die Monaco vor der Pause erzielte, hätten nicht zählen dürfen. Beim ersten Treffer stand der Schütze im Abseits, dem zweiten war ein Foul von Falcao am Eigentor-Produzenten vorausgegangen. Die Borussen wirkten, als würden sie das Spiel in einer Parallelwelt begleiten.
Doch dann schien aller Ballast abgeschüttelt zu sein, die gesamte zweite Spielhälfte wirkte wie eine einzige Befreiungsaktion, der jedoch der Erfolg versagt blieb. Die Dortmunder legten alles hinein, was ihnen zur Verfügung stand, hohes Tempo, gepaart mit Spielwitz, unermesslicher Energie und vor allem Leidenschaft. Aber das Spielglück gehörte aus Borussen-Sicht zu den großen Abwesenden des Abends. Monaco erwies sich zudem auch defensiv als äußerst stark und schlug nach dem hochverdienten Anschlusstreffer der Gastgeber souverän Kapital aus einem schweren Abspielfehler. Das 2:3 gelang noch, der Ausgleich nicht mehr. Tuchel spendete der Mannschaft Lob und Anerkennung. „Die Sache ist nicht vergessen oder verarbeitet. Wir haben das Beste daraus gemacht. Die Mannschaft hat Mut und Courage gezeigt“, sagte Dortmunds Trainer. Mittelfeldmann Nuri Sahin sprach über seine Gefühlslage. „Bis zum Anpfiff war alles im Kopf, nur kein Fußball. Was passiert ist, D wünsche ich niemandem.“ie Stunden nach den Erschütterungen durch die Explosionen waren im Zeichen gelebter Solidarität gestanden. Unter dem Stichwort „Bed for awayfans“– „Ein Bett für Gästefans“– boten BVB-Anhänger den durch die Verschiebung gestrandeten Monegassen über soziale Netzwerke Übernachtungsmöglichkeiten an. Zahlreiche Gäste nahmen das Angebot dankbar an. Fotos von Fußballfans zweier Vereine an gedeckten Tischen machten auf Facebook & Co. die Runde.
Früher als sonst waren die Mannschaften im Stadion, die Stimmung wurde zu einem emotionalen Doppelpass zwischen den einheimischen Spielern und dem Volk. Beim Aufwärmen erschienen sämtliche DortmundSpieler in einem Trikot mit dem Abbild ihres im Spital liegenden, beim Anschlag verletzten Teamkollegen Marc Bartra. Als der Chor der 80.000 „You’ll never walk alone“anstimmte, breitete sich die Gänsehaut epidemisch in der Arena aus. So unerschütterlich, wie die Mannschaft in der zweiten Hälfte gegen das monegassische Tor anstürmte, so felsenfest standen die Fans hinter den Gelb-Schwarzen, sie trieben sie unermüdlich nach vorne. Letztlich reichte es nicht, aber es gibt noch ein Rückspiel. Die Dortmunder haben auch hier noch lange nicht aufgegeben.