Kleine Zeitung Kaernten

Sieg der Courage

Am Tag nach dem Anschlag überwindet Dortmund die Angst – und verliert rein sportlich gegen Monaco mit 2:3.

- Sport, Seite 42–45

Gewiss, der Ball rollte, wie von höherer Stelle gewünscht, und er bewegte sich schnell, einem Match auf Champions-League-Niveau vom Tempo her durchaus angemessen. Aber es wäre keinem der Zuständige­n ein Zacken aus der Krone gefallen, diese Viertelfin­al-Partie der Königsklas­se weiter nach hinten zu verlegen als bloß um 22 Stunden. Nach ein paar Tagen wäre nicht nur ein bisschen Gras über den Anschlag gegen die Mannschaft von Borussia Dortmund gewachsen, die Spieler hätten als unmittelba­r Betroffene das Geschehen wesentlich besser verarbeite­n können. „Wir hätten gerne mehr Zeit gehabt, damit umzugehen“, sagte Trainer Thomas Tuchel vor dem Ankick im Sky-Interview, „aber die haben wir nicht bekommen.“

Also musste das ganz und gar nicht normale Fußballspi­el zwischen dem BVB und dem AS Monaco über die Bühne gehen, nachdem die Spieler einen psychologi­schen Schnellsie­dekurs durchlaufe­n hatten. Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke sprach von der Herkulesau­fgabe, das Team in einen spielfähig­en Zustand zu versetzen. „Ich habe an die Mannschaft appelliert, der Gesellscha­ft zu zeigen, dass wir vor dem Terror nicht einknicken.“Tuchel hingegen hatte es als merkwürdig empfunden, dass über die Neuaustrag­ung bei der UEFA „in Nyon“entschiede­n worden sei, „ohne dass das Ausmaß irgendwie klar war“. Es sei ein „ohnmächtig­es Gefühl“. Daher hatte es der Trainer den Spielern freigestel­lt, ob sie denn antreten wollten L oder nicht. etztlich machten alle mit, aber der Schatten des Terrors schien eine Spielhälft­e lang auf der Mannschaft zu lasten. Das „diffuse Gefühl“, von dem Tuchel gesprochen hatte, verließ sie zunächst nicht. Zu allem Überdruss wurden die ohnehin schwer geplagten Dortmunder auch von den Entscheidu­ngsträgern des Matches, den Schiedsric­htern, im

Stich gelassen. Beide Tore, die Monaco vor der Pause erzielte, hätten nicht zählen dürfen. Beim ersten Treffer stand der Schütze im Abseits, dem zweiten war ein Foul von Falcao am Eigentor-Produzente­n vorausgega­ngen. Die Borussen wirkten, als würden sie das Spiel in einer Parallelwe­lt begleiten.

Doch dann schien aller Ballast abgeschütt­elt zu sein, die gesamte zweite Spielhälft­e wirkte wie eine einzige Befreiungs­aktion, der jedoch der Erfolg versagt blieb. Die Dortmunder legten alles hinein, was ihnen zur Verfügung stand, hohes Tempo, gepaart mit Spielwitz, unermessli­cher Energie und vor allem Leidenscha­ft. Aber das Spielglück gehörte aus Borussen-Sicht zu den großen Abwesenden des Abends. Monaco erwies sich zudem auch defensiv als äußerst stark und schlug nach dem hochverdie­nten Anschlusst­reffer der Gastgeber souverän Kapital aus einem schweren Abspielfeh­ler. Das 2:3 gelang noch, der Ausgleich nicht mehr. Tuchel spendete der Mannschaft Lob und Anerkennun­g. „Die Sache ist nicht vergessen oder verarbeite­t. Wir haben das Beste daraus gemacht. Die Mannschaft hat Mut und Courage gezeigt“, sagte Dortmunds Trainer. Mittelfeld­mann Nuri Sahin sprach über seine Gefühlslag­e. „Bis zum Anpfiff war alles im Kopf, nur kein Fußball. Was passiert ist, D wünsche ich niemandem.“ie Stunden nach den Erschütter­ungen durch die Explosione­n waren im Zeichen gelebter Solidaritä­t gestanden. Unter dem Stichwort „Bed for awayfans“– „Ein Bett für Gästefans“– boten BVB-Anhänger den durch die Verschiebu­ng gestrandet­en Monegassen über soziale Netzwerke Übernachtu­ngsmöglich­keiten an. Zahlreiche Gäste nahmen das Angebot dankbar an. Fotos von Fußballfan­s zweier Vereine an gedeckten Tischen machten auf Facebook & Co. die Runde.

Früher als sonst waren die Mannschaft­en im Stadion, die Stimmung wurde zu einem emotionale­n Doppelpass zwischen den einheimisc­hen Spielern und dem Volk. Beim Aufwärmen erschienen sämtliche DortmundSp­ieler in einem Trikot mit dem Abbild ihres im Spital liegenden, beim Anschlag verletzten Teamkolleg­en Marc Bartra. Als der Chor der 80.000 „You’ll never walk alone“anstimmte, breitete sich die Gänsehaut epidemisch in der Arena aus. So unerschütt­erlich, wie die Mannschaft in der zweiten Hälfte gegen das monegassis­che Tor anstürmte, so felsenfest standen die Fans hinter den Gelb-Schwarzen, sie trieben sie unermüdlic­h nach vorne. Letztlich reichte es nicht, aber es gibt noch ein Rückspiel. Die Dortmunder haben auch hier noch lange nicht aufgegeben.

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FOTOLIA (2), KK
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Kylian Mbappejube­lt über seine beiden Tore für den AS Monaco Bild rechts: „Flugstunde“von Thomas Lemar (Monaco). Bild links: Shinji Kagawa und PierreEmer­ik Aubameyang feiern den Anschlusst­reffer
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Dortmund-Trainer Thomas Tuchel kritisiert­e die UEFA
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Vor dem Spielbekun­deten die Spieler vonBorussi­a Dortmund Solidaritä­t mit ihrem beim Anschlag verletzten­Kollegen Marc BartraAPA (4), GEPA, AP
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Die Dortmunder Spieler erhielten starke Unterstütz­ung von den Rängen
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