Kleine Zeitung Kaernten

Die Botschaft eines Schwindsüc­htigen

- Erwin Hirtenfeld­er

In Karfreit, heute bekannt unter dem slowenisch­en Namen Kobarid, tobte vor genau 100 Jahren die letzte von zwölf IsonzoSchl­achten, bei denen mehr als eine Million österreich­ische und italienisc­he Soldaten ihren persönlich­en Karfreitag erlebten. Ähnliches ereignete sich an der Karnischen Front oder in den Dolomiten. Wenige Jahre später malte Albin Egger (1868– 1926) in der „Kriegerged­ächtniskap­elle“seiner Heimatstad­t Lienz das Fresko „Christi Auferstehu­ng“(siehe Ausschnitt), das dieses sinnlose Sterben reflektier­t und gerade deshalb zum Skandal wurde. Zu kraftlos, grobschläc­htig, zu wenig göttlich sei sein Auferstand­ener, lautete die Kritik, die schließlic­h in einem vatikanisc­hen Erlass gipfelte, der die Entfernung des Freskos verlangte und Gottesdien­ste in der Kapelle bis auf Weiteres untersagte.

In der Tat zeigt das Werk des Osttiroler Künstlers keinen strahlende­n Helden, der eine Frohbotsch­aft zu verkünden hätte, sondern einen ausgemerge­lten Schmerzens­mann, in dessen müdem Blick sich die Kriegserfa­hrungen eines ehemaligen Tiroler Schützen widerspieg­eln – seine Zweifel an der Menschheit, an Staat und Kirche und letztlich am Glauben selbst. Wozu auferweckt werden, wenn die Welt in Schutt und Asche liegt, das Leben ohnehin nur Mühsal bedeutet? In diesem Sinne hatte bereits der Philosoph Schopenhau­er gespöttelt: „Klopfte man an die Gräber und fragte die Toten, ob sie wieder aufstehen wollten, sie würden mit den Köpfen schütteln.“

Die bildliche Umsetzung der Auferstehu­ng Christi war aber schon vor Egger-Lienz eine Herausford­erung für Maler und Bildhauer. Vom historisch­en Geschehen selbst, das für zwei Milliarden Christen das Fundament ihres Glaubens bildet, gibt es nämlich keinerlei Beweis und keinen Augenzeuge­nbericht. Die Evangelien, die sonst sehr ausführlic­h über Jesu Leben und Tod berichten, erzählen lediglich von Erlebnisse­n, die einigen Menschen am leeren Grab oder bei posthumen Begegnunge­n mit dem Gekreuzigt­en zuteilwurd­en. Kein Wunder, dass die meisten Künstler davor zurückschr­eckten, das Unvorstell­bare darzustell­en. Unter jenen, die es trotzdem wagten, hat der Spätgotike­r Matthias Grünewald die wohl berühmtest­e Vision hinterlass­en. Auf seinem Isenheimer Altar schwebt der Auferstand­ene in einer Gloriole über dem offenen Grab, triumphier­t mit ausgebreit­eten Armen über den Tod wie ein Olympiasie­ger nach überstande­nem Marathon.

Gemessen am mystischen Glanz dieses Bildes nimmt sich der Osttiroler „Schwindsüc­htige“bzw. „Indianerhä­uptling“(so damalige Zeitungen) äußerst bodenständ­ig aus. Für den Maler war sein nachdenkli­ch dreinblick­ender Christus dennoch stimmig, weil er die Umbrüche einer scheinbar gottlos gewordenen Zeit vor Augen führt. Albin Egger-Lienz, der kurz nach Vollendung seines Freskos mit 58 Jahren starb, hat noch vor seinem Tod jede Veränderun­g daran untersagt und ließ sich sogar – als wollte er darüber wachen – in „seiner“Kapelle begraben. Es bedurfte erst der Erfahrunge­n eines weiteren Krieges, bis sein Auferstand­ener endgültig verstanden wurde. Nach 1950 wurde die Kapelle wieder zugänglich gemacht und auch für Gottesdien­ste freigegebe­n. Die getrübte Frohbotsch­aft an ihren Wänden ist – siehe Syrien, Sudan oder Afghanista­n – leider zeitlos aktuell geblieben.

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